Auch Vampire brauchen Liebe. Heike Möller

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Auch Vampire brauchen Liebe - Heike  Möller

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musst wieder zur Ruhe kommen, Addi. Ganz ruhig!< Als ob diese Selbstsuggestion in letzter Zeit geholfen hätte!

      Seit drei Wochen hatte er Nacht für Nacht denselben Traum. Er endete jedes Mal mit den Augen in Lapislazuli-blau. Aber das war nicht das Schlimmste. Neuerdings spürte Adolar regelrecht den Körper der Frau in seinen Armen, ihre Wärme, ihre Weichheit.

      Und er begehrte sie!

      „Sigmund, wenn du noch leben würdest, würde ich dich jetzt brauchen, mein Freund.“ Seufzend ließ er sich auf das Bett zurückfallen.

      Es war kurz vor zwei Uhr morgens. Adolar musste nicht auf einen Wecker sehen, um das in Erfahrung zu bringen. Seit Jahrhunderten hatte er einen inneren Wecker, der ihn nie im Stich ließ. Nur zur Bestätigung schweifte sein Blick zu dem Wecker auf seinem Nachttisch. Innerlich aufgewühlt trommelte er mit den Fingerspitzen auf seiner Decke aus Seide. Aber er fühlte den Stoff nicht.

      „Was soll’s?“, murmelte Adolar, schlug die dünne Decke zurück und schwang sich aus dem Bett. Ohne Licht anzuschalten ging er in das Ankleidezimmer, nahm sich eine schwarze Hose und einen schwarzen, eng anliegenden Pullover und zog beides an. Kurz überlegte er, ob er Schuhe anziehen sollte, entschied sich dann aber dagegen.

      Seine Beute würde ihn deutlich weniger hören, wenn er barfuß unterwegs war.

      Kurz zögerte Adolar noch, dann öffnete er eines der drei Fenster in seinem luxuriösen Schlafzimmer in dem Ostflügel seiner Burg. Tief atmete er die frische und würzige Nachtluft ein.

      Ein schwacher Geruch von äsendem Dammwild wehte zu ihm herüber und er knurrte hungrig. Ein letztes Zögern, dann kletterte er aus dem Fenster und ließ sich kopfüber wie eine Eidechse an der Burgmauer hinab. Eine Fähigkeit, die etwa nur ein knappes Dutzend seiner Art beherrschte. Im Innenhof verharrte Adolar kurz und lauschte, schnupperte. Alles war in Ordnung. Sein Personal schlief tief und fest und hatte keine Ahnung, was es mit dem Burgherren auf sich hatte.

      Adolar grinste. Es war auch besser so. In diesem Teil der Welt wurden die Mythen noch ausgelebt. Und unter Umständen auch bekämpft!

      Adolar setzte zum Sprung an und landete geschmeidig auf der Burgmauer. Kurz vergewisserte er sich, dass niemand außerhalb seines Domizils herum streunte und sprang dann hinab, rannte im Jagdtempo in den Wald. Dem Geruch des Dammwildes folgend.

      Adolar blieb gelegentlich stehen und überprüfte die Luft nach möglichen Zeugen. Oder Feinden.

      Er hatte kein Verlangen auf eine Begegnung mit Wölfen, die einen instinktiven Hass auf Vampire hatten. Ihm selbst waren diese Tiere herzlichst egal. Er ließ sie in Ruhe, sofern sie ihn Ruhe ließen. Aber ein Kreuzen des Jagdreviers konnte zu Kämpfen führen.

      Und nicht immer ging ein Vampir als Sieger hervor. Vor allem dann nicht, wenn die Wölfe tatsächlich im Rudel agierten. Vor anderthalb Jahren hatte er selbst die Bekanntschaft mit Wolfszähnen an seinem Hals gemacht, sein Leben wäre nach tausend Jahren beinahe zu Ende gewesen.

      Menschen stellten ein anderes Problem dar. Adolar beschränkte sich weitestgehend bei seiner Nahrungsaufnahme auf Blutkonserven oder frisches Tierblut. Selten nährte er sich von frischem Menschenblut. Es war ihm lästig geworden, die Gemüter seiner ´Spender` zu beruhigen und deren Geist zu kontrollieren, deren Erinnerung zu löschen.

      Adolar konzentrierte sich wieder auf die Dammwildherde. Er prüfte den Wind und näherte sich den Tieren gegen die Windrichtung. Seine ansonsten grauen Augen waren jetzt eine einzige schwarze Masse. Selbst das Weiß war verschwunden. Er nahm durch das Gebüsch und das Unterholz die warmen Körper der Tiere wahr, hörte und sah ihren Herzschlag. Ein großer Hirsch mit seinem Harem, einigen Jungtieren und Kälbern.

