Zwei Seelen der Tiombe van R.. Maxi Hill
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Читать онлайн книгу Zwei Seelen der Tiombe van R. - Maxi Hill страница 6
So rasch hat Rita nicht mit Worten gerechnet, dieser Art schon gar nicht.
»Eltern meinen es meistens gut.«
»Eltern lieben ihre Kinder auch. Er liebt mich nicht und ich liebe ihn nicht.«
Es ist, als schlagen Flämmchen aus einer alten Glut. Ähnliche Worte hätte sie früher auch benutzt. Heute weiß sie, sie waren nicht gerecht. Ein Leben in Liebe und Eintracht wünscht sich ein jeder – vielleicht auch Tiombe. Bisweilen hat Rita gespürt, dieses Mädchen, das jedermann Aufmerksamkeit erweckt, braucht selbst sehr viel davon. Ungewöhnlich viel. Es gibt keinen Gang, den sie gehen, wo man dem Mädchen nicht hinterher schaut. Es gibt keinen Mund, der ihre Anmut nicht lobt. Für den Moment kann Rita ein bisschen Neid nicht verwinden. Zu viel an Schönheit in ihrem Haus, die selbst Jens zu ungewohnten Worten verleitet?
So, wie sie aussieht, stünden ihr ganzandere Wege offen.
Männergedanken. Aber ein solcher von Jens? Kopf oder Körper?
Die Köpfe sind jene Teile, die dem männlichen Körper bisweilen im Wege stehen. Das hat sie in einem Roman geschrieben und es war einer bestimmten Erfahrung geschuldet. Aber es war eine Erfahrung mit einem ganz anderen Menschen.
Tiombes Körper vibriert. Vielleicht begreift sie, wie unklug es war, so mit Rita zu reden. Und was sie dazu bewogen hat, weiß sie vermutlich noch weniger.
»Es tut mit Leid, Rita.« Das Mädchen schaut zu Boiden, womöglich auf die Galoschen an ihren Füßen. »Ich bin manchmal ungeschickt.«
Rita hat längst gespürt, wie gut Tiombes Ehrlichkeit über ihr modische Verirrung tat. Die leisen Schwingungen zwischen ihnen setzen in Gang, wofür die Zeit noch gar nicht gekommen ist. Sie drückt das Mädchen behutsam an sich, lässt es aber sofort wieder los.
»Das ist es nicht. Du warst ehrlich, wenn auch ungeschickt.«
Tiombe hält Ritas Blick stand. Beinahe aufsässig. Ob sie in ihrer Jugend die Botschaft verstanden hat, bleibt offen. Sie protestiert nicht, das ist ein gutes Zeichen, nur ihre Stimme bebt noch ein kleinwenig:
»Ist schon okay, Rita. Ich freue mich, erst einmal von Marquardt weg zu sein.«
Ritas will von Marquardt nichts hören. Längst begreift sie, dass er Tiombe abgeschoben hat, weil sie nervt. Die Pauschalistin weit weg vom Verlag passte ihm gut in den Kram.
»Erzähl mir lieber von dir«, haucht sie mit großer Vorsicht. Tiombe streicht mit einer Hand ihr Vorderhaar hinter das Ohr und wartet auf irgendeine Eingebung. Sie kommt nicht.
