Zwei Seelen der Tiombe van R.. Maxi Hill

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Zwei Seelen der Tiombe van R. - Maxi Hill Spreewald-Trilogie

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des Hauptportals umkränzen, ragen sechs Köpfe erhabenen Sandsteins. Bekannte Kirchenmänner. Bach, Händel, Luther, Wichern, Melanchton.

      Dazwischen die Zeile eines Liedtextes. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit.

      Die Frauen reden nicht mehr, weder über Himmel und die Welt, noch über Gott im Himmel, obschon jeder für sich das Gotteshaus demütig betritt.

      In der kühlen Düsternis der Vorhalle überfällt Tiombe eine Art ungewohnter Ehrerbietung. Flüsternd nennt Rita ein paar Lieder, die Paul Gerhard geschrieben habe. Geh aus mein Herz … Fröhlich soll mein Herze springen. Ich bin ein Gast auf Erden.

      Tiombe kennt nicht eines davon und sie ist auch nicht imstande, die Werke des Kirchenmannes oder sein Wirken zeitlich einzuordnen. Manchmal ärgert sie sich über ihr blasses Geschichtswissen, das sie nie im Leben kompensiert hat. Es gäbe zu viel nachzuholen. Wenngleich - vieles von dem, was sie lernen musste, wird in den Lehrstunden des Lebens kaum gebraucht. Religion gehört dazu und das kleine Latinum.

      In Gedanken versunken atmet sie flach, den muffig trockenen Geruch von Holz und Weihrauch verdrängend. Auf leisen Sohlen schieben sich die Frauen im Laufgang vorwärts und Tiombe spürt eine Hand auf ihrer Schulter. Dieses Gefühl erhellt einen Herzschlag lang die Bedrückung, die sie umgibt, seit sie die düsteren Mauern betreten hat. Jetzt ist ihr, als ob sie jemand umarmt, der es gut mit ihr meint. Mama …? Oder ein Engel?

      Es ist Rita. Sie schiebt ihr Gesicht nah an Tiombes Wange, und zieht mit den eigenen Blicken Tiombes Interesse in die Höhe, dem Kreuzgewölbe zu. Der weltliche Duft von Ritas Haut ist angenehm, aber irgendwie störte er diesen göttlichen Ort. Ohne ein Wort zu verlieren, bestaunen sie die Bleiglas-Scheiben in den Seitenschiffen. Bildnisse von Kirchenlieddichtern sind dort mit Liedversen versehen. Die Vormittagsonne trifft schräg auf die figuralen Motive, erhellt den Raum. Tiombe kann ihre Augen - mehr noch ihr Gefühl - nicht mehr abwenden, so schön und vollkommen erscheint alles im prächtigen Licht.

       Nur das Licht wird immer schöner, je öfter es gebrochen wird.

      Leicht betäubt wandert sie neben Rita einher bis zum Chorraum. Der Altar im prächtigen Kalkstein-Relief trägt Szenen aus Christi Leben. Rita flüstert, sie könne all das um sie herum nicht richtig deuten, deshalb rede sie nicht mehr. Alles Christliche sei daheim bei ihren Eltern kein Thema gewesen und wenn sie ehrlich mit sich sei, glaube auch sie noch immer wie ihr Vater: Wenn es einen Gott gäbe, würde der nicht zulassen, was auf der Welt geschieht.

      Hoch über den Köpfen schwebt die reichlich verzierte Kanzel. So leicht löst Tiombe ihren Blick nicht wieder ab, zu fasziniert ist sie. Oder andächtig? Tastend schiebt Tiombe sich in eine der hölzernen Sitzreihen und legt ihre Hände auf das Bibelbrett, lehnt ihren Kopf so weit zurück, dass ihr Blick auf das Kreuzrippengewölbe fällt, das von mächtigen Säulen getragen wird. Ihr kommt ein Bild in ihren Sinn, das sie einmal woanders gesehen hat, ein Deckenfresko mit einer Wolke aus Engelsköpfen. Über allem schwebte der Erlöser, in wallende Gewänder gehüllt. Daneben öffnete sich der Himmel für den Blick auf Götter und Engel. Kleine Amoretten lümmelten am Rand einer blauweißen Wolke und Tiombe glaubte damals, es blinzelte ein Schelm zu ihr herunter. Heute – nach Ritas dringendem Rat - würde sie verstehen, was er von ihr erwartet hat: Versuche es endlich!

      Ja, sie wird es versuchen. Bis jetzt hat sie so gelebt, wie man es von ihr erwartet hat. Wenn sie nicht ausbricht, wird sich nichts mehr ändern. Verstehen kann sie den Zustand ihres Gemüts an diesem Tag nicht.

      Obwohl sie selbst nicht wirklich gläubig ist, hatte sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit Schlösser und Kirchen zu bestaunen. Da gab es für ihren Vater kein Pardon.

