Alles in Blut. Ole R. Börgdahl
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Jetzt versuchte er es auf diese Weise. Ich hatte ihm schon zu viel erzählt, er durchschaute mich. Er spürte, dass da etwas war. Ich wollte natürlich sehen, was er aus der Situation machte.
»Sie wissen anscheinend gut über mich Bescheid«, warf ich ein.
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, entgegnete er sofort.
Er wagte sich jetzt etwas vor. Er spürte irgendwie, dass mein Widerstand nur gespielt war. Ich lehnte mich erst einmal in meinen Sessel zurück und schwieg noch einige Sekunden, bis ich schließlich antwortete.
»Sie sind also an meiner Lebensgeschichte interessiert?«
Bruckner zuckte mit den Schultern. »Ich habe in der ESPE nach einem Experten gesucht und da hat das Programm Ihren Namen ausgespuckt.«
»Nur meinen Namen?«, entgegnete ich. »Es muss doch hier in Hamburg auch andere Experten geben.«
»Mag sein, aber die anderen haben mich nicht interessiert.« Bruckner hielt kurz inne, sein Blick veränderte sich. »Sie haben Dinge gesehen, die wir normalerweise nicht zu sehen bekommen. Ich würde eine Menge dafür geben, Ihre Erfahrung zu besitzen und dabei bin ich auch schon fast zwanzig Jahre im Dienst.«
»Mir haben acht Jahre auf der Straße gereicht und meiner Frau ebenfalls.«
»Ihrer Frau?« Bruckner runzelte die Stirn.
»Natürlich, ich liebe meine Frau und meine drei Kinder und ich liebe mein Familienleben. Eigentlich wollte ich mich mit dem Schritt nach Quantico aus dem aktiven Dienst verabschieden, aber wenn man der Branche treu bleibt, gelingt das nicht, das war, zumindest meine Erkenntnis. Dann kam natürlich noch hinzu, dass meine Frau nicht für dieses Landleben geeignet war. Sie können mir glauben, Virginia ist schön, aber es war nicht das Richtige und so haben wir eben etwas ganz anderes versucht. Das kann ich nur jedem empfehlen.«
Bruckner hatte meinem Vortrag unruhig zugehört. Es interessierte ihn nicht. Es gab nur eines, das ihn interessierte.
»Ich verlange ja gar nichts von Ihnen«, begann er wieder. »Ich habe ein paar Fotografien, die sollen Sie sich ansehen und mir Ihre Meinung sagen. In fünf Minuten bin ich wieder verschwunden. Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen ...« Er zögerte. »... auch nicht vor Ihrer Frau.«
Ich reagierte nicht. Ich hatte Bruckners Provokation verstanden und er wollte, dass ich darauf einging. Jetzt war es tatsächlich ein Spiel.
»Sind Sie verheiratet?«, fragte ich.
Bruckner wusste, dass er noch nicht am Ziel war. »Ja, glücklich, keine Kinder, Reihenhaus in der Vorstadt. Meine Frau liebt den Garten und ich meine Ruhe, wenn ich vom Dienst komme.« Er ratterte die Worte wie auswendig gelernt herunter. Schließlich grinste er.
»Reihenhaus!«, entgegnete ich. »Sind Sie an etwas Neuem interessiert, vielleicht freistehend, mit einem größeren Garten, ruhig gelegen, aber dennoch zentral? Wir haben gerade neue Objekte hereinbekommen. Ich wohne in Osdorf, dort ist es auch sehr schön.«
Bruckner richtete sich in seinem Sessel auf. Er musste jetzt zeigen, dass er auch noch eine Alternative hatte und die hieß, auf meine Mitarbeit zu verzichten. Er sah wieder auf seine Armbanduhr. Das Gespräch dauerte schon zehn Minuten. Er strich noch einmal über den Umschlag.
»Ich könnte Ihnen das hier einfach dalassen. Entweder schauen Sie es sich an, wenn ich gegangen bin, oder Sie lassen es. Wir könnten es so machen, aber dann verliere ich kostbare Zeit. Ich hoffe nicht, dass ich jetzt schon kostbare Zeit verloren habe.«
Wir schwiegen einige Sekunden. Ich holte meine Brieftasche hervor, zog das Foto heraus, dass ich immer bei mir trage und dass ich alle paar Monate durch ein Neues ersetze. Ich zeigte es Bruckner.