»Was es von mir zu erzählen gibt, weißt du bereits. Mehr gibt es nicht…«
»Irgendetwas gibt es immer. Nichts Bestimmtes. Nur, um als Gast auf dem Körberhof nicht ewig fremd zu bleiben.«
»Ich bin ein Meter fünfundsechzig, achtundvierzig Kilo und seit Geburt weiblich. Ich kann schwimmen, rauche nicht und in punkto Dorfleben bin ich strohdumm.«
»Und ein Komödiant ist auch an dir verloren gegangen.«
Rita hat Tiombes Augen lange beobachtet. Da liegt etwas im Argen. Die meisten Menschen wissen nicht genau, was in ihnen steckt – was sie bedrückt. Tiombe kann es ähnlich gehen. Sie wartet, und Tiombe wird unruhig:
»Ich bin nicht zum Beichten geboren. Wäre ich christlich, würde es mir vielleicht gelingen, aber so …«
Nach ihrer Konfession zu fragen ziemt sich nicht, Rita bleibt allgemein:
»Wo Bedrückung ist, steckt immer auch ein Quäntchen…«, Schuld sagt Rita nicht mehr, doch genau dieses Wort nutzt Tiombe blitzschnell, um sie zu unterbrechen. Es klingt ruppig, anders jedenfalls, als man es jetzt erwarten konnte. »Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein, sagte der Herr.«
Aus Tiombes Augen blitzt etwas wie Hass. Ist in dieser jungen Seele etwas Dunkles, etwas sehr Dunkles vielleicht, etwas Undurchsichtiges? Sie senkt ihre Stimme und zwingt sich zur Ruhe:
»Das sagte der Herr, an den du nicht glaubst. Und was meint Tiombe Randhal?«
»Lieber Gott, was sind das für Fragen?«
»Der liebe Gott würde das niemals fragen. Er würde erwarten, dass du ihm ewig dankbar bist. Ich dagegen frage nur: Willst du mir etwas …«, Rita macht eine längere Pause. Bewusst. Doch umso eindringlicher fährt sie fort: » …von dir und deinem Vater erzählen, oder willst du es nicht?«
Das mit dem Vater ist gewagt, aber es scheint sich zu bestätigen, was sie herausgehört hat. Tiombe hat Mühe, ihre Verwunderung zu verbergen, doch es ist auch deutlich, wie geschmeidig sie wird.
»Bist du Hellseher?« Beinahe lächelt ihr Mund.
»Nein. Aber wer dem Fremden helfen will, muss seine Sprache verstehen. Deine ungesagten Worte sind beredter als du glaubst.«
»Das glaube ich nicht. Ich hoffe nur, dass du mich besser verstehst als Marquardt.«
»Dann erzähl mir etwas, was ich verstehen kann.«
Der Trotz in Tiombe ist noch nicht völlig verraucht, doch ihre Sprache wird sanfter. Erst recht, als Rita mit weicher Stimme versicherte, dass sie nur freimütig reden soll, oder gar nicht. Sie will sie um nichts auf der Welt bedrängen. Es dauert, und Rita will schon aufgeben, doch Tiombe besinnt sich anders.
»Ich war schon immer anders, als ich sein sollte. Ein Bastard eben. Schon als Kind habe ich mir nur ganz einfache Sachen gewünscht - Gesundheit, satt zu essen, ein Fahrrad unterm Hintern, ein schönes Himmelbett. Das meiste davon hatte ich …« Sie stockt, doch Rita lässt ihr Zeit, bis sie gesteht. »Mehr als das. Viel zu viel.«
Sie zieht ein Zellstoff aus der Tasche und zelebriert eine Geste, die überflüssig ist. »Gut. Die Gesundheit ist gelogen. Ich wünschte mir oft, krank zu sein, um beachtet zu werden. Meine Mutter hatte nicht viel Zeit für mich, hatte nicht einmal Zeit für sich … Aber wenn ich krank war, nahm sie sich Zeit.«
Den Schuldigen dafür zu benennen, vermeidet sie, das ist der Punkt.
»Und später?«
»Später war ich einmal sehr krank und Mutter wäre daran fast verzweifelt.«
Tiombes Blick wandert durch den Raum, aus dem kleinen Fenster, hinauf in das Stückchen Himmel, das es freigibt. Ihr Atem geht ruhig.
»Und noch später«, traut Rita sich, die Gedanken des Mädchens zurückzuholen.
»Später sind andere Wünsche geboren. Ein liebendes Elternhaus, das für mich da ist. Vertrauen und Gerechtigkeit«, schiebt sie allzu rasch nach. Auf eine vage Art glaubt Rita, etwas in Tiombe zu erkennen. Eine Bitternis? Eine Kränkung? Etwas Unerfülltes.
»Was hat sich für dich nicht erfüllt?«
Tiombe wirft ihren Körper herum, als streife sie die lästige Frage ab. Aber sie besinnt sich auch diesmal schneller als erwatet:
»Habe ich eine Familie, die mich liebt?«, die Stimme wird cholerisch. »Haben wir vielleicht Gerechtigkeit? Nicht einmal Vertrauen. Man weiß nie, wer neben einem