Hanno rettet die Welt. Frank Springer
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Hannos Vater hatte im oberen Stockwerk sein Schlafzimmer und ein kleines Büro. Hier befand sich auch das Badezimmer. Das Wichtigste in dieser Etage war jedoch Hannos Zimmer. Es war nur eine kleine Kammer, aber er hatte es sich gemütlich zurechtgemacht. Dort roch es wunderbar nach Holz. In den Regalen standen merkwürdige Gegenstände, die der Junge bei seinen Streifzügen gefunden hatte. Auf einem kleinen Tischchen lagen die Bücher, von denen sein Vater erzählt hatte. Hanno schaute sie sich an. Es waren einige für ihn interessante Exemplare dabei. Während er seinen Koffer auspackte, brutzelte sein Vater in der Küche ein leckeres Abendbrot. Er konnte gut kochen. Das hatte er in der Einsamkeit gelernt.
Nach dem Abendessen saßen die beiden eine Weile zusammen. Hanno erzählte in knappen Worten von der Schule, von dem Leben in der Großstadt und von seiner Mutter. Sein Vater fragte ihn dabei aber nicht aus, sondern wartete geduldig, bis der Junge von selbst anfing zu reden. In dieser Beziehung war sein Vater anders als seine Mutter, die ihn ständig mit ihren Fragen löcherte. Hannos Vater berichtete von den Neuigkeiten hier auf dem Land. Sehr viel Neues gab es allerdings nicht, außer dass die Familie aus der Großstadt in das hergerichtete Bauernhaus eingezogen war.
Danach ging Hanno ins Bett. Er fing an, ein Buch von dem Stapel zu lesen, das ihn besonders interessierte. Es war ein Zukunftsroman. Hanno hatte eine Vorliebe für Science-Fiction. Ihm gefiel daran, dass die Handlung weit über die enge Begrenztheit unserer irdischen Welt hinaus ging. Hanno wurde müde. Bevor er einschlief, öffnete er das Fenster, damit er die frische Landluft genießen konnte.
2. Die Begegnung
Als Hanno die Treppe hinunter stieg, duftete es nach frischem Kaffee. Es war ein schöner Sommertag und es war schon früh am Morgen angenehm warm. Sein Vater war gerade dabei, den Frühstückstisch zu decken. Hanno hatte die Idee, im nächsten Dorf vom Bäcker frische Brötchen zu holen. Da es zu weit zum Laufen war, holte der Junge aus einem Unterstand hinter dem Häuschen das Fahrrad seines Vaters hervor.
Es war ein uraltes Rad. Es besaß eine gebogene Lenkstange und eine Bremse, bei der ein Gummiklotz direkt von oben auf den Vorderreifen drückte. Das Schutzblech klapperte, die Kette knirschte und das Tretlager quietschte. Überall war das abgenutzte Zweirad verrostet und besaß eine undefinierbare Farbe. Die Lampe hing wie eine verwelkte Blüte herab.
Hanno stieg auf und fuhr zu dem Gattertor, das den Hof von dem Feldweg trennte. Kurz bevor er es erreichte, glaubte er, seinen Augen nicht zu trauen. Aus Richtung des Bauernhauses kam ein Mädchen mit einem Fahrrad gefahren. Es war ein modernes Mountainbike, wie er es sich schon lange wünschte.
Das Mädchen war etwa so alt und groß wie er. Sie war wunderhübsch. Ihr offenes, blondes Haar reichte bis fast zu ihrem Hinterteil hinab. Das Gesicht glich dem eines Engels. Die Lippen waren sanft geschwungen und ihre Augen leuchteten himmelblau. Ihr Pony hing ihr frech in die Stirn. Obwohl sie schlank war, besaß sie einen muskulösen und durchtrainierten Körper. In ihrem kurzen Minirock und dem bauchfreien Top sah sie verführerisch aus. Hanno erkannte in ihren offenen Sandalen, dass sie an ihrem linken Mittelzeh einen silbernen Ring trug. Sonst hatte sie keinen Schmuck oder Schminke angelegt. Das brauchte sie nicht, denn sie war das schönste Mädchen, das Hanno je gesehen hatte. Die beiden hielten vor dem Gattertor an, da es geschlossen war, und stiegen von ihren Rädern ab.