      Ein Jungtier fiel Adolar auf. Es hinkte. Adolar konzentrierte sich auf den jungen Bock. >Der linke Hinterlauf ist gebrochen. Wahrscheinlich würdest du morgen sowieso Beute von Wölfen werden!<

      Adolar sicherte nochmals seine Umgebung. Kein Wolf, kein Mensch waren in der Nähe. Er unterdrückte das aufgeregte Knurren und ließ seine oberen Eckzähne und die zweiten Schneidezähne ausfahren. Bei Menschen würden die Eckzähne genügen, um die Halsschlagader zu öffnen und sich zu nähren, aber bei größeren Säugetieren ging er auf Nummer Sicher. Ein letzter prüfender Blick, ob der Weg zu dem verletzten Jungbock frei war, dann sprintete Adolar los.

      Die Herde bemerkte ihren tödlichen Feind erst, als der Räuber sich den Jungbock gegriffen hatte und ihm zielsicher in die Kehle biss. Panisch stoben die Tiere auseinander, der prachtvolle Hirsch zuerst, dicht gefolgt von seinen Frauen mit den Kälbern.

      Adolar achtete gar nicht mehr auf die übrigen Tiere. Er hielt den Bock fest umklammert und zerfetzte ihm seine Hauptschlagader mit seinem scharfen Gebiss. In Todesangst versuchte sich der Jungbock zu befreien, zappelte, trat um sich.

      Aber Adolar war erfahren genug. Und er war stärker als zehn Männer durchschnittlicher Stärke. Das warme Blut aus dem Tier erhöhte zusätzlich seinen Adrenalinspiegel, was wiederum seine Kraft ins Unermessliche steigerte. Der Jungbock hatte gute Weideflächen gehabt, dass erkannte Adolar am Geschmack des Blutes. Viele Kräuter und gesunde Wiesen, aber auch Tanne und Tannenzapfen waren auf seinem Speiseplan. Langsam rann der Lebenssaft durch seine Speiseröhre, passierte den natürlichen Schließmuskel, der seinen normalen Magen vor der Zufuhr des für das Organ ungenießbaren Lebensmittel bewahrte. Das Blut floss in die Abzweigung zu dem kleineren Magen, der die Flüssigkeit aufnahm und einlagerte wie in einem Depot.

      Der Jungbock bewegte sich bald nicht mehr. Adolar nahm noch ein paar kräftige Züge und löste sich dann langsam von dem weichen Fell. Schwer atmend ließ er seine Sinne die Umgebung abtasten. Nichts hatte sich verändert, immer noch keine Wölfe oder Menschen in Hör- oder Geruchsweite.

      Er leckte sich die Lippen ab und ließ dabei seine Zähne wieder einfahren. Rasch wischte er sich das Blut aus dem Gesicht, schulterte den Kadaver und ging tiefer in den Wald, auf die Schlucht zu, die in den letzten Wochen eine Rolle in seinen Träumen gespielt hatte. Als er das dichte Unterholz verließ und am Rande des Felsens stand genoss er den Ausblick. Seine Augen waren äußerlich wieder menschlich und grau, konnten jedoch die Schatten der Nacht unterscheiden und Farben und Spektren erkennen. Das Sternenmeer war einem Kaleidoskop gleich bunt und schillernd, die Luftströme glitten in den verschiedenen Höhenlagen aneinander vorbei und verwoben sich miteinander. Die Insekten der Nacht vollführten wahre Tänze des Lebens.

      Seufzend entledigte sich Adolar des Kadavers, indem er ihn einfach in die Schlucht warf.

      „Ich danke dir, mein Freund, dass du mich genährt hast“, murmelte er einem Gebet gleich, drehte sich um und lief schnell in die Burg zurück. Adolar nahm denselben Weg in sein Zimmer zurück, den er beim Verlassen gewählt hatte. Leise schloss er sein großes Fenster und ging in sein Badezimmer.

      Die Bodenfliesen aus rötlichem Rosso-Verona-Marmor mir grünem Verde-Alpi gemischt vermittelten seinem Betrachter nicht nur Luxus, sondern auch Geschmack. Die Badewannenumkleidung der XXL-Badewanne war aus Granit, einen Ton heller als der Rosso-Verona. Die Dusche war ebenfalls geräumig und der Einstieg ebenerdig.

      Adolar Cerný hatte beim Umbau seines Badezimmers darauf bestanden, den Boden und die Duschkabine mit rutschfesten Fliesen zu versehen. Er hasste es, wenn er auf Fliesen mit nassen Füssen ins Rutschen kam, auch wenn es für ihn keine Gefahr bedeutete.

      Angezogen stellte er sich in die Dusche und stellte das Wasser an. Das Wasser kam erst kalt aus dem Hahn, aber das machte ihm nicht viel aus. Eine Überempfindlichkeit gegenüber Temperaturen zwischen Minus 20° und Plus 50° Celsius war nicht vorhanden.

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