Nest im Kopf. Beate Morgenstern

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Nest im Kopf - Beate Morgenstern

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zum weiteren Geschehen, in das Anna nach und nach einbezogen war. Landsknechte fielen in das Dorf ein und schändeten auch den Friedhof, auf den die letzten Bewohner geflüchtet waren. Das beunruhigte Anna nicht besonders, denn bisher hatte sie sich selbst aus schwersten Scharmützeln retten können, und sie verstand sich gut auf das Kriegshandwerk.

      1

      Halb acht hatten sich die Mutter und Anna verabredet. Im Durchgangszimmer duftete es nach Kaffee. Annas Blick traf auf eine Farbfotografie in einem kleinen Eichenregal. Die Großmutter. Eine ähnliche Fotografie hatte die Großmutter Anna geschenkt: vor einem bräunlichen Kunstlichthintergrund in aufrechter Haltung, kaum die ovale Stuhllehne berührend, in einem glänzenden, graublau geblümten Seidenkleid mit breitem Kragen. Um den Hals eine silberne Kette, blaue Halbedelsteine wie in einen Spitzenbesatz eingefasst. Mit kaum wahrnehmbarem Lächeln sah die Großmutter in die Kamera. Die eng beieinanderstehenden blauen Augen stark vergrößert durch die Starbrille, der Blick gerade. Die grauweißen vollen Haare locker nach hinten gekämmt, die Gesichtsfarbe bräunlich, die durch das Lächeln stärker gerundeten Wangen von frischem Rot, dichter Flaum über der Oberlippe und am Kinn, die Lippen sichtbar, ein recht junger Mund. Die Gesichtshaut glatt gespannt. Eine strenge, jugendlich erscheinende alte Frau.

      Unwillkürlich nahm Anna das Bild aus dem Regal. So hatte sie die Großmutter unter dem Kirschbaum gesehen, nur war sie da milder gewesen. Überhastet stellte sie das Foto zurück. Die Mutter sollte sie jetzt nicht auf die Großmutter ansprechen. Noch war sie ihr durch den Traum zu nahe.

      In der Küche hatte die Mutter den Frühstückskorb bereitet. Sie schaute auf die Uhr: pünktlich auf die Minute.

      Anna lächelte müde. Wie einfach es heute war, die Mutter zufriedenzustellen. Ich bin sowieso ein Frühaufsteher, sagte sie und verschwieg, dass sie schon über eine halbe Stunde in der Bodenkammer herumgesessen und auf die Uhr gesehen hatte.

      Morgenfrisch der Garten, dieses Zimmer unter freiem Himmel, betaut die Gräser und Blätter. Mit einem Mal fielen die eisernen Reifen der Müdigkeit und Konvention von Anna ab. Sie hätte wie als Kind in den Tag hineinspringen mögen. Guten Morgen, sagte sie, nickte nach allen Seiten und lachte.

      Wen begrüßt du? Warum lachst du?

      Entschuldige. Es kam so über mich.

      Himmelhochjauchzend ...

      Zu Tode betrübt, ergänzte Anna und legte die Hand auf den Mund, weil sie sich selbst albern fand. So hast du früher immer gesagt.

      Aus dir soll einer klug werden.

      Hast du früher auch immer gesagt. (Das war jedes Mal ein Friedensschluss gewesen, ein Angebot, wenn die Mutter resignierte.) Ich hab unheimlich gute Laune.

      Das ist ja dann schön.

      Während des Frühstücks wurde Anna von der Mutter bedient. Die Mutter genoss offensichtlich die Anwesenheit der Gasttochter in ihrem Sommerzimmer. Oft hatte sie Anna auf die Ähnlichkeit ihres Charakters mit ihrem Geburtsmonat hingewiesen. April, April, der weiß nicht, was er will. Nun fiel Anna die Ähnlichkeit der Mutter mit deren Geburtsmonat auf. Sie schien ihr aus genau dem kühlen, leicht zerreißbaren Stoff dieses Sommermorgens gemacht zu sein. Wenn Anna sich die Mutter vorstellte, dann meist in dünnen, blumigen Sommerkleidern und ganz jung wie auf frühen Fotografien.

      Ich hab von Omi geträumt. Sie lag im Liegestuhl hier unter dem Kirschbaum.

