Die Lohensteinhexe, Teil V. Kristian Winter (winterschlaefer)

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Die Lohensteinhexe, Teil V - Kristian Winter (winterschlaefer)

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hatte lange gedauert, bis er sich wieder fing. Danach bemühte er sich, das Ganze zu vergessen. Zwar war es ihm noch nicht gelungen, aber er verspürte keinen Hass mehr. Er vermochte jetzt unvoreingenommener und vor allem gerechter über sie zu urteilen und begann zu begreifen, dass er für sie nur eine Figur in einem Spiel gewesen war. Zwar hatte sie ihm ein weiteres Mal das Leben gerettet, doch auch das nur wegen ihres Vorteils.

      Dennoch hatte sie etwas, was einen solchen Eindruck auf ihn machte, dass er sie manchmal zum Teufel wünschte, im selben Moment jedoch schon wieder um sie sorgte. Dabei vermisste er sie jeden Tag, auch wenn er dieses Gefühl als Irritation, als quälendes Rudiment einer ‚Sinnestäuschung‘ abtat. Im Herzen fühlte er anders.

      Niemals wurde ihm das schmerzlicher bewusst, als in jenem Moment, da ihn die Nachricht von ihrem Tod erreichte.

      Demnach soll kein Geringerer als Marschall Tilly die Stadt mit seinem Heer geschliffen und geplündert haben, nachdem man ihm zuvor das Winterquartier verweigert hatte. Kaum ein Haus, das nicht verwüstet oder in Brand gesteckt, kaum ein Weib, das verschont wurde.

      Die meisten Ratsmitglieder wurden erschlagen oder zur Belustigung der aufgebrachten Menge aus den Fenstern geworfen, in Jauche gesuhlt und danach mit Tritten zum Richtplatz befördert, darunter auch Amtmann Kunze und Kunibert. Letzterem band man noch in demütigender Weise ein Schild um den Hals mit der Aufschrift ,misera limus‘, was nichts anderes als elender Schmutzfink bedeutet, bevor er auf dem Marktplatz öffentlich enthauptet wurde. Nicht besser erging es dem Kunze, dem man beide Hände abhackte und ans Stadttor nagelte.

      Maries Spur hingegen verlor sich im Nichts. Niemand wusste etwas über ihren Verbleib zu sagen. Doch war angesichts dieser Umstände ihr Überleben kaum wahrscheinlich.

      Als er sich dessen bewusst wurde, ließ ihn das erstaunlicherweise völlig kalt. Sagte er sich doch, dass jemand wie sie gar nicht sterben könne, da sie immer einen Weg fände, durch irgendeine Teufelei wieder herauszukommen. Dafür meinte er sie zu gut zu kennen.

      Diese Überzeugung war ihm bald so fest geworden, dass er tatsächlich daran glaubte und es nur für eine Frage der Zeit hielt, bis sie wieder vor ihm stünde.

      Und in der Tat war dieser Gedanke nicht so fern. Denn als er erfuhr, dass zur gleichen Zeit von einer Seherin die Rede war, die dieses Unheil kurz zuvor prophezeit und den gesamten Rat vor der Gefahr gewarnt haben soll - freilich, ohne ernst genommen zu werden – beschlich ihn ein ganz eigenartiges Gefühl.

      Nun hätte er dem sicher keine weitere Bedeutung beigemessen, wüsste er nicht aus verschiedenen Quellen, dass dieses Weib nicht nur außergewöhnlich schön und klug gewesen sei, sondern auch verschlagen und überaus kaltherzig. So soll Markgraf Gero höchst selbst auf ihren Ratschlag hin den Feldherrn nach Zahlung einer größeren Summe vom ursprünglichen Weg durch die hiesige Comturei abgebracht haben. Daraufhin wäre er geradewegs nach Wendenburg gezogen, wo das Unheil seinen Lauf nahm.

      Ob nun ein sachliches Kalkül dahinter stand oder einfach nur Glück blieb dahingestellt. In jedem Fall aber erwies sich diese Frau als Dürens Rettung, wofür er sie übrigens noch reichlich entlohnt haben soll.

      Das alles erschien ihm sehr merkwürdig, so dass er darüber nicht zur Ruhe kam. War das wirklich nur Zufall, am Ende gar nur ein Produkt seiner überreizten Nerven? Oder steckte eine höhere Notwendigkeit dahinter, die er nur noch nicht begriff?

      Meist saß er bis spät abends im Skriptorium des Ratshauses, den Kopf in die Hände gestützt und grübelte, verglich alte Prozessakten und Aussagen beeidigter Zeugen, stellte Analysen an und meinte bald ein Schema zu erkennen, wonach er solcherlei Zufälle zu erklären hoffte. Sobald er jedoch nach einer Verallgemeinerung suchte, brach alles wieder zusammen und er begann von Neuem. Das trieb er so lange, bis er es nicht mehr ertrug und die Akten entnervt beiseite warf.