      Kaum merkt sie, dass Rita neben ihr flüstert, sie könne kein Verständnis für die materielle Notwendigkeit des Kirchenprunks aufbringen, aber wenn man sie als für Kunstwerke betrachte, brauche man kein materielles Verstehen. Tiombe nickt.

      Tiefer Atem neben ihr lässt Rita aufblicken und sie sieht aus schrägem Blick, in welch ungewöhnlicher Andacht das Mädchen verharrt. Die Erhabenheit, die Tiombes ebenmäßigem Gesicht entspringt, ist nicht mehr da. Sie scheint selbstvergessen, der Welt entronnen, als öffne sie sich selig dem Heiland hoch über ihren Häuptern. Mit geschlossenen Augen sitzt sie in der Bank. Reglos. Ihre Züge sind entspannt.

      Als Rita sich räkelt, knarrt das Holz der Bankreihe und das Bild vor ihr nimmt eine Wendung. Die Hingabe scheint zu täuschen. Verschämt suchen Tiombes Augen nach Rita, ihre Blicke treffen sich und verharren ungewöhnlich lange, ungewöhnlich forschend, bis das Mädchen seinen Kopf wieder zurücklehnt und die gefalteten Hände vom Gebetsbrett in seinen Schoß gleiten lässt.

      Rita will jetzt nicht aufstehen. Sie würde Tiombes Andacht stören. Und weil sie es war, die die Idee mit der Kirche hatte, fügt sie sich und schließt ebenfalls die Augen. Von der Empore dringt ein scharrendes Geräusch herunter. Der Organist zieht die Register einer prächtigen Orgel, wie man ihresgleichen hier kaum findet. Eingepasst in das Kreuzrippengewölbe, das auf sechskantigen Strebepfeilern ruht, thront die gigantische Flötenfamilie in einer sich ruhenden Mächtigkeit auf der Empore. Der Organist lässt das tiefe, ziehende Pfeifen einer Fuge ertönen. Ein Übungsstück für den nächsten Gottesdienst. Der tausendfach gebrochene Widerhall betört selbst die Sinne einer Ungläubigen. Mehr noch. Ein Gefühl der Erbauung beherrscht jetzt auch Rita, bis Tiombe sich erhebt, sehr anmutig zur anderen Seite des Kirchenschiffes schreitet, um am Weltkugelleuchter eine Gedenk-Kerze anzuzünden. Ein letztes Mal schaut Rita zu den farbigen Fenstern zurück. Das Licht der Sonne hinter den bunten Scheiben nimmt immer kräftigere Töne an. Sie geht endlich und wartet draußen auf Tiombe.

      Nicht lange.

      »Verflucht. Ich bin tatsächlich nicht warm genug angezogen«, schimpft Tiombe und es hörte sich gar nicht mehr andächtig an. Sie tritt von einem Bein auf das andere, reibt ihre Hände und knetet die Arme bis zu den Ellenbogen. Ein Laut, wie ein kleiner Schrei. Doch sie erklärt ihn nicht, lächelt nur süß: »Die Sonne tut gut.«

      Es ist Rita, als wolle Tiombe einen Schmerz nicht zugeben. Aber sie will sich nicht wundern. Tiombes rasante Art, von einem Zustand in einen anderen zu schlüpfen, wird ihr noch oft begegnen. Die Worte des Westfalen sollten wohl Warnung sein. Wenn Tiombe Vertrauen hätte, würde sie ihren Schmerz erklären.

      Rita breitet die Arme aus, als wolle sie Tiombe umfassen und aufwärmen. Sie nimmt sie blitzschnell wieder zurück, weil Tiombe in kratzigem Ton fragt:

      »Hat es dir gefallen in der Kirche?«

      Was soll sie sagen? Von Andacht und Verehrung würde sie niemals sprechen können, nicht so jedenfalls, wie Tiombe es versteht.

      »Wenn man bedenkt, dass sie von Menschen geschaffen wurde, kann man diese Art Kunst nicht hoch genug verehren. Sie bekehrt die Menschen auf ihre Weise, was man von der modernen Kunst weniger sagen kann.«

      »Du meinst doch nicht, sie bekehrt dich?« prustet Tiombe, während sie den Weg um das alte Gemäuer laufen, dem Parkplatz entgegen.

      »Natürlich meine ich mich. Kirchen öffnen ihre Tore doch nicht nur für die Gläubigen.«

      »Was bewegt dich wirklich in einer Kirche?«

      Das muss sie keinem sagen, auch Tiombe nicht. Sie lässt sich ihre Verwunderung nicht anmerken und wie stets zwingt sie sich zur Sachlichkeit.

      »Tiefer Dank an die Schöpfer.« Obwohl sie das die so deutlich betont, bleibt

      Tiombe stehen. Ihre schönen dunklen Augen verengen sich zu winzigen Schlitzen und die Lippen

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