Wolken, Land und Wasser. Michael Schenk
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Sie sah sich aufmerksam um, ohne das Wesen aus den Augen zu lassen, und führte sachte Schwimmbewegungen aus. Der Meeresbewohner war langsam und so konnte sie sich beinahe treiben lassen. Glücklicherweise waren Lichtputzer nicht gerade schmackhaft und wurden daher von den meisten Raubfischen ignoriert. Er fühlte sich daher sicher und würde auch Leriana nicht als Gefahr sehen, wenn er sie vor die zwei Dutzend Augen bekam, die sich vorne am Kopfsegment befanden.
Leriana schätzte, dass sie ungefähr die Hälfte der Strecke zum Ufer zurückgelegt hatten. Das Wasser war kaum noch dreißig Längen tief. Es würde schwierig sein, die An-Nerriva hier zu manövrieren. Am besten fuhr sie aufgetaucht. Natürlich nur, wenn sich die Fahrt überhaupt lohnte.
„Was will der verdammte Lichtputzer hier?“, dachte sie mit zunehmender Enttäuschung. „Will der an Land ein Sonnenbad nehmen?“ Die Vorstellung belustigte sie.
Dann war der Lichtputzer plötzlich verschwunden.
Leriana verharrte überrascht. Eben hatte sie ihn noch gesehen und nun, von einem Moment zum anderen, war er fort.
Sie leckte sich über die Lippen und schwamm langsam auf die Stelle zu, an der sie den Lichtputzer noch im Blick gehabt hatte. Da war ein heller Fleck am Boden, von einem Ring aus Dunkelheit umgeben. Was mochte das sein?
Als sie näher kam, erkannte sie, wohin der Lichtputzer geschwommen war. Ihr Gefühl, dass er sie zu einem lohnenden Ziel führen könnte, hatte sie nicht getrogen.
Da war eine kleine, aber tiefe Senke zwischen den Korallenbänken. Inmitten der Vertiefung stand das, was als Handelsware begehrt wurde: einer der seltenen Kristallstöcke. Die sechskantigen, als Säule wachsenden Strukturen, hatten verschiedene Eigenschaften, die von den Völkern auf unterschiedliche Weise genutzt wurden. Einige verarbeiteten den Blaukristall als Schmuck, andere nutzten seine Fähigkeit, das Licht zu leiten oder dessen Energie zu sammeln. Am wertvollsten war er wahrscheinlich für die Magier, da Blaukristall ihre Fähigkeiten angeblich verstärken konnte.
Leriana sah eine zentrale Säule von rund einer Länge Durchmesser und vier Längen Höhe, umgeben von der „Blüte“, einer Gruppe von fünf Kristallen, die wesentlich kleiner waren. Ihr war sofort bewusst, welchen Wert dieser Fund darstellte.
Sie war so fasziniert von der Entdeckung, dass sie für einen Moment nicht auf ihre Umgebung achtete.
In diesem Augenblick der Unachtsamkeit griff der Dornfisch an.
Zu ihrem Glück suchte sich der Räuber den Lichtputzer als Beute aus, da dessen dunkler Leib sich deutlich von der schimmernden Zentralsäule abhob, während Leriana halb von den umgebenden Korallen verdeckt war.
Der Dornfisch war ein ausgewachsenes Exemplar und sicher doppelt so groß wie Leriana. Fast ein Drittel des schlanken, stromlinienförmigen Körpers wurde von dem, nun weit geöffneten, Maul eingenommen. Drei Reihen scharfer Zähne waren eine tödliche Waffe, doch als am gefährlichsten galt das gut eine Länge messende Horn. Es stellte eine Verlängerung des Oberkiefers dar und wurde als Dorn bezeichnet. Es war schlank, spitz und in sich gedreht, so dass es furchtbare Wunden riss, wenn es in einen Körper eindrang.
Leriana sah den silbern schimmernden Leib des Raubfisches aus den Augenwinkeln. Wie ein Schemen huschte er auf den Lichtputzer zu, der eifrig über die Kristallsäule huschte und den Angreifer wohl erst bemerkte, als es bereits viel zu spät war.
Der Dornfisch spießte die Beute nicht auf, sondern nutzte die günstige Gelegenheit, sie direkt zwischen die Kiefer zu nehmen und diese zu schließen. Die sich im Wasser ausbreitenden Schallwellen ließen Leriana ein dumpfes Knacken hören, als der Chitinpanzer zerbrach.
