Nest im Kopf. Beate Morgenstern

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Nest im Kopf - Beate Morgenstern

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gründlich verändert, weil dies praktischer schien. Aus einem Schlafzimmer wurde ein Kinderzimmer, aus einem Kinder- ein Wohnzimmer, und das Wohnzimmer wurde zum Amtszimmer des Vaters erklärt. So brachte die Aussicht auf Wohnungswechsel die Mutter in freudige Erregung und ihre Nerven, die geringeren Strapazen kaum standhielten, erwiesen sich plötzlich als äußerst belastbar. Die Mutter plante, besprach sich mit dem Vater und den Geschwistern, verwarf, fand immer praktischere Lösungen für die Aufteilung und Einrichtung der neuen Wohnung.

      Anna hasste Umzüge und war hilflos, wenn ihre gewohnte Ordnung selbst für kurze Zeit durcheinandergeriet.

      Am Blumenfenster erkannte Anna das Amtszimmer des Vaters im Erdgeschoss. Eine Topfblume mit zart behaarten rötlichen Nesselblättern mochte Anna besonders. Es tat ihr leid, dass sie in Zukunft nicht mehr in dieses Fenster sehen konnte.

      Die Mutter schob das Rad in den Hof. Anna folgte ihr. Lautes Sprechen hatte jetzt zu unterbleiben. In dem den Brüderischen gehörenden Haus wohnten verschiedene Parteien - auch die Familie des zweiten Ortspfarrers - und die Mutter hatte das Verhalten der Großstädterin beibehalten. Gesprächen auf der Treppe wich sie aus. Husch-husch-durch, hatte sie einmal zu Anna gesagt, und Anna war betroffen gewesen, wie sehr sich die Scheu der Mutter mit ihrer eigenen schneckenhaften Empfindlichkeit vor der Berührung mit Nachbarn deckte.

      Das Wohnhöfchen, von allen Seiten mit Hausmauern umgeben, war mit Kopfsteinen gepflastert. In der Mitte ein Blumenbehälter, von der naturliebenden Frau des zweiten Pfarrers gepflegt.

      Die Mutter stellte das Rad in einem der Gelasse ab, Anna legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen.

      Sonnst du dich? fragte die Mutter.

      Nein, nein.

      Sie gingen eine Bodentreppe hinauf, die zugleich den inneren Eingang zur Wohnung bildete. Die Gästekammer befand sich hinter einem Abstellraum, die übrige Wohnung auf der anderen Seite.

      Du kannst wunschgemäß ganz für dich sein, sagte die Mutter und lächelte ironisch.

      Anna tat einen Blick auf die in der Bodenkammer aufgestellten Betten und den Ofen. Der Tisch stand in der Dachschräge an dem zum Garten weisenden Fenster. Die Blumen dort waren sicher für Anna frisch gepflückt. Das machte die Mutter immer, das durfte man von ihr bei aller Vergesslichkeit sonst erwarten. In der Bodenkammer konnten ganze Familien bequem ihren Urlaub verbringen, zumal auch ein Heißwasserboiler und eine Kochplatte vorhanden waren. Schade, dass ihr die Kammer verliert, sagte Anna.

      Ja, schade. Die Mutter pflichtete ihr bei. Ich hab noch nicht bezogen. Ich wusste nicht, in welchem Bett du schlafen willst. Frühstücken tun wir doch gemeinsam, ja?

      Gern.

      Mittagessen habe ich im Schwesternhof bestellt. So wolltest du es ja.

      Es ging darum, dass du dir keine Umstände machst.

      Aber es wäre kein Umstand gewesen.

      Nachher doch. Ich kenn dich. Anna strich der Mutter über die Wange. Das tat sie ganz leicht und von sich heraus. Sie folgte ihrem natürlichen Bedürfnis, etwas Kleines, Beleidigtes oder Hübsches zu liebkosen. Seit einiger Zeit hatte sie diesen zärtlichen Umgang mit der Mutter. In Annas Kindheit war die Mutter abweisend gewesen, und Anna hatte außer zu besonderen Anlässen nie gewagt, die Mutter zu berühren. Auch heute verhielt sie sich zu Frauen mittleren Alters mitunter gezwungen und ängstlich. Wahrscheinlich fürchtete sie in ihnen die kalten, Launen unterworfenen und schwer begreifbaren Mütter. Hingegen hatte Anna eine große Zuneigung zu alten Frauen und sah in ihnen über Jahre hin die in der Ferne lebende Großmutter. Irgendwann war die Mutter in dieses Alter hineingefallen und hatte sicher damit in Anna liebevolle Gefühle geweckt.

