Der perfekte Angler. Claus Beese
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„Na, was is? Willste mit?“, fragte Opa Diercks und schaute mich auffordernd an. Ich schluckte, denn ich ahnte, was meine Erziehungsberechtigten daheim zu diesem Ansinnen sagen würden. Allerdings konnte ich mir nicht die Blöße geben, noch als kleiner Junge angesehen zu werden. Auch wenn es sich um meine Eltern handelte. So schüttelte ich nur den Kopf.
„Ne, habe ich noch nie gemacht, und darum auch keine Ausrüstung dafür“, versuchte ich, mich herauszureden. Der gutmütige Oldtimer musterte mich einen Moment, dann verzogen sich die Enden seines Schnurrbartes zu einem verstehenden Lächeln. Er beugte sich ein wenig zu mir herüber, winkte mich näher zu sich heran und hielt die Hand an den Mund, was den vertraulichen Charakter seiner Worte andeutete.
„Rute und Zubehör kriegst du von mir. Ich habe eine Rute, die ich dir leihen werde. Auf dem Heimweg schau ich dann mal kurz bei deinen Eltern vorbei“, versprach er so leise, dass nur ich ihn verstehen konnte. Nun, wenn er denn meinte…, er konnte es ja mal versuchen. „Versuch macht kluch!“, pflegte sogar mein Chemie-Lehrer stets zu sagen, bevor er mit dem nächsten Experiment den gesamten Versuchsaufbau zur Detonation brachte.
Es wurde meine erste „Hochsee-Fangfahrt" in den 60er Jahren. Der Bus brachte uns nach Kiel, wo wir einen kleinen und betagten Fischkutter enterten. Das gute Stück hieß „Seeschwalbe“, doch kamen mir arge Bedenken, ob sie nicht schon in einem Alter war, wo man mit Flügellähmung zu rechnen hatte. Kapitän Droste hingegen vertraute seinem Kahn blind, denn obwohl der Kutter nicht gerade den stärksten Motor besaß, schipperte er mit ihm unverdrossen bei Wind und Wetter nach Langeland, wo es die besten Dorschfanggründe gab. Vor der dänischen Insel schien er jeden Stein am Meeresgrund zu kennen. Mit traumwandlerischer Sicherheit fand er jede Dorschwiese und ich wette, er hätte sogar jede Flunder mit dem Vornamen anreden können. Das Wetter war so gut wie die Stimmung, und auch der Umstand, dass wir wegen der Zollformalitäten Laboe anlaufen mussten, konnte der Fröhlichkeit an Bord keinen Abbruch tun.
Wie schnell sich doch manche Dinge ändern können. Punktgenau an Tonne 8, also beinahe schon querab Laboe, hustete unser Diesel dicke schwarze Wolken aus dem Auspuff, dann starb der Motor mit einem hässlichen Röcheln. Kapitän Droste brachten solche kleinen Malheure ganz offensichtlich nicht aus der Ruhe. Er setzte eine Flasche Hochprozentigen an und nahm einen ordentlichen Schluck, während er den Kutter gerade noch aus der Fahrrinne steuerte. Dann ließ er ihn einfach treiben und kletterte zu seinem Maschinisten nach unten. Der Skipper eines Schwesterschiffes der Seeschwalbe erledigte die Zollformalitäten für uns in Laboe. Als er zurück kehrte, nahm uns auf den Haken. Meine Befürchtung, dass er uns zurück in den Hafen schleppen würde, entsprang wohl meiner kindlichen Naivität, denn Kapitän Droste fürchtete weder Tod noch Teufel, Schnaps oder kaputte Maschinen. Mit Nerven so stark wie Drahtseilen, stand er am Ruder und ließ seinen Kutter auf die offene See hinausziehen. Die Zollformalitäten fielen an diesem Tag zwar aus, doch der Kapitän knackte die Plombe, kaum dass wir außerhalb der Drei-Meilen-Zone waren. Von da an gab es die ersehnten Billigwaren, die damals noch zollfrei waren. Nach einer Weile, ungefähr beim Leuchtturm Kiel, sprang auch der Diesel wieder an, und Droste brachte den Kahn auf Kurs Langeland.
Die Gewässer um Langeland waren ein Traum. Droste ließ das Schiff vor der Südspitze der Insel in Sichtweite des Leuchtturmes Keldsnor treiben und die Pilker machten sich auf den Weg zum Meeresgrund. Ich hatte keine Ahnung vom Hochseeangeln, doch es schien mir, dass ich alles richtig machte. Innerhalb kurzer Zeit hatte ich meinen Eimer voll wunderbarer Dorsche. Irgendjemand gab mir einen großen Plastiksack, sodass ich weiter angeln konnte. Dorsch, Dorsch, Dorsch! Petrus hatte uns die Pforte in ein Anglerparadies aufgeschlossen und Droste hatte seinen ganzen Kahn dort hineinmanövriert. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, als an die gefangenen Fische, die immer größer wurden. Kurz nach Mittag fragte ich mich, wer den ganzen Fang zum Bus schleppen sollte. Einige der älteren Angler hatten bereits aufgegeben, sie ruhten sich auf den Bänken aus. Einerseits hatten sie mehr als genug Fische, andererseits waren ihnen von der Kraftzehrenden Angelei die Arme lahm geworden. Ich dachte daran, ebenfalls aufzuhören, doch noch bevor ich mit meinen Überlegungen zu Ende kam, brach Droste die Fahrt ab. Er hatte über Funk eine Starkwindwarnung empfangen. Der angesagte Südweststurm würde uns auf dem Rückweg nach Kiel genau entgegen wehen, die Dauer der Rückfahrt würde sich entsprechend verlängern. Noch war die See ruhig, und einige Angler konnten nicht verstehen, warum man nicht noch ein Stündchen Dorsche angeln konnte.