Der Leib eines Lichtputzers enthielt kaum Körperflüssigkeit und Leriana war erleichtert, als sich keine Wolke aus Blut im Wasser ausbreitete. Wo ein Dornfisch war, da befanden sich normalerweise auch andere in der Nähe. Blut lockte sie unwiderstehlich an. Vielleicht konnte man einem einzelnen Räuber entkommen, doch niemals einer ganzen Jagdgruppe.
Leriana duckte sich tiefer zwischen die Korallen, welche die Senke umgaben. Instinktiv packte sie den Pfeilspeer fester und beobachtete den Gegner. Der Dornfisch zerlegte seine Beute nun in mundgerechte Portionen und schlang sie hinunter. Einzelne Beine und Panzerteile des Lichtputzers sanken auf den Meeresboden.
Die Gedanken von Leriana überschlugen sich.
Sie war nach ihrer Schätzung gute zwei Tausendlängen von der An-Nerriva entfernt. Keine Chance, den Schutz des Schiffes zu erreichen und dabei dem viel schnelleren Jäger zu entkommen. Natürlich konnte sie versuchen, ihn mit dem Speer zu töten, doch im Gegensatz zum Lichtputzer enthielt der Dornfisch eine Menge Körperflüssigkeit. Dornfische konnten kleinste Mengen an Blut über viele Tausendlängen Entfernung wittern. Der Tod ihres Gegners würde zahlreiche weitere anlocken.
Eine weitere Möglichkeit für sie war es, die kleine Signalpfeife zu benutzen, die jeder Schwimmer bei sich trug. Der im Wasser weit tragende Ton würde die An-Nerriva alarmieren, allerdings auch die Aufmerksamkeit der Dornfische auf Leriana ziehen.
Letztlich konnte sie versuchen, sich weiterhin zwischen den Korallen versteckt zu halten, und darauf hoffen, dass sich der Dornfisch nach vollendeter Mahlzeit davon machte.
Leriana entschied sich dafür, zurück zum Unterwasserschiff zu schwimmen und nach Möglichkeit eine direkte Auseinandersetzung mit dem Raubfisch zu meiden.
Dieser trieb noch immer an der zentralen Kristallsäule. Von seinem Opfer waren nur ein paar unverdauliche Überreste geblieben, die verstreut am Meeresboden in der Mulde lagen.
Sie drehte sich vorsichtig und wählte ihren Weg zwischen den Korallenbänken.
Das Leben in der unmittelbaren Umgebung hatte inzwischen auf die Anwesenheit des Räubers reagiert. Einige Schwärme hatten sich zusammengeballt und vollführten komplizierte Bewegungsmuster, andere waren verschwunden. Größere Fische verbargen sich nun zwischen Pflanzen und Felsen. Nur die Kleinen ignorierten die potenzielle Gefahr, denn sie waren normalerweise keine lohnende Beute für den Jäger der Tiefe.
Leriana hielt sich dicht über den Korallen und achtete darauf, keine der wenigen abgestorbenen zu berühren, da deren scharfe Kanten sie hätten verletzen können. Sie verließ die Korallenbank, die den Blick auf die Mulde verborgen hatte und hielt sich dicht über dem feinen weißen Sand des Meeresgrundes. Sie konzentrierte sich auf eine ruhige und gleichmäßige Atmung und vermied hektische Schwimmbewegungen. Immer wieder blickte sie über die Schulter zurück.
Von dem Dornfisch war nichts zu sehen.
Leriana wäre gerne in Rückenlage geschwommen, um die Umgebung hinter sich besser im Auge behalten zu können, doch sie war zu dicht über dem Grund, um das riskieren zu können. Die Gefahr, mit einem Hindernis zu kollidieren, erschien ihr zu hoch. Jetzt, in der Aufregung, konnte sie sich zudem nicht auf ihre Fähigkeit des Geistsehens verlassen.
Dann sah sie den silbrigen Schemen aus den Augenwinkeln.
Der Dornfisch musste sie schon eine ganze Weile beobachtet haben, denn er hatte sie seitlich passiert und griff, für Leriana unerwartet, von vorne an. Diese konnte sich gerade noch durch eine blitzschnelle Rolle retten. Dennoch wurde sie von der Seitenflosse gestreift. Ein schmerzhafter Schlag, der jedoch keine blutende Wunde verursachte.