Fälschung. Ole R. Börgdahl

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Fälschung - Ole R. Börgdahl

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in Richtung seines Schreibtisches, der außerhalb des Lesesaals stand. Sie gingen gemeinsam hinüber, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

      »Ich suche etwas«, wiederholte Heinz Kühler, als sie den Arbeitsplatz erreicht hatten. »Ich habe einen Begriff und den Titel eines Bildes des Malers Paul Gauguin. Leider fehlt mir eine Abbildung. Haben Sie die Möglichkeit danach zu suchen?«

      »Wir haben selbstverständlich eine elektronische Stichwortsuche«, erklärte der Instruktor, »aber es kommt natürlich auf das Stichwort an, das Stichwort darf nicht zu trivial sein, ansonsten gibt es zu viele Treffer.«

      »Ich habe drei Begriffe. Gauguin, Hirtin und bretonisch. Lässt sich damit etwas machen?«, fragte Heinz Kühler.

      Der Instruktor nickte. Er hatte sich die Begriffe sofort notiert und suchte jetzt nach der richtigen Software auf seinem Computer.

      »Es wird sicherlich einen Moment dauern. Sie können sich wieder setzen. Ich werde an Ihren Tisch kommen«, sagte er und blickte zum Eingang des Lesesaals.

      Heinz Kühler blieb noch einige Sekunden stehen, als habe er nicht richtig verstanden. Dann bedankte er sich und ging wieder zurück an seinen Schreibtisch. Es dauerte eine halbe Stunde. Der Instruktor hatte sogar einen Band unter dem linken Arm, als er wieder langsam und diesmal noch bedächtiger den Lesesaal durchschritt. Er legte das Buch auf den Tisch an Heinz Kühlers Platz ab und blätterte nach einem Lesezeichen, das er hineingelegt hatte. Heinz Kühler erkannte das Bild sofort. Das Mädchen hatte eine dicke Nase und grobe, etwas dümmlich wirkende Gesichtszüge. Beim zweiten Hinsehen waren ihre Gesichtszüge aber wohl eher das Ergebnis täglicher, harter Arbeit schon von Kindesbeinen an. Er kannte das Bild, weil er es bereits gestern einmal gefunden hatte. Das Aquarell hatte nichts mit der kleinen Julie aus der Südsee zu tun, nicht das Geringste. Er bedankte sich bei dem Instruktor und versuchte seine Enttäuschung zu verbergen.

      Er hatte bis zum Abend noch einige Kataloge vor sich. Einen vermeintlichen Treffer, wie der mit dem bretonischen Mädchenkopf, erzielte er nicht mehr. Das Fazit der vergangenen beiden Tage war ernüchternd. Die Tate Gallery konnte ihm nichts über das Gauguin-Gemälde sagen, das zu diesem Zeitpunkt in München, im Keller des Kunst- und Auktionshauses Blammer sicher verwahrt wurde. Bei allem, was er bisher recherchiert hatte, gab es im Werk des Malers Paul Gauguin keinen Hinweis auf ein kleines Mädchen namens Julie. Es gab keinen Anhaltspunkt auf eine Julie des Bois, es gab auch keine bretonische Bauerntochter, die mit dem Mädchen auf dem Ölgemälde Ähnlichkeit hatte, es gab nicht einmal irgendein Kind in den Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, das der Kleinen mit dem Sonnenhut glich. Heinz Kühler gähnte, als er sich aus der Liste der anwesenden Besucher im Tate-Archiv in London austragen ließ. Draußen, auf dem Platz, atmete er die frische Luft tief ein und rieb sich die Augen.

