Sex & Gott & Rock'n'Roll. Tilmann Haberer

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Sex & Gott & Rock'n'Roll - Tilmann Haberer Sex & Gott & Rock'n'Roll (Trilogie)

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die auf Sand gebaut war, auf der Unbewusstheit. Sie war erwacht, wollte immer wacher werden, musste ihren Weg gehen.

      Die Straßenbahn kam, sie stieg ein.

      Wenige Stunden später saß sie im Intercity nach Frankfurt, in einem Abteil mit einem Paar um die fünfzig. Während die Frau sich sichtlich Mühe gab, sie zu ignorieren, starrte der Mann sie eine Zeit lang verstohlen, aber ungehemmt neugierig und eindeutig lüstern an, bevor er sich zuerst seiner Zeitung und später dem Leberwurstbrot zuwandte, das ihm die treusorgende Gattin reichte.

      Eine bleierne Müdigkeit überfiel sie. Sie hatte nicht mehr als anderthalb Stunden geschlafen. Kurz nach Nürnberg schlief sie ein. Träumte bunt und wild, sie schwimmt in einem See mit unendlich klarem Wasser, Johnny steht am Ufer und streckt sehnsüchtig die Hand nach ihr aus, ruft etwas, doch kein Laut ist zu hören. Sie taucht unter, in eine Welt voller seltsamer Wesen, findet sich plötzlich in hohen Straßenschluchten wieder, Manhattan oder Shanghai, aber alles menschenleer, der Wind weht ihr leere Plastiktüten um die Füße.

      Kurz vor Würzburg wachte sie wieder auf, als das ältere Paar geräuschvoll seine Sachen packte. Der Mann hob einen riesigen Koffer aus dem Gepäcknetz und stellte ihn auf den Boden, setzte sich dann noch einmal und starrte sie an, während seine Frau Taschenspiegel und Lippenstift herauszog. Sharani hatte das Gefühl, der Mann ziehe sie mit den Augen vollständig aus. Wahrscheinlich hatte er etwas über die freie Liebe in Poona gelesen und darüber, dass die hübschen jungen Bhagwan-Jüngerinnen ohne viel Federlesens mit jedem Mann ins Bett gingen. Einen Moment dachte sie daran, ihn zu provozieren, und seine Alte dazu. Aber dann fragte sie sich, wozu. Die waren für ihr trostloses Leben selbst verantwortlich. Sie wandte sich zum Fenster und sah hinaus, auf die unterfränkischen Hügel, die Weinberge, den Main, die Schnellstraße. Sie drehte sich den beiden nicht mehr zu, bis sie – grußlos – das Abteil verlassen hatten. Als sie draußen waren, fühlte Sharani sich gleichzeitig erleichtert und verlassen. Die beiden hatten ungefähr das Alter ihrer Eltern, die irgendwo da draußen ihr Kleinstadtleben lebten, keine fünfzig Kilometer entfernt. Nein, sie hatte die Eltern nicht besucht vor ihrer Abreise. Die verstanden ja gar nichts.

      In Würzburg stiegen jede Menge Leute in den Zug, die meisten schauten kurz in ihr Abteil und gingen dann weiter. Mit ihren roten Klamotten schien sie wohl gefährlich zu sein. Oder aussätzig? Jedenfalls so anders, dass niemand ihre Nähe suchte. Bis dann schließlich doch die Tür aufging. Sharani sah erst auf, als sich ein oranges Hosenbein in ihr Blickfeld schob, orange Socken in roten Wildlederschuhen… „Namaste, Ma“, sagte eine tiefe Stimme, dann ließ der Neuankömmling sich auf den Sitz ihr gegenüber plumpsen. „Auch unterwegs nach Hause?“

      Der Swami hatte einen riesigen Rucksack dabei. Die zerzausten Haare reichten ihm auf die Brust, das Gesicht verschwand fast vollständig hinter einem dichten Vollbart. „Nach Hause? Nee, ich bin unterwegs nach Poona“, antwortete sie. „Meine ich doch“, lachte der Vollbart. Sie erwiderte das Lachen nicht. Der Blick, mit dem er sie ansah, unterschied sich nicht viel von dem des Alten, der gerade ausgestiegen war. Ein Fickswami. So nannte sie für sich die Männer, bei denen die spirituelle Suche eindeutig der freien Liebe untergeordnet schien.

      „Also, ich bin der Sajeev.“

      Interessiert mich nicht die Bohne, wer du bist, solange du mich so angaffst, dachte Sharani und lehnte sich wieder zurück. „Du, sorry“, sagte sie, „ich bin wahnsinnig müde.“

      „Hey, relax doch mal“, sagte der Vollbart namens Sajeev. „Du bist ja total verspannt.“

      „Am besten kann ich relaxen, wenn du mich bis Frankfurt schlafen lässt“, murmelte Sharani. „Aber weck mich dann, wenn wir da sind, okay?“

      Sajeev zog beleidigt die Nase hoch, aber er ließ sie in Ruhe. Aus seinem Mammutrucksack zog er ein Büchlein von Bhagwan. Na immerhin, er interessiert sich anscheinend doch auch für das, was Bhagwan zu sagen hat, dachte Sharani noch, dann schloss sie die Augen. In zwei Tagen würde sie wieder in Poona sein. Und ja, der Vollbart hatte Recht, es war ihr Zuhause. Der Ashram in Poona war mehr ihr Zuhause als irgendein anderer Ort auf Erden.