      Ach du, sagte die Mutter, wie sie zum Vater sagte, wenn sie sich - zwar noch etwas unentschlossen - mit einer Erklärung zufriedengab. Sie war nicht im Mindesten misstrauisch und leicht zu täuschen. Natürlich hatte Anna der Mutter nicht nur Arbeit ersparen, sondern sich auch ihre Unabhängigkeit bewahren wollen.

      In der Sommerszeit wurden alle Mahlzeiten im Garten eingenommen. Die Mutter hatte diese Gewohnheit aus Annas Kindheit wieder eingeführt. Die Mahlzeiten gestalteten sich zu Höhepunkten des Tages. Ob sie zehn, zwölf oder nur zwei Personen waren, die Mutter betrieb den gleichen Aufwand. Anna begriff sie mittlerweile, denn ihr Lebensinhalt hatte immer darin bestanden, den Kindern die Mahlzeiten zu bereiten und sie zu kleiden. So geriet ihr beides zum Ritual, hatte sie nur irgend Zeit. Anna hatte noch die Klage der Mutter aus ihrer Kindheit im Ohr: Es ist so schnell gegessen!

      Die Mutter schichtete in einem eigens für den Transport bestimmten kleinen Wäschekorb Geschirr und Besteck und gab Anna einen feuchten Lappen in die Hand. Abwischen! ermahnte sie.

      Anna ging die steile Bodentreppe hinunter, die wenigen Schritte über das Höfchen durch den ständig offenstehenden Durchgang in den hoch liegenden Garten. Ein Treppchen führte hinauf. Dann war Anna in diesem heimlichen, verschwiegenen Garten zwischen Ziegel- und Schieferdächern und Mauern.

      Er gehörte allen Hausbewohnern, jedem ein bestimmtes Stück. Das linker Hand bis zum Kirschbaum, Annas Eltern. Aller Boden war genutzt. Nicht einmal Trampelpfade hatte sich der Vater gegönnt. Ein Blumenbeet am Mittelweg, quer dazu Nutzpflanzen. Kaum erkennbar zwischen den gelb und orange leuchtenden Blüten der Kapuzinerkresse ein Durchlass zum Rasen unter dem niedrigen Kirschbaum. Anna balancierte, den Korb vor sich herschiebend, duckte sich unter die Zweige, die den Essplatz wie ein Gewölbe abschirmten. Doch drinnen konnte man aufrecht stehen. Hier war der Sommersitz der Mutter. Von diesem Kirschbaum berichtete sie in vielen Briefen. Der Kirschbaum blüht! Ich sitze unter dem Kirschbaum, die Blüten auf dem Tisch! Bald sind die Kirschen reif! Wenn Du nur kommen könntest! Die Mutter hatte eine große Lust am Sehen und begann jeden ihrer Briefe mit der Einführung in die besondere Stimmung des Tages, einem Blick in die sie umgebende Welt. Indem sie Anna und ihre Geschwister aufmerksam auf das machte, was sie als schön empfand, hatte sie ihnen ganz unbewusst ein Stück Lebensfreude weitergegeben.

      Die kleine Blumenvase auf dem Tisch war umgestoßen. Anna sah sich nach Wasser im Garten um und füllte die Vase. Sie lächelte bei dem Gedanken an den Spott, den die Mutter für den Tischschmuck mitten im Garten von der Familie aushalten musste.

      Die Mutter trug überbackene Käsebrote die Treppe herauf. Leicht ihr Gang, überraschend für eine beinahe Siebzigjährige. Sie schob sich unter den Zweigen durch und setzte das Tablett ab.

      Anna wartete, bis die Mutter die Augen schloss und ihr Gebet verrichtete. Als gehöre es sich nicht, eine Betende anzuschauen, sah sie zur Seite. War der Vater da, wurde laut gebetet. Doch allein tat es die Mutter still und ohne Aufwand. Auch darin lag Unterordnung, jetzt unter Anna.

      Ist es nicht schön hier? Die Mutter hatte ihr Gebet beendet.

      Einmalig. Anna blickte in die grün verschwimmenden Augen der Mutter. Es hätte auch alles anders kommen können, dachte sie. Wenn ich ihre Einzige gewesen wäre.

      Anna lobte die mit Tomaten- und Zwiebelscheiben unterlegten Käsetoaste.

      Es schmeckt dir also. Die Mutter öffnete ihren Mund zu einem breiten Lächeln und zog die Oberlippe über ihr künstliches Gebiss.

      Anna hielt einen Augenblick den Atem an. Wie Omi! fuhr es dann aus ihr heraus. So hat Omi gelächelt!

      Ja. Vater und Mechthild behaupten auch, ich würde ihr immer ähnlicher, stellte die Mutter befriedigt fest, und ihr Gesicht nahm den spitzbübischen Ausdruck alter Frauen an, die mit dem Hinweis auf ihre zunehmenden Lebensjahre unverhüllt kokettierten.

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