Hanno rettet die Welt. Frank Springer
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Der einzige Mensch, mit dem Hanno zusammen sein mochte, war sein Vater. Er war wie Hanno und mied anderen Menschen. Vor allem fragte er seinen Sohn nicht ständig aus oder gab ihm Ratschläge, wie seine Mutter es tat. Daher genoss Hanno die Zeit, die er mit ihm verbringen durfte. Er konnte sich stundenlang mit seinem Vater anschweigen. Die beiden verstanden sich bestens, ohne dass einer von ihnen ein einziges Wort sagen musste.
Hannos Vater lebte in einer einsamen Gegend, in der es kaum Menschen gab. Dort konnte der Junge den gesamten Tag spazieren gehen, ohne dass er jemandem begegnete. Für ihn war diese Abgeschiedenheit wie ein Paradies. Dort war Hanno weit weg von seinen Mitschülern und anderen Kindern, die ihn ununterbrochen schikanierten. Die ganze Zeit lang konnte er ungestört lesen oder träumen. Es gab für ihn nichts Schöneres als diese sechs Wochen im Jahr, die er bei seinem Vater in vollkommener Ruhe und Frieden verbrachte.
Selbstverständlich liebte Hanno auch seine Mutter. Sie war immer fürsorglich und liebevoll zu ihm. Wenn sie ihn in den Arm nahm, nichts sagte und für ihn da war, dann war sie die beste Mutter der Welt. Es strengte ihn aber an, unentwegt von ihr bemuttert zu werden. Vor allem nervte ihn ihre andauernde Fragerei, wie es ihm ginge und was er mache. Ihre häufigen Versuche, ihn mit anderen Kindern zusammenzubringen, fand er lästig. Sie war das Gegenteil von seinem Vater. Es muss ein seltener Zufall gewesen sein, dass sich die beiden kennengelernt hatten.
Der neue Lebensgefährte seiner Mutter war sehr nett. Hanno freute sich, dass sie einen Menschen gefunden hatte, der so gut zu ihr passte. Er war auch immerzu bemüht um Hanno. Das war zwar gut gemeint von ihm, aber es wäre Hanno lieber gewesen, wenn er ihn in Ruhe gelassen hätte. Daher war er froh, dass seine Mutter allein mit ihrem Partner verreiste und er währenddessen die Zeit mit seinem Vater verbringen konnte.
Hannos Zeugnis war wie immer ganz ordentlich geworden. Er war ein guter Schüler und musste nie lernen oder üben. Es fiel ihm alles zu. In den schriftlichen Arbeiten hatte er meistens eine Eins oder höchstens eine Zwei. Trotzdem waren seine Zensuren nicht so, wie sie hätten sein können. Im Unterricht meldete sich Hanno niemals. Wenn die Lehrer ihn dennoch drannahmen, wusste er stets die richtige Antwort. Von sich aus beteiligte er sich jedoch nie. Seine Mutter redete endlos auf ihn ein, wie gut er in der Schule sein könnte, wenn er sich öfters freiwillig einbringen würde. Der Junge wollte aber nicht.
Das einzige Fach, in dem Hanno keine guten Noten hatte, war Sport. Dabei war er nicht dick, sondern wirkte eher schlaksig. Er fand es abstoßend, in einer Horde grölender Kinder hinter einem Ball hertoben zu müssen. Davon zog er sich zurück. Hingegen mochte er Leichtathletik, obwohl er darin nicht besser war.
Endlich wurde der Zug langsamer und bremste ganz ab. Er war in der kleinen Kreisstadt, in deren Nähe sein Vater lebte, angekommen. Schon von weitem sah Hanno ihn auf dem Bahnsteig stehen. So schnell er konnte, stieg der Junge aus, lief auf seinen Vater zu und fiel ihm in die Arme. Die Begrüßung war herzlich, aber nahezu wortlos.
Sein Vater nahm Hannos Koffer.
„Der ist schwer. Hast du dir etwas zum Lesen mitgebracht?“, fragte er.
„Ja“, antwortete Hanno.
„Schön“, sagte sein Vater, „ich habe dir auch einige neue Bücher besorgt. Sie liegen in deinem Zimmer.“
Der Junge sagte dazu nichts und folgte seinem Vater zum Auto. Sie stiegen in die alte, klapprige Ente und fuhren los.
Hannos Vater war Kunstmaler. Er war zwar nicht bekannt, aber seine Bilder ließen sich gut verkaufen. Dabei machte sich Hannos Vater nichts aus Geld. Es reichte ihm aus, wenn er bescheiden davon leben konnte. Viel wichtiger war ihm, dass seine Gemälde dem Publikum gefielen. Wenn er keinen so guten Galeristen gehabt hätte, dann hätte er seine Werke vermutlich verschenkt oder zumindest weit unter Preis verkauft. Aber sein Galerist wusste den Wert seiner Arbeiten zu schätzen und sorgte dafür, dass er anständig bezahlt wurde. Somit hatte Hannos Vater zumindest keine Geldsorgen. Trotzdem legte er keinen Wert auf äußerlichen Reichtum.