      Sie erinnerte sich, wie sie das erste Mal vor dem großen Tor stand, im bunten Hippiekleid, doch schon voller Sehnsucht, dazuzugehören zu der rot gewandeten Schar. Mehr noch – es war schon eine Gewissheit, dazuzugehören, vom ersten Moment an, schon als sie das erste Mal in Poona aus dem Zug stieg und sich nach endloser Fahrt die eingeklemmten Glieder geradezurichten versuchte, schon da spürte sie etwas. Wie ein großes Willkommen, wie eine Liebe, wie ein Zuhause. Ein paar Sannyasins, die sie in Bombay kennen gelernt hatte, nahmen sie einfach mit, führten sie hinunter zum Koregaon Park. Und je näher sie dem Ort kam, an dem der seltsame Guru lebte und lehrte, desto ruhiger und gleichzeitig aufgeregter wurde sie. Ja, beides. Aufgeregt, weil etwas in ihr sagte: Du bist da, du bist angekommen, und sie konnte es kaum erwarten, endlich Ihn zu sehen, Bhagwan Shree Rajneesh. Und ruhig, weil sie wusste: Hier ist es, ich habe gefunden, wonach ich lange gesucht habe.

      Es war ganz anders als dort, wo sie gerade herkam. Zuerst die lange, abenteuerliche Fahrt mit Utz, Harald und Bine im VW-Bus. Schon diese Fahrt war eine riesige Enttäuschung. Sie hatte sich eine spirituelle Suche vorgestellt. Dachte, sie würden in den islamischen Ländern, durch die sie kamen – die Türkei, dann Iran, Afghanistan, Pakistan – vielleicht irgendwelche Sufi-Meister aufspüren, wenigstens tanzende Derwische sehen oder in einer persischen Mysterienschule Halt machen. Aber Utz, der das Sagen hatte, interessierte sich auf einmal gar nicht mehr so sehr für das mystische Zeugs, sondern war im Grunde immer nur auf der Suche nach gutem Hasch. In Afghanistan wurde er fündig, fläzte erst einmal drei Tage dauer-stoned in der Hängematte, dann verstaute er den Vorrat des dunkelbraun-krümeligen, würzig duftenden Stoffs in einem gut getarnten Rohr, das er vorsorglich irgendwo in den Wassertank geschweißt hatte. Nach sechs anstrengenden Wochen überquerten sie die pakistanisch-indische Grenze, und selbst den fiesen indischen Zöllnern blieb das Geheimfach verborgen. Sie nahmen den halben Bus auseinander, aber das Rohr im Wassertank fanden sie nicht. Dann steuerten sie den VW-Bus zwischen Kühen, Rikschas, Fahrrädern und altersschwachen Lkws über unmögliche Straßen durch Rajasthan und den halben indischen Subkontinent. Kamen schließlich in Rishikesh an, dem spirituellen Zentrum im Tal des Ganges am Fuß des Himalaya, wo schon die Beatles meditiert hatten. Endlich kam nun doch das spirituelle Thema auf die Tagesordnung. Utz und Harald wollten unbedingt zu Maharishi Mahesh Yogi, denn sie hatten in Deutschland schon einen Workshop in Transzendentaler Meditation besucht und wollten den Gründer unbedingt persönlich sehen. Endlich, dachte Jeannie, endlich. Sie war wirklich wild entschlossen, bei einem Guru in die Lehre zu gehen, ob Maharishi oder wer sonst.

      Sie stellten den Bus in der Nähe der Ram Jhula ab, der unteren der beiden Hängebrücken über den Ganges, und begannen die Suche nach Maharishis Ashram. Ein paar Hippies, die sie nach dem Weg fragten, hatten keinen blassen Schimmer, der nächste meinte nur: „Maharishi? Der ist zurzeit gar nicht hier, der ist in Europa oder USA.“ Das ist ja wohl nicht wahr, war alles, was Jeannie dazu einfiel. Sie beschloss, es einfach nicht zu glauben. Es gab so viele Gerüchte unter den Rucksacktouristen!

      Schließlich fanden sie einen jungen Inder, der bei den Stichworten Maharishi und Ashram heftig mit dem Kopf wackelte. Jeannie hatte inzwischen gelernt, dass es sich dabei wohl um ein Ja handelte, und schon setzte sich der Junge in Bewegung. „Follow me“, sagte er und winkte sie hinter sich her. Über die Brücke, durch breite, ungepflasterte, baumgesäumte Straßen ging es, dann standen sie vor einem Tor. „Das ist der Ashram von Maharishi“, erklärte der Junge in seinem melodiösen indischen Singsang. Utz drückte ihm ein paar Rupien in die Hand, dann wandte er sich an den Wachmann in dem Torhäuschen. Der wackelte ebenfalls mit dem Kopf, aber auf eine Weise, die Nein bedeutete. „Maharishi ist nicht da. Er ist gerade in Europa unterwegs.“

      „Scheiße.“ Mehr fiel Utz erst mal nicht ein. Wie begossene Pudel standen sie vor dem Ashramtor herum.

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