Walpurgisnackt. Sara Jacob
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Feldforschung
I
Samstag, 27. April 1599
Schwere Wolken verdunkelten den Morgenhimmel über dem Harz. Das Licht schwand, der Wind frischte auf, drückte die Kronen der mächtigen Eichen nieder, der hellgrün belaubten Kastanien, der dunklen Tannen. Die ersten Körner rieselten herab, prasselten schließlich, wehten in Schwaden, tauten schließlich zu blassen Pfützen und versickerten zwischen halb vergammelten Krokussen, von der Lichtarmut und Kälte des Frühlings geschwächten Hyazinthen und dem ersten blauen Lattich.
An jenem Tag, während er von Quedlinburg kommend in die Ausläufer des Harzes vordrang, schlief Professor Ludwig Bechstein unruhig und träumte hektische, kurze Träume, die aufflammten und erloschen wie Lichtreflexe auf einem Wasserfall. Sein Kopf mit dem pelzbesetzten Barett war leicht zur Seite gekippt, wippte auf und ab, rollte in einem Halbkreis nach vorne, bis der Professor mit einem leisen Grunzen die Nase in den Fahrtwind hob und mit faltigen Lippen schmatzte. Anschließend kippte der hagere Kopf wieder nach rechts auf die Schulter, und das Spiel begann von neuem.
Schwankend träumte er von seinem Ziel, das zwei Jahre zuvor zu seiner heiligen Mission geworden war, eine Mission, die den Horizont des Menschen erweitern sollte, die schließlich einen weiteren Beitrag zur enzyklopädischen Bildung des Menschen im Sinne Erasmus von Rotterdams darstellen würde. Im Traum tanzten schon vor Langem beiseitegelegte Bücher um ein Feuer herum, fraßen Singvögel Heilkräuter, kochte die Natur selbst in Gestalt einer großen Eiche Suppe in einem großen Kessel.
Bechstein oblag es, jedem Vogel und jedem Kraut einen Namen zu geben. Bevor er dieses gewaltige Werk jedoch vollenden konnte, stand er wieder in Greifswald an der Universität und erhielt erneut eine Ehrung für seine Veröffentlichungen.
Mein bescheidener Ruf, träumte der Professor, jetzt sollte, Gutenberg sei gedankt, eine Buchreihe über den Menschen folgen und den Ruf vergrößern.
Bechstein hatte von einem alten Freund in Stettin den Auftrag bekommen, dessen Sohn Haribald gegen großzügige finanzielle Unterstützung auf seine Forschungsreise mitzunehmen. Rückkehr zu den Quellen, war es vom Professor Bechstein Haribalds Vater gegenüber genannt worden, Grundlagenforschung Als Gegenleistung sollte dem Jungen eine umfassende Erziehung zuteilwerden, die ihm bislang versagt geblieben war. Bechstein hatte versprochen, den Jungen seinen Standort in der Welt finden zu lassen. Erst ein paar Wochen später, als er bereits mit Haribald unterwegs war, fiel ihm ein, wie wenig der alte Freund von den Zielen der Reise hatte wissen wollen.
Ein Freund, der ihm im Traum die Hände schüttelte, sich auf einen Besen setzte und davonflog, während die umstehenden Menschen sich bekreuzigten und mit Hufeisen jonglierten, als wären sie Gaukler auf einer Maifeier. Dann träumte Professor Bechstein, wie die Erde in Stettin angefangen hatte zu beben und schreckte aus seinem Schlaf hoch. Die schmale Brille war auf seine Nasenspitze gerutscht, das Barett hing ihm in die Augen.
Die Kutsche rumpelte über einen Stein. Vorbei an dichtem Unterholz huschte das Gefährt, ab und an schlug ein Ast gegen das Verdeck, drang ein Lichtstrahl durch die Kronen und glitzerte auf den Pfützen, die der jüngste Aprilschauer hinterlassen hatte.
Professor Bechstein rückte die Brille auf seiner Nase zurecht und rieb sich die Augen.
»Haribald, mein Junge, wo sind wir?«
Haribald drehte seinen Kopf. Die Feder auf seinem Hut wippte im Takt der Schritte.
»Zwei Stunden nach Treenberg«, keuchte er pathetisch und stolperte fast über einen Stein. Bechstein wusste noch immer nicht, was er von dem Jungen halten sollte. Sie waren erst seit gut zwei Monaten unterwegs, hatten auf dem Weg nach Süden Rostock und Schwerin gestreift, und in der Zeit hatte Bechstein versucht, ihm eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie sehr die Dinge des Lebens miteinander verwoben waren.
Es gab nicht nur Bier und Mädchen. Wer die Welt als Ganzes verstehen wollte, musste sich mit der Naturwissenschaft beschäftigen, mit der Philosophie und Theologie, vor allem aber mit dem Menschen und seiner Natur. Gleichwohl spürte der Gelehrte an manchen Tagen einen Widerwillen in dem Jungen, der sich nur schwerlich überwinden ließ.
Wenigstens heute war Haribald folgsam und tat, worum man ihn bat. Ohne Pause lief er jetzt seit fast zwei Stunden, das machte sein letztes Versehen zumindest im Geiste wieder wett.
»Dann kannst du jetzt ein wenig langsamer laufen, denn wir liegen gut in der Zeit«, sagte der Professor und zog seinen ergrauten Schädel wieder ins gekrauste Hemd zurück. Haribald lächelte erleichtert. Der Alte hatte also von der kleinen Pause unter den Bäumen nichts mitbekommen.
Für alle Himmelskörper oder Sphären gibt es nicht nur einen Mittelpunkt, pflegte Bechstein zu sagen, wenn Haribald wieder einmal nicht verstand, in welchem Zusammenhang die Schädelknochen des Menschen mit der Kunst des Fechtens standen. Man müsse versuchen, über den Tellerrand hinaus zu blicken, es ginge nicht um den Sinn der Naturerscheinungen, sondern um deren Ursachen.
Der dunkelhaarige Junge zog dann immer die Augenbrauen hoch, zuckte mit den Schultern oder entgegnete leise: »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.« Kopernikus konnte ihm gestohlen bleiben, das aber sagte er nie.
Es war nicht seine Entscheidung gewesen, dem Professor als Assistenten zu dienen, sein Vater hatte für ihn entschieden. Nie wäre Haribald auf die Idee gekommen, sein geliebtes Stettin und die vielen einsamen Momente am Strand, in denen er Rötelzeichnungen von einlaufenden Schiffen anfertigte, einzutauschen gegen ein unstetes Leben auf Reisen, bergauf und talab dem Professor seine Taschen hinterher tragend, immer auf der Suche nach Beweisen und Belegen, um die sich die Mission des Alten drehte.
Stettin, die frische Brise, der Salzgeruch und das Haff, die windschiefen Bäume, die Kiefern am Strand, war seine Heimat, und alles, was Haribald gewollt hatte, war malen und träumen und die Träume malen. Die Bahn der Gestirne interessierte ihn ebenso wenig wie der andere Unsinn, mit dem ihn Professor Bechstein jeden Abend mästete.
»Hättest