      *

      Florence war in Gedanken. Sie formte das Wort Fotografie lautlos mit ihren Lippen. Und dann war es wieder da, wieder vor ihrem Auge, jetzt erinnerte sie sich. Die Fotoausstellung in einem der Stationsflure. Es war in der orthopädischen Abteilung und einige hingen auch in der Inneren. Sollte das ein Zufall sein. Sie betrachtete sich das Bild des Ölgemäldes auf ihrem Computermonitor. Sie glaubte, das Gesicht des kleinen Mädchens schon einmal auf einer Fotografie gesehen zu haben oder gab es nur Ähnlichkeiten. Ohne weiter zu zögern machte sie sofort einen Schwarz-Weiß-Ausdruck. Der Drucker in ihrem Büro ratterte und schob das Blatt langsam heraus. Sie nahm es, wedelte noch ein paar Mal damit und verließ dann ihr Büro in Richtung der Krankenstationen. Die Fotogalerie, die sie suchte, gehörte ursprünglich zu einer Ausstellung im Gemeindehaus von Taiohae. Vor zwei oder drei Jahren wurden die Bilder dann als Dauerleihgabe an das Krankenhaus gegeben, wo sie jetzt in den Fluren der beiden Stationen hingen. Florence war schon häufig daran vorbeigelaufen und hatte sich die Aufnahmen immer mal wieder angesehen. Die Bilder stammten aus einer Zeit, als erst wenige Franzosen auf den Marquesas lebten. Das europäisch geprägte Leben in Polynesien spielte sich um die Jahrhundertwende mehr auf Tahiti ab. Die Marquesas lagen eher abseits davon, eigentlich lagen sie auch noch heute abseits der polynesischen Metropolen, aber es hatte sich mit dem Flugverkehr und den schnellen und recht häufigen Schiffsverbindungen natürlich schon sehr viel verändert. Florence erreichte die orthopädische Abteilung. Diese Station war dem Haupteingang des Krankenhauses am nächsten. Gleich hinter der Verbindungstür im Flur, von dem die gut zehn Zimmer abgingen, begann die Galerie der Aufnahmen. Die Bilder waren vergrößert worden, etwa in den Abmaßen eines Schreibmaschinenblattes. Bei einigen Aufnahmen hatte es dazu geführt, dass Details zum Teil verschwommen wirkten. Auf beiden Seiten des Flures hingen die Bilder, alle etwa im Abstand von einem Meter und alle auf gleicher Höhe. Die Rahmen waren größer, sodass die Aufnahmen als Passepartout von einem breiten weißen Rand umschlossen waren. Sie schritt die Galerie ab. In der Hand hielt sie den Ausdruck. Die Bilder an den Wänden zeigten Menschen, hauptsächlich die Ureinwohner der Marquesas, aber es waren auch europäische Gesichter darunter. Es gab Szenen an Anlegestellen, Fischer auf ihren Booten, das Anlanden von Waren oder Postsäcken nach Ankunft eines Versorgungsschiffes. Es gab eine Aufnahme vor einem der ersten Hotels auf Nuku Hiva, im Vordergrund hatten sich die Angestellten versammelt. Florence kannte das kleine Haus sogar. Das Hotel war mittlerweile etwas erweitert worden und heute in einer dunkleren Farbe gestrichen. Unter jedem Foto stand in Bleistift, ganz zart, der Ort, an dem die Aufnahmen entstanden waren und eine Jahreszahl. Florence erinnerte sich, dass noch in der Ausstellung im Gemeindehaus, neben den Fotoaufnahmen kleine Schildchen mit kurzen Erklärungen aufgehängt waren. Die Schildchen fehlten jetzt und waren durch die sorgfältigen Notizen ersetzt. Es gab Fotos, die auf Nuku Hiva, auf Hiva Oa und auf Ua Pou gemacht worden waren. Die Jahreszahlen hatten eine Spanne zwischen 1897 und 1905. Florence suchte nach einer Aufnahme, die sie im Geiste vor sich sah, an die sie sich eben in ihrem Büro erinnert hatte. Es handelte sich um ein Foto vom Strand, mit einem Boot im Zentrum des Bildes. Es war ein kleines Boot mit einem Mast, es gehörte vielleicht auch einem Fischer, der täglich in der Nähe der Inseln seine Netze auswarf. Die Boote, mit denen die Leute weit auf das Meer hinausfuhren, waren größer, es waren richtige kleine Schiffe, mit einem Deck und Laderäumen. Mit diesen Schiffen entfernten sich die Fischer weit von den Inseln und fuhren auf den Pazifik hinaus. Es war das Boot und es war das Gesicht des Mädchens. Beides hatte Florence schon einmal auf einem der ausgestellten Fotografien gesehen. Jetzt wo sie an der Galerie der Schwarz-Weiß-Bilder vorüberging, erinnerte sie sich an das, was sie suchte. Auf einem der Fotos befand sich ein Boot im Mittelpunkt der Aufnahme. Es waren Erwachsene, Halbwüchsige, Kinder, es waren Männer, Frauen, Jungen und Mädchen, die links und rechts neben dem Boot standen und sich fotografieren ließen. Florence war überzeugt, dass eines der Kinder ebenfalls einen Sonnenhut trug, genauso einen, wie die Kleine auf dem Ölgemälde. Sie schritt weiter an der Bildergalerie vorbei. Sie hielt sich jetzt nicht mehr damit auf, jede einzelne Fotografie genau anzusehen. Sie suchte nach dem Motiv, nach der Strandszene. In der Orthopädie hingen gut zwanzig Bilder. Aufnahmen vom Strand waren zwar auch darunter, aber nicht dieses eine, das sie suchte. Es gab noch einen Flur im Krankenhaus, auf der anderen Seite des Gebäudes, auf dem die übrigen Bilder aufgehängt waren. Florence verließ die Orthopädie. Jede Station hatte von außen einen Zugang. Vor dem Krankenhaus verlief ein breiter gepflasterter Weg, von dem die Eingänge zu den einzelnen Stationen abgingen. Sie verließ das Gebäude. Sie ging auf dem Weg, bis ans andere Ende des Komplexes und betrat dann die Abteilung für Innere Medizin. Bereits in dem kleinen Vorraum, von dem die Ärztezimmer und Behandlungsräume abgingen, hingen einige der übrigen Fotografien aus der ehemaligen Rathaus-Ausstellung. Jetzt wusste sie auch, warum sie sich so gut an das Bild erinnern konnte. Auf die Flure der Stationen kam sie eher selten. Hier in diesem Vorraum hatte sie aber mehr als einmal gewartet. Es kam oft vor, dass sie die Ärzte beriet, wenn es um die richtigen Medikamente für einen Patienten ging. Die Gespräche fanden zumeist in den Ärztezimmern auf den Stationen statt. Bei den Terminen musste sie oft noch warten, wenn gerade ein Patient im Behandlungsraum versorgt wurde. Dann hatte sie häufig die Zeit, sich die Fotografien anzusehen. Sie kannte die Aufnahmen hier in der Inneren daher besser als die Bilder, die in der Orthopädie hingen. Das Foto, das sie suchte, fand sie sofort. Es gab sogar noch ein zweites Bild, auf dem das kleine Mädchen zu sehen war und sie war es tatsächlich. Die Ähnlichkeit

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