Bob Lennce und der fremde Klang. Sanne Prag

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Bob Lennce und der fremde Klang - Sanne Prag страница 2

Автор:
Серия:
Издательство:
Bob Lennce und der fremde Klang - Sanne Prag

Скачать книгу

neobooks

      Vorspann

      Vor dem Musiker saß der Mann mit dem harten, festen Kiefer, Muskelmasse zusammengeballt. Der ganze Körper war angespannt gegen mögliche Bedrohungen, überall sah er Gefahr. Dunkle Augen scannten die Umwelt ständig, um die Waffe des anderen zu erkennen, die lauernde Gewalt im Versteck, er wollte den Moment des Angriffs abfangen, denn an solch ein Leben war er gewöhnt. Kein vergnügliches Warten auf Bilder, kein stilles Wandern des Blickes. Vergnügliche Bilder waren Leichtsinn, lockere Unaufmerksamkeit reiner Luxus. Das was man sah war da um verarbeitet zu werden, war nur Baumaterial für Mauern gegen den Untergang.

      Bob Lennce blickte auf den Mann vor ihm, sah schmerzhafte Kunst auf seiner Haut. Haut als Leinwand zur Selbstverwirklichung. Die Körperoberfläche war ausgearbeitet bis zum letzten cm. Rote, blaue und vor allem schwarze Muster überall in die Haut gedrückt. - 5 Jahre Gefängnis, das war Zeit. Im Nacken genau an der empfindlichsten Stelle sah Bob ein Spinnennetz, - Tinte unter der Haut wo sonst die meiste Angst saß.

      Das Gefängnis war im Grunde für den Mann geschützte Zone gewesen, harmlos, nur ein paar Schwerverbrecher rund um ihn, nichts wirklich Bedrohliches, keine Leichenteile in den Straßengräben, keine angstvollen Augen hinter der Ecke. 5 Jahre ein ganz normales Leben im Knast zum Muster auf die Haut malen, blutige Muster, weil sonst geschah ja nichts. Zwischendurch Ausbildung zum Werkzeugmacher – irgendwer behauptete, dass das gut tut. Geschützte Leere - ein neues, schalgraues Leben, normales Anstalts-Gewand über die Haut mit den Bildern gestülpt. Keine Uniform mehr. Und ab in den farblosen Kreisverkehr, wo die Seele hungrig war, nach dem Lärm, nach der Gewalt, die sie nie vermissen wollte.

      Er war hilflos leer geblieben, immer. Nie war er satt geworden an der Gewalt, am Blut, und kannte nichts um den Hunger zu stillen. Wenn Gewalt nicht da war, blieb das Nichts. Heute war er krank, konnte nie mehr schlafen. - So tiefes Mitleid hatte Bob Lannce noch nie für irgendjemanden empfunden. Was da vor ihm saß war Deutscher Söldner, amerikanischer Söldner - Krieg in Afrika, Krieg in Bosnien immer wieder nur Krieg, der Alltag - zerstückelte Leichen. Sie schlichen sich täglich in die kurzen Träume des Mannes, klappten sich vor seinen Augen auf, ungewollt, ungerufen. Keine Chance auf Stille. Alles war unruhig und leer.

      Wie sollte ein Leben Stille bekommen, wenn das Nichts die Herrschaft hatten? Da fehlt der zarten Duft, der leisen Klang… Musik vielleicht, dachte Bob, aus dem Hauch des Windes, aus gleichmäßigem Rauschen von Wasser, ein Konzert wie das Rascheln von Vogelflügeln in einem Baum – das war Leben … Es gab den feinen Klang nicht wo der Lärm der Tötungsmaschinen war. Deshalb war diese Seele verbrannt, das konnte Bob sehen, ihr Treibstoff war aufgebraucht, hatte sich im Motor zur Gewalt selbst vernichtet. „Wer tötet zuerst“ die einzige Frage, die der kannte. Die aber war allmächtig, weil sie das Bisschen Überleben garantierte…

      „Ich würde gerne etwas ändern“, sagte der Mann in dem Moment. Er hätte gerne etwas anders?

      Wie sollte das sein? Er kannte ja sonst nichts, hatte kein Bild von dem „anders“. Der Söldner saß vor Bob, angespannt. Nicht zufällig war er da, er hatte etwas zu erledigen, etwas zu vollbringen, er hatte ihn, den Musiker Bob Lannce, etwas zu fragen, ein wichtiges Anliegen um weiter leben zu können: Wie war das mit dem Klang? - würgte er heraus. Können Wiegenlieder wirklich den Schlaf bringen. Wie war das mit dem Lulabei? War das ein Mittel gegen den zerstörten Schlaf? Er hatte über Lulabei gelesen, ja er kannte das Wort – aber er war ein Heimkind. Es gab da Dinge, die für andere Kinder vertraut waren, ihm waren sie fremd.