      So etwas. Hier ist sie doch nie gewesen. Die Mutter tat, als könne man nur wahrscheinliche Begebenheiten träumen.

      Ich hab's halt so geträumt.

      Was man so träumt. Die Mutter fand Gefallen daran, dass sie mit der Großmutter in einen von Annas Träumen hineingeraten war, erzählte ihrerseits Träume. Anna erinnerte sich, wie der Vater bei einem solchen Gespräch die Mutter und Anna sehr unwillig unterbrochen hatte. Nun konnten sie ihr Gespräch über Träume endlos ausdehnen.

      Und was hast du heute für ein Programm? Routiniert kehrte die Mutter in die Alltagswelt zurück.

      Programm, sagte Anna. Wie's kommt. Im Grunde war sie ratlos, wie sie die Woche durchstehen wollte. Ich hab mir Bücher mitgenommen, die ich unbedingt lesen möchte.

      Einen Tag solltest du wenigstens ins Gebirge fahren.

      Bloß nicht. Mich da tottrampeln lassen.

      Du musst es wissen.

      Du hast jedenfalls dein Programm. Anna stand auf und schichtete das Geschirr in den Korb. Um meins mach dir keine Gedanken. Und den Abwasch erledige natürlich ich.

      Sehr lieb von dir. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was vor mir liegt.

      Doch. Ist ja nicht das erste Mal.

      Aber jetzt müssen wir uns so verkleinern, klagte die Mutter.

      Einmal muss es sein, sagte Anna.

      Hast du auch wieder recht. Geh wenigstens spazieren. Ein bisschen Bewegung schadet dir nicht.

      Hast du eigentlich schon die Alben und Familienpapiere weggepackt?

      So ziemlich. Ich finde immer noch mal was.

      Und wohin hast du die Sachen getan?

      Erst mal in die alte Truhe neben der Tür zur Gästekammer.

      Nehmt ihr alles mit?

      Ja, weiß noch nicht. Das bespreche ich mit Vater.

      Wenn nicht ...

      Ja. Du hast es mir oft genug gesagt. Die Mutter wurde gereizt.

      Anna verstand sie nicht. Schon so vieles aus dem Nachlass des Urgroßvaters war verschwunden, ohne dass die Mutter sich aufregte. Aber freiwillig gab sie nichts aus der Hand. Sorgte sich die Mutter um ihr Alter, wollte sie dann, vom Vater allein gelassen, einen Blick zurück tun? Sie sicherte sich ab, hielt sich alle Möglichkeiten offen, das war es wohl. Noch lebte sie mit dem Vater dessen Leben. Wie das ihre danach aussehen würde, Annas Großmutter hatte es Anna gegenüber einmal sehr nüchtern formuliert: Danach wird ihre eigentliche Prüfung kommen.

      Ich werde erst mal zum Altan raufgehen, sagte Anna. Wo habt ihr den Schlüssel?

      Wir haben keinen mehr. Die Mutter verzog ihren Mund zu einem vieldeutigen Lächeln.

      Ach so. Anna schnaubte verächtlich. Sobald sie von einer Kränkung erfuhr, die den Eltern in ihrer langen Amtszeit zugefügt wurde, erklärte sie sich mit ihnen solidarisch. Das fiel ihr um so leichter, als sie meist nicht die Gründe dafür kannte. Natürlich wusste sie, dass sich die Eltern den größten Teil Schuld selbst zuzuschreiben hatten. Aber sie ignorierte absichtlich, gestand sich zu, ungerecht zu sein, wenn es um ihre Familie ging. Wie sie als Kind ihre Geschwister verteidigt hatte, so war sie auch heute noch bereit, ihre Familie vor Angriffen zu schützen. Warum hatte der Vater den Schlüssel zum Altan, dem Gottshuter Aussichtsturm, abgeben müssen? Alle Alteingesessenen besaßen einen Schlüssel. Solange die Eltern ihn noch hatten, war etwas von der ursprünglichen Schlüsselgewalt des Vaters übrig.

      Der zweite Ortspfarrer hatte seine Wohnung auf demselben Flur wie die Eltern. Seine Frau wandte, nachdem sie Anna erkannt hatte, ihren

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