Nest im Kopf. Beate Morgenstern

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Nest im Kopf - Beate Morgenstern

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      Beate Morgenstern

      Nest im Kopf

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Vorbemerkung

       1

       2

       3

       4

       5

       6

       7

       8

       9

       10

       11

       12

       13

       14

       15

       16

       17

       18

       19

       20

       21

       Impressum neobooks

      Vorbemerkung

      Gottshut gibt es auf keiner Landkarte. Es ist ein Ort meiner Erinnerung. Erinnerungen täuschen, irren, verwandeln. Es ist ein Ort meiner Fantasie. Auch andere im Buch genannte Dörfer und Städte, sofern sie nicht authentische Namen tragen, entstammen der Welt meiner Fantasie, ebenfalls die Menschen. Falls Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen bestehen, sind diese zufällig und nicht beabsichtigt. Die verwendeten Dokumente sind authentisch, die Namen darin hauptsächlich dann verändert, wenn sie im direkten Zusammenhang mit einer literarischen Figur stehen.

      B.M.

      In der Nacht, bevor Anna nach Gottshut fuhr, hatte sie diesen Traum:

      In der Mitte der Dunkelheit sah sie Licht wie über einem Moor. Sie glitt auf das Licht zu. Da löste es sich in Helligkeiten und Dunkelheiten auf aus denen sich Bilder formten. Sie erkannte sich als Fünf- oder Sechsjährige an den hellen Locken, die spiralförmig den Kopf herunterhingen. Obwohl sie als Älteste die Geschwister überragte, schienen sie sonst alle in einem Alter.

      Sie hielt die Fotos in den Händen und sah voller Glück eine Zeit abgebildet, von der sie bisher nur eine schwache Ahnung gehabt hatte. Die Kinder, hellhaarig und wenig bekleidet, saßen einträchtig auf einer alten Holzbank, dann wieder waren sie in ein Spiel vertieft, und nur eines schaute sie an, und das war immer sie selbst. Die Fotos ähnelten in gewisser Weise denen, die sie schon kannte. Die Kinder waren in Licht- und Schattenflecken eines Laubwaldes getaucht, sodass sie erst genau hinsehen musste, um die Gesichter zu erkennen. Die Fotos bekamen eine ungeheure Tiefe, als könne sie hineingreifen wie in ein offenes Fenster. Mit Bestimmtheit wusste sie jetzt, dass die Kinder sich auf dem mit Buchen bewachsenen Berg befanden. Sie spürte den herben Geschmack der Bucheckern auf der Zunge und die Splitter zwischen den Zähnen.

      Wem gehören die Fotos? fragte sie und stand auf einer langen, schmalen Straße. Wer hat die Fotos dreißig Jahre aufbewahrt, ohne dass wir davon wussten? Die Flickschneiderin, war die Antwort. Es konnte auch nur die Flickschneiderin sein, schien ihr. Sie ging die Straße hinauf zu einem Haus, von dem sie annahm, dass die Flickschneiderin darin wohne. Aber dort stand nur eine mit Grün überwucherte Ruine. Die Frau zeigte sich nicht. Wahrscheinlich war sie tot. So konnte sie nicht um die Fotos bitten, mit denen sie eine Zeit voller Frieden und Harmonie in die Gegenwart hinüberretten wollte. Ohne Einwilligung der Frau hatte sie kein Recht auf die Fotos. Sie entglitten ihren Händen. Eine unsagbare Traurigkeit erfüllte sie.

      Anna wachte auf.

      Lange Zeit hatte sie angenommen, dass alle Menschen in den Nächten von ihrer Kindheit träumten. Als sie herausfand, dass die Träume anderer Menschen, selbst die ihrer Geschwister, sich kaum mit der Kindheit beschäftigten, war sie beschämt. Sie sah nun in ihren Träumen eine Art Krankheit, die sie vor anderen besser verbarg. Doch hatte sie Anzeichen dafür bemerkt, dass die in der Kindheit empfangenen Eindrücke für jeden Menschen tief waren. Auch diejenigen, die jegliche Beziehung zu ihren Müttern leugneten, wurden von deren Tod plötzlich tief erschüttert und ertrugen es schwer, von da an nicht mehr Kind einer Mutter zu sein, niemanden mehr zu haben, der sie vor dem eigenen Tod schützte, niemanden, der ihnen voranging. Anna vermutete eine Nabelschnur, die insgeheim die Kinder ein Leben lang mit den Müttern verband, sodass sie sich erst nach dem Sterben der Mütter wirklich allein und dem Leben wie dem Tod ganz ausgeliefert fühlten.

      Hätte Anna es nicht besser gewusst, wäre sie im Glauben gewesen, sie träume die ganze Nacht und verbringe ihr eigentliches Leben in dieser Zeit. Außer von ihrer Familie träumte sie von dem Mann, den sie liebte. Die Beziehung bestand seit Jahren. Doch sie lebten nicht zusammen. Er hat sein Leben schon anders eingerichtet, hatte sie einmal einer Kollegin erklärt. Was er für sie empfand, darüber war sie sich nicht im Klaren.

      Meist lag Anna schon lange wach, ehe sie aufstand. Dennoch fiel ihr das Aufstehen schwer. Sie fürchtete die Prozedur des Duschens, Eincremens, Ankleidens und mehr noch als diese mechanischen Handlungen die Anstrengung der Verwandlung in den Tagmenschen. Saß sie erst einmal angekleidet am Frühstückstisch,

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