»Das sind meine Kinder. Zwei Jungs und ein Mädchen. Bert ist der Älteste, er ist elf. Ben ist neun und Beth fünf.«
»Sehr nett, Bert, Ben, Beth«, sagte Bruckner nickend.
Ich lächelte. »Wir haben es auch erst gemerkt, als es sich schon etabliert hatte. Die Kinder heißen mit vollem Namen Robert, Benjamin und Elizabeth. Beth ist eine waschechte Südstaatlerin. Ich arbeitete schon in Quantico, als sie zur Welt kam. Die Jungs sind beide in New York geboren. Ich habe in einem Keller gehockt, als Ben zur Welt kam. Ohne die Weste hätte ich den Abend nicht überlebt und mein Kind niemals gesehen. Meine Frau hat erst drei Tage später davon erfahren, vorher hatte ich keine Gelegenheit zu meiner Familie zu kommen. Die Ermittlungen standen an einem kritischen Punkt. Wir mussten weitermachen, Familie hin, Familie her.«
»Ihre Arbeit bei NYPD?«, fragte Bruckner.
Ich nickte. »Es war natürlich nicht immer so, eigentlich waren solche Momente in all den Jahren eher selten, aber es gab sie und jeder dieser Momente hätte mein Letzter sein können.«
»Und da haben Sie sich entschieden, aufzuhören?« Bruckner klang jetzt amüsiert.
»Wir haben einen Kompromiss gefunden: Quantico. Ich war dort natürlich nicht mehr in der Schusslinie.«
»Also Aufhören in Raten«, folgerte Bruckner.
Ich lächelte ihn an. »Alles hat seine Zeit. Was glauben Sie, was es für eine Befriedigung ist, wenn man eine Vorortvilla oder ein Innenstadtpenthouse für ein oder zwei Millionen Euro verkauft, wenn beide Seiten zufrieden sind. Selbst wenn ich mal eine Studentenbude wie diese hier losschlagen kann, habe ich hinterher ein richtig gutes Gefühl. Nein, ich habe meine Entscheidung bisher wirklich nicht bereut. Meine Frau ist glücklich, meine Kinder auch. Ich bin glücklich und jeden Abend pünktlich um halb sechs zu Hause.«
»Bravo, Bravo! Dann will ich Sie auch nicht aus Ihrem neuen Leben reißen. Ich freue mich, dass es Ihnen so gut geht.«
Bruckner meinte nicht, was er sagte und es brauchte auch nur ein paar Sekunden, bis es aus ihm herauskam. Er schüttelte den Kopf und setzte noch einmal an.
»Sie können mir nichts erzählen. Ich glaube Ihnen schon, dass Sie keinen Drang mehr verspüren, irgendwelche Ermittlungen an vorderster Front zu leiten, das sicherlich nicht, aber die Flamme ist noch nicht erloschen, das kann ich mir nicht vorstellen.« Bruckner erhob sich aus seinem Sessel. »Ich bin jetzt wirklich spät dran. Ich werde dies hier wieder einstecken.«
Er nahm den Umschlag vom Tisch und klemmte ihn sich unter den Arm. Er trat einen Schritt zur Seite und wollte mir die Hand reichen. Ich blieb sitzen, rührte mich nicht. Wir blickten uns eine Zeit lang an. Ich nickte schließlich.
»Und Sie arbeiten bei der Mordkommission hier in Hamburg?«, fragte ich ihn in einem gelangweilten Ton.
*
Kriminaloberkommissar Kurt Bruckner hatte sich längst wieder gesetzt. Seine Dienststelle war das Landeskriminalamt Hamburg. Er arbeitete in der Abteilung LKA 4, Aufgabenbereich Kapitaldelikte, zu denen in Deutschland auch Mord gehörte. Ich hatte doch noch Kaffee gekocht, zwei leere Tassen standen vor uns auf dem Tisch. Wir hatten uns über die Polizeiarbeit unterhalten. Ich hatte mich in den vergangenen drei Jahren nicht sehr für die Polizei interessiert. Ich kannte wohl den opulenten Bau am Bruno-Georges-Platz im Stadtteil Winterhude, hatte aber keine Vorstellung davon, dass es sich bei dem Gebäude um das Hamburger Polizeipräsidium handelte. Kurt Bruckner hatte dort sein Büro, in irgendeinem der zehn Sternspitzen, wie er sie nannte. Dorthin wollte er eigentlich schon längst zurück sein, als wir uns