Es dauerte nicht lange, da fingen sie an zu begreifen, warum Droste so zeitig auf Heimatkurs gegangen war. Die Flaggen über dem Ruderhaus begannen im Wind zu knattern, Wellenberge türmten sich vor dem Bug des Kutters auf, Gischt fegte über das gesamte Schiff. Die kleine Kajüte platzte fast aus allen Nähten, als die Angler versuchten, sich vor der Nässe in Sicherheit zu bringen. Wer keinen Platz mehr fand, versuchte sich hinter Aufbauten und dem Ruderhaus in Deckung zu begeben, aber wer kein Gummizeug dabei hatte, erlebte, wie nass die Ostsee sein konnte. Ich hatte keinerlei Schlechtwetterzeug dabei, und verkrümelte mich in das Ruderhaus. Hier auf der Brücke war es nicht nur warm, sondern auch trocken, und man bekam alle Infos aus "erster Hand". So war ich der Erste, der den aus dem Maschinenraum aufsteigenden Qualm bemerkte. Im Nu war der Maschinist unten, hämmerte und rumorte, dann entfuhr ihm lauthals ein übler Fluch. Der Diesel fiel im gleichen Moment stark in der Leistung ab, er tuckerte nur noch vor sich hin. Seelenruhig nahm Kapitän Droste den Fahrthebel zurück, ließ den Kutter mit mäßiger Geschwindigkeit laufen, zog eine Bierkiste heran und stellte mich darauf. Er deutete aus dem Fenster und meinte trocken: „Da lang!"
Dann verschwand er ebenfalls im Maschinenraum.
Was für ein Glück, dass ich mich so oft auf Booten und Schiffen herumtrieb. Sogar auf unserer Autofähre, die ein Weserufer mit dem anderen verband, hatte ich schon auf der Brücke gestanden. Jetzt allerdings wurde mir der Mund etwas trocken. Neptun sei Dank,
fand ich mich gut zurecht, schaute auf den Kompass, der mir den Kurs vorgab. Auf alten Seekarten hatte ich bereits Kompasskurse geübt. Das kam mir nun zugute, weil ich so wenigstens eine Vorstellung davon hatte, wohin ich steuern musste. Mir blieb auch keine wirkliche Wahl, ich musste den Bug des Schiffes genau in die Brecher halten, die das Kutterdeck unter Wasser setzten. Ein Querschlagen des Schiffes hätte unweigerlich zum Kentern geführt, doch ich legte mich mit aller Kraft in die Speichen des Steuerrades, um genau das zu verhindern. Im Maschinenraum rumorten sie nun zu zweit, während ich verzweifelt den Kurs durch die hoch gehende See hielt.
„Halt die Kiste ruhig!", schrie einer von unten, obwohl ich doch schon bemüht war, die Wellen so zu nehmen, dass der Kutter nicht ins Rollen geriet. Mit wenig Fahrt über Grund standen wir vor dem Sturm, nur gelegentlich schaute Droste kurz herauf, warf einen Blick auf den Kompass und das Meer, knurrte irgendetwas in seinen Bart und verschwand wieder. Ich hatte das Gefühl, dass wir kaum vom Fleck kamen, es hätte mich auch nicht gewundert, wenn der Wind uns tatsächlich wieder in Richtung Dänemark gedrückt hätte. Inzwischen war ich auch ohne die Gischt sprühenden Wellen dort draußen bis auf die Haut durchnässt. Ich schwitzte vor Angst und Anstrengung und schielte nach dem Sprechfunk. Aber MAYDAY ohne Befehl vom Kapitän kam nicht in Frage. So stampften wir lange Zeit über die Ostsee, bis vor uns für einen Moment der Wasservorhang aufriss und ich den Kieler Leuchtturm genau voraus erkannte. Ich musste nun das Schiff auf einen neuen Kurs legen, doch welches war der richtige? Voraus sah ich eine grüne Tonne mit der Nummer 1 auf dem Meer tanzen, auf die ich einfach zu hielt. Ich wusste, es war die äußere Tonne der Fahrrinne in die Förde hinein, es würden weitere folgen. Wenn ich einfach von Tonne zu Tonne steuerte, landete ich zwangsläufig im Hafen von Kiel. Droste kam nach oben, wischte sich die ölverschmierten Hände in einem Lappen ab, schaute sich um und klopfte mir anerkennend auf die Schulter.
„Sauber, Söhnchen! Wenn Du mal nen Job aufm Schiff willst, melde dich bei mir!“
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