Die alte Ente fuhr er seit seiner Studentenzeit. Er wollte kein neues Auto haben, obwohl er es sich hätte leisten können. Lärmend und qualmend zuckelte das betagte Automobil über die Landstraße. Nach einer halben Stunde bogen sie in einen Feldweg ein. Mutig kämpfte sich die Ente den unebenen Weg entlang. Hanno und sein Vater wurden kräftig durchgeschüttelt. Das antike Fahrzeug meisterte aber auch dieses Gelände und der Bauernhof, auf dem Hannos Vater wohnte, kam in Sichtweite.
Als Hannos Großeltern starben, erbte sein Vater ihren Hof. Nachdem er sich von Hannos Mutter getrennt hatte, zog er dort ein. Er wohnte aber nicht im Bauernhaus, sondern im sogenannten Altenteil. Das war ein kleines Häuschen, das etwas abseits stand. Hier lebten üblicherweise die Eltern, sobald der älteste Sohn den Hof von ihnen übernommen hatte. Hannos Vater benötigte nicht viel Platz für sich selbst. Daher reichte dieses kleine Haus für ihn aus. Da er keine Landwirtschaft betreiben wollte, verpachtete er die zugehörigen Ländereien an die anderen Bauern in der Nähe. Für sich behielt er etwas Land übrig, auf dem er für seinen eigenen Bedarf anbauen konnte.
In dieser Einsamkeit konnte Hannos Vater am besten malen. Hier war er ungestört. Er konnte sich voll und ganz auf seine Kunstwerke konzentrieren. Die Ruhe und Stille brauchte er für seine Inspiration. In der Zeit, als er bei Hannos Mutter in der Großstadt lebte, hatte er kein einziges seiner Gemälde vollenden können.
Hannos Vater hatte das Häuschen, in dem er wohnte, vor einigen Jahren hübsch herrichten lassen. Das Bauernhaus hingegen hatte lange Zeit leer gestanden. Erst kürzlich hatte er aus dem Verkauf seiner Bilder genügend Geld zusammengespart, dass er auch das große Gebäude renovieren lassen konnte. Hanno erinnerte sich, dass es im letzten Sommer eine Baustelle gewesen war und er oft dort den Handwerkern und Bauarbeitern aus sicherer Entfernung zugesehen hatte.
Als die beiden vom Feldweg auf den Hof einbogen, sprang Hanno aus dem Wagen, um das Gattertor zu öffnen. Nachdem sein Vater mit der alten Ente hindurch gefahren war, schloss er das Tor und stieg wieder ins Auto. Der Junge erkannte sofort, dass an dem großen Bauernhaus etwas anders war als bei seinem letzten Besuch. In den Fenstern hingen Gardinen und auf den Fensterbänken standen Blumentöpfe. Ein großer, roter Kombiwagen parkte vor dem Haus. Offensichtlich war es bewohnt.
Erstaunt fragte Hanno seinen Vater.
„Ja, ich habe das Haus an eine nette Familie vermietet“, antwortete der. „Sie kommen aus der Großstadt. Er macht Überlebenstraining für Manager. Dazu bringt er ihnen in abgelegen Gegenden bei, wie man sich in der Wildnis zurechtfinden kann. Komisch, nicht wahr? Sie arbeitet in der Kreisstadt. Außerdem haben die beiden eine Tochter etwa in deinem Alter und einen jüngeren Sohn. Wundere dich also nicht, falls du ihnen hier begegnest.“
Hanno sagte dazu nichts. Das waren ungewöhnliche Neuigkeiten für ihn, die er verdauen musste. Bisher war er davon ausgegangen, dass er hier allein mit seinem Vater in der Abgeschiedenheit leben würde. Er bekam Angst, auf die fremden Menschen zu treffen. Das Häuschen von Hannos Vater lag etwa hundert Meter entfernt, sodass man von dort nicht viel davon mitbekam, was im Bauernhaus vor sich ging. Der Junge hoffte, dass diese Distanz ausreichte, damit er nicht unnötig oft mit der neuen Familie konfrontiert wurde.
Nachdem sie mit der altersschwachen Ente das kleine Häuschen erreicht hatten, hielten sie davor und stiegen aus. Hannos Vater brachte den Koffer hinein. Der Junge liebte das Haus seines Vaters. Hier war er gerne und fühlte sich wohl. Es war urgemütlich. Drinnen war es längst nicht so klein, wie es von außen aussah. Im Erdgeschoss gab es eine geräumige Wohnküche, in der sie am liebsten beieinander saßen, und ein großes Zimmer, die ehemalige Wohnstube,