      Bob sah den Krieger an: Ein Wiegenliedchen damit er wieder einmal schlafen konnte? Half der sanfte Klang einer Weise über den Frieden? Konnte der schlafen, weil ihm jemand ein Lied über den Frieden sang?

      Nein, denn nichts in ihm hatte Antwort auf ein solches Lied …

      Er, Bob Lennce, der berühmte Musiker, war sein Leben lang hinter dem feinen Klang hergejagt, hinter Verlockungen für die Seele. Er wollte Antworten aus ihren dunklen Höhlen kitzeln um sie lebendig zu machen... Aber was war wenn nichts in der Höhle hauste? Leere in der dunklen Seelenhöhle, keine Verbindung zur Musik. Gab es das? Da musste doch irgendetwas sein, nicht nichts?

      In der Kindheit waren Gefühle leichter zu befreien gewesen, kamen neugierig aus ihren Löchern. Er spürte sie damals in den Handflächen, konnte Gefühle riechen und hören, warm zerlaufene Schokolade und ein brummender, vibrierender Käfer auf seiner geöffneten Hand. Die Krallen und das Brummen waren zu spüren. Oder sein Meerschweinchen hatte er warm, fett und quietschend in den Fingern gefühlt, das war die Welt der Kindermusik und das müsste dieser Krieger dann erst einmal erleben. Wie sollte der aber Musik in seinen Händen spüren durch die dicken, harten Schwielen der Gewalt?

      Bob fühlte das heftige Mitleid fast körperlich. Wie sollte der Mann das zarte Zirpen einer Grille hören, wenn Waffen auf vollen Touren knallten? Durch die Hornhaut dieser Erfahrung kam nicht leicht etwas durch. Man musste zuerst den Lärm abdrehen, ausschalten…

      Abdrehen und ausschalten aber war für den Mann vor ihm wohl nur der Tod. Abdrehen und Ausschalten war einfach töten.

      Wie oft der schon gemordet hatte? Ein Schuss, Messer an der Kehle. Dann das Nichts, alles abgedreht, ausgeschaltet. Dieser da war übrig geblieben, daher war der andere tot. Und dann hatte er sich wohl wieder ein neues Muster in seine Haut bohren lassen, in einen leeren Fleck, wo er Gefühle vermutete…

      Mitleid, Mitleid mit dem der keinen Klang fühlen konnte, Wiegenlieder nie gekannt hatte. Nur den Lärm oder das Nichts. Und dazwischen war tote Leere. Bobs Gedanken wanderten aus seinem Mitleid für den anderen in die eigene Welt. Ein Lulabei für Krieger? War das etwas wirklich Neues? Harter Rhythmus der von einem Schlafliedchen niedergerungen wurde?

      AUF DEM WEGE ZUM SCHAFFOTT… klang in seinem Ohr, - der Beginn eines neuen Songs…

      Rhythmisch… Die rhythmische Gewalt schleift die feine Melodie im Hintergrund zuerst mit… Bob ließ einige Noten aufmarschieren. Die sprangen in die fünf Linien, formierten sich und fielen wieder heraus. Er dachte zu viel an das Gehörte. Alles schon mal dagewesen, das war sein Fluch. Nach fast dreißig Jahren Komposition ging einem das Neue aus. Er konnte sich nichts mehr abquälen, das seinen Ausruf der Begeisterung verdiente. Aber in seinem Gehör dröhnte weiter:

      AUF DEM WEGE ZUM SCHAFFOTT – Marschmusik, der Text entwickelte sich

      Geschenk an Vaterland und Gott…

      Banal! Leer. Leer wie der Mann vor ihm. Er selbst war auch leer. Vielleicht spürte er den anderen deshalb so?

      War dieses Mitleid eigentlich für ihn selbst bestimmt? Gehörte das Mitleid ihm?

      Auch sein Leben hatte im Lärm stattgefunden. Sein Leben war Synthesizer und Schlagzeug auf vollen Touren - riesige Veranstaltungen, mächtiger Klang, mächtiger Applaus - alle, alle wollten sich ihm hingeben. Brennende Illusion von Liebe, sich aufschaukelnd, sich unermesslich steigernd, für ihn dann unverzichtbar wie eine Sucht, aber auch er hatte kein anderes Leben.

      Was war mit dem Kitzeln, mit dem Geruch der kleinen Lust? Konnte er denn noch die zerlaufene Schokolade in der Handfläche riechen?

      Eigentlich nicht, denn er musste immer einen Welthit daraus machen, wenn er ein Bisschen Schokolade roch. Seine Welt war ganz anders und doch gleich wie von dem Mann vor ihm. Er war auch ein Krieger – er jagte hinter den kleinen, feinen Gefühlen her, ständig auf der Pirsch. Wie eine Katze vor dem Mauseloch wartete er jetzt schon seit Jahren auf jedes winzige Gefühlchen aus dem ein guter Song zu machen war. Seine Handflächen waren hart und verhornt, weil sie ständig offen,

Скачать книгу