In Hannos Klasse hatten die meisten Jungen eine Freundin. Nur er hatte noch nie eine gehabt. Er versuchte sich oft vorzustellen, wie es war, mit einem Mädchen zusammen zu sein. Auch wenn er Abstand von anderen Menschen hielt, wünschte er sich, eine Freundin zu haben. Manchmal war er deshalb neidisch auf seine Mitschüler. Er wagte aber nicht zu hoffen, dass sich die Mädchen für ihn als den geschmähten Sonderling ernsthaft interessieren würden. Aus Angst vor Ablehnung und sich lächerlich zu machen, traute er sich nicht, von sich aus eines anzusprechen. Daher zog sich Hanno von ihnen zurück und litt darunter, dass er seinen Gefühlen nicht nachgeben konnte.
Die besonders hübschen Mädchen hatten meist ältere, erfahrene Freunde. Wenn sie mit einem Jungen Schluss machten, dann war stets eine lange Reihe anderer da, aus denen sie auswählen konnten. Hanno malte sich keine realistischen Chancen bei den Mädchen aus.
Hier war es anders. In der Abgeschiedenheit weit weg von anderen Menschen gab es nur sie und ihn. Hanno hatte keine Konkurrenz zu fürchten. Außerdem kannte sie ihn nicht und wusste nicht, dass er ein Außenseiter war. Er konnte sein Glück nicht fassen, ausgerechnet in dieser einsamen Gegend diesem schönen Mädchen zu begegnen. Je länger er sie betrachtete, desto sicherer wurde sich Hanno, wenn es auf dieser Welt eine Traumfrau für ihn gab, dass sie genauso aussehen musste wie sie und nicht anders.
Hanno hätte das Mädchen stundenlang ansehen können, so hübsch war sie.
Es fiel ihr auf, wie er sie anschaute, und sie sagte: „Was glotzt du mich so an? Ich bin nicht vom Mars. Hast Du noch nie ein Mädchen gesehen?“
,Ja, schon oft, aber noch nie so ein schönes wie dieses hier’, dachte Hanno und starrte sie weiterhin an, ohne etwas zu sagen.
Nachdem der Junge nicht reagierte, fügte sie hinzu: „Mach wenigsten den Mund zu, sonst sieht dein ohnehin nicht besonders intelligenter Gesichtsausdruck noch bescheuerter aus.“
Hanno wusste, dass Mädchen frech sein konnten. Daher hielt er ihr Verhalten für normal.
Ihm war bewusst, dass er jetzt handeln musste, wenn er bei ihr etwas erreichen wollte. Er musste sich schnell etwas einfallen lassen, sonst war diese Gelegenheit vorbei. Sein Verstand arbeitete fieberhaft.
‚Nur keinen Fehler machen’, sagte er sich.
Hanno war es nicht geübt, mit Menschen zu reden. Damit hatte er große Schwierigkeiten, selbst wenn es dabei um viel weniger ging. Ein so gut aussehendes Mädchen anzusprechen, war für ihn die allergrößte Herausforderung. Lieber hätte er zuerst in einigen einfacheren Situationen geübt, bevor er sich daran wagte, aber dazu hatte er keine Zeit. Er musste etwas sagen, in diesem Augenblick, nicht später.
„Hallo, willst du auch Brötchen holen?“, hörte sich der Junge sprechen.
Das war zwar nicht besonders einfallsreich, aber immerhin besser als nichts.
Das Mädchen beantwortete seine Frage nicht, sondern kommandierte: „Mach endlich das Tor auf, damit ich durchfahren kann oder mach zumindest Platz, damit ich es öffnen kann.“
Hanno hantierte ungeschickt am Gatter herum, bekam aber den Riegel vor Aufregung nicht auf.
„Lass mich mal!“, sagte das Mädchen, schob Hanno beiseite und öffnete die Pforte mit einem Griff. Sie gingen beide mit ihren Fahrrädern hindurch. Danach schloss das Mädchen die Gattertür und stieg auf. Hanno sprang schnell auf sein Rad und fuhr neben ihr her.
„Wer bist du eigentlich?“, fragte sie, ohne ihn anzusehen.
„Ich bin der Sohn von eurem Vermieter“, antwortete der Junge.
„Dann musst du Hanno sein“, vermutete das Mädchen. „Dein Vater hat uns von dir erzählt. Ich heiße übrigens Charline.“
„Das ist ein schöner Name“, sagte Hanno.
Er wollte sich gerade selbst dafür loben, dass ihm dieser Satz eingefallen war, als das Mädchen ihm frech erwiderte: „Du Schmeichler, das würdest du auch sagen, wenn ich Tusnelda oder Ottfriede hieße.“
„Wieso? Das sind doch hübsche Namen“, entgegnete