      Kann es denn sein, dass sich etwas dauerhaft unserer Erkenntnis entzieht, obwohl es doch so offenkundig erscheint? resümierte er für sich im Stillen. Und wenn, warum kommt schon die Suche danach stets etwas Krankhaftem, ja Diabolischem, gleich, das man nur im Geheimen betreiben kann, um nicht in Verdacht zu geraten?

      Er kam zu dem paradoxen Schluss, dass die Natur der Suche letztlich unwesentlich bleibt, so lange das Resultat dafür entschädigt. Was macht es schon, wenn man vom Teufel besessen ist, wenn sich der Moment der Erleuchtung als klarste und letzte Einsicht in die Dinge darstellt, als ein unerhörtes, bis dahin nicht erahntes Gefühl der Auflösung und des verzückten Einswerdens mit sich selbst?

      Das schien ihm in jenem Moment durchaus plausibel, ängstigte ihn aber auch, da ihn solche Gedanken als gottlos entlarvten. Was blieb, waren Zweifel, die ihn fast bis in den Wahnsinn trieben. Das wiederum führte zu seiner zunehmenden Verunsicherung, was seinen Ruf als Sonderling verstärkte.

      Wenn er sich dann derart aufgewühlt auf den Heimweg begab, geschah das meist erst in der Dunkelheit, immer in der Angst, beobachtet und erkannt zu werden.

      Aber auch das war natürlich pure Einbildung, zumal er sich nach allem rehabilitiert wähnte. Sogar seinen alten Namen trug er wieder und bekannte sich offen zu seiner Vergangenheit.

      Dennoch behielt er wie zum Trotz seinen exzentrischen Lebensstil bei, pfiff auf alle Privilegien, die einem Mann seines Ranges zukamen und zog die kärgliche Kammer eines heruntergekommenen Bürgerhauses einem komfortablen Zimmer im hiesigen Stift vor.

      Auch verweigerte er als Diener Christi jede gebotene Askese, sondern gönnte sich schon mal einen Krug Wein in einer Taverne, wo er lautstark mit allerlei Grobvolk zechte.

      Doch das alles linderte seine innere Zerrissenheit nicht.

      Nur so ist es zu erklären, dass er neuerdings die Asche von gerösteten Krähenfedern an der Türschwelle zu verstreuen pflegte. Ebenso bewahrte er stets eine Flasche Schweineurin unter seinem Tisch auf. Jedoch nicht aus Aberglaube, wie er stets versicherte, sondern nur, um dessen Unwirksamkeit nachzuweisen, wie er überhaupt der Ansicht war, dass man Hexerei nur durch solcherlei Gegenbeweise widerlegen konnte.

      So war er denn entschlossener denn je, jeden okkultistisch motivierten Prozess fortan als Lüge und somit Mittel der Willkür zu entlarven.

      Kein Wunder, dass er sich schon bald mit einigen Befürwortern dieser Praxis überwarf, von denen es hierzulande reichlich gab. Bot doch diese Form der Exekutive unter dem Vorwand der Gottesfurcht ein probates Mittel zur Bewältigung ganz anderer Probleme. Außerdem war es noch nie zu einem Protest gekommen.

      Im Gegenteil - die dadurch ausgelöste Hysterie demonstrierte demnach nichts anderes als die allgemeine Zustimmung für die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit eines solchen Verfahrens. Schon deshalb konnte jeder daran offen geäußerte Zweifel nur vom Teufel selbst stammen.

      Darüber war er sich natürlich im Klaren. Doch sonderbarer Weise kümmerte ihn das nicht. Vielmehr wagte er, noch einmal nachzulegen, als könne er die Wahrheit damit erzwingen.

      So platzte er erst kürzlich in eine ‚peinliche Befragung‘ hinein und verspritzte vor der Inquisitin gleich eine halbe Flasche dieses stinkenden Urins, von dem man zu wissen meinte, dass er jede echte Hexe sofort verätzen müsse. Da jedoch nichts geschah und ebenso die gerösteten Krähenfedern keinerlei Wirkung zeigten, konnte er den Vorwurf sofort in Zweifel ziehen, und das, obgleich er in diesem Verfahren kein anerkannter Syndikus war.

      Damit verstieß er nicht nur gegen die allgemeine Gerichtsordnung, sondern düpierte vor allem den vorsitzenden Richter, Amtmann Devers – ein von sich eingenommenen Choleriker, der schrecklich viel aß und für gewöhnlich keinen Widerspruch duldete. Hinzu kam, dass jener die Beklagte bereits kurz

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