Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker Friedrich
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Manchen alten Reisegefährten führ’ ich dabei dem Leser vor und hoffe ihn nicht zu langweilen auf dem weiten Weg; schlafen wir dann auch manchmal draußen im Freien oder in niederer Blockhütte unter dünnem ‚Quilt’, müssen wir auch eine zeitlang mit Maisbrot und Wildbret, oder gar mit Speck und Sirup fürlieb nehmen, wie es der Farmer am Ohio liebt, wir lernen doch das Land kennen mit seinen guten und schlechten Eigenschaften, seinen Vorteilen und Mängeln, seinen Bürgern und Einwanderern, seinen inneren Verhältnissen, seinem Leben und seiner Lebenskraft, und bin ich imstande, ihn auch nur einen Blick in jene ferne, von Tausenden so heiß ersehnte Welt, wie ich sie selbst gefunden, tun zu lassen, so hab’ ich meinen Zweck mit diesem Buch erreicht.
Rosenau bei Coburg, im September 1854.
Erstes Kapitel
Das Dollingersche Haus.
Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger zu Heilingen – einer nicht unbedeutenden Stadt1 Deutschlands – hatte am Sonntagmittag ein kleines Familienfest die Glieder des Hauses um den Speisetisch versammelt, und diesen heute in außergewöhnlicher Weise mit Blumen geschmückt und delikaten Speisen und Weinen gedeckt. Es war der Geburtstag der zweiten Tochter des Hauses, der liebenswürdigen Clara, und nun ihr erklärter Bräutigam, ein junger deutscher, in New Orleans ansässiger Kaufmann, als Gast der Familie zugezogen worden.
Am oberen Ende des Tisches – um dem Leser die Personen gleich in Lebensgröße vorzuführen – saß Vater Dollinger, ein etwas wohlbeleibter, aber behäbiger, stattlicher Mann mit klaren blauen, unendlich gutmütigen Augen und schneeweißen Locken und Augenbrauen, die aber dem edel geschnittenen Gesicht gar gut und erwürdig standen. Ihm zur Rechten saß seine Frau, allem Anschein nach etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre jünger wie er selber, und durch ihr volles, dunkelbraunes Haar vielleicht auch noch sogar jünger aussehend, als sie wirklich war. Sie ebenfalls, mit ihrer stattlichen Gestalt, hatte einen leichten Anflug zur Korpulenz, aber das etwas ausgeschnittene Kleid, wie die schwere goldene Kette, Brosche und Ohrringe, die sie, fast etwas zu reichlich, schmückten, paßten nicht ganz zu dem sonst so freundlichen, matronenhaften Äußeren.
Clara neben ihr war das veredelte Bild der Eltern; die lieben treublauen Augen schauten gar so vertrauungs- und unschuldsvoll hinein in die Welt, an deren Schwelle sie stand, und die ihr wie ein eben geöffnetes, prachtvoll gebundenes Buch auf den ersten flüchtig durchgeblätterten Seiten nur freundliche Blumen und ihr zulächlende Gestalten zeigte. Kein Schmerz hatte diese engelhaften Züge noch je durchzuckt, keine Träne wirklichen Schmerzes den reinen Blick getrübt, und die ganze zarte, sinnige Gestalt glich der eben entkeimenden Frühlingsblüte im sonnigen Wald, die dem jungen Frühlingstag in Glück und Unschuld die schwellenden Lippen zum Kusse bietet und in der blitzenden Tauperle ihres Kelchs den reinen Äther über sich nur schöner, nur glühender zurückspiegelt.
Ihre nur um wenige Jahre ältere Schwester Sophie, die an des Vaters Seite saß, ähnelte der Schwester in mancher Hinsicht an Gestalt, aber das einfach Kindliche, was Clärchen jenen unendlichen Reiz verlieh, fehlte ihr. Ihre Gestalt war voller, majestätischer, aber auch ihr Blick mehr kalt und stolz; «ich bin des reichen Dollinger Kind» lag klar und deutlich in den scharf zusammenge-zogenen Mundwinkeln, in dem fest und entschieden blitzenden Auge, und auch ihre Kleidung, ihr Schmuck war, wenn nicht reicher, doch jedenfalls mehr ins Auge springend, Bewunderung fordernd.
Zwischen beiden saß Claras Bräutigam, ein junger, bildhübscher Mann in moderner, fast für einen Mann etwas zu gewählter und sorgfältig geordneter Kleidung; er trug das Haar in natürlichen dunkelbraunen Locken und das Gesicht glatt rasiert, bis auf einen kleinen, aufmerksam gekräuselten und nur bis zur halben Backe reichenden Backenbart, an den Fingern aber mehrere sehr kostbare Diamant-Ringe, eine Brillant-Tuchnadel von prachtvollem Feuer und eine schwere goldene, ebenfalls mit kleinen Edelsteinen besetzte Uhrkette.
Die Bekanntschaft Claras und ihrer Eltern hatte er auf eine etwas romantische Weise, und zwar gleich als ihr Lebensretter oder doch Befreier aus einer nicht unbedeutenden Gefahr gemacht. Herr und Frau Dollinger waren nämlich mit ihren beiden Töchtern im vorigen Herbst auf einer Rheinreise bei Rüdesheim aus-, und zu dem kleinen Waldtempel2 oben über Asmannshausen hinaufgestiegen, um sich von dort nach dem Rheinstein übersetzen zu lassen; die Mutter hatte aber durch das nicht gewohnte Bergsteigen heftige Kopfschmerzen bekommen oder, was wahrscheinlicher ist, ennuyirte3 sich am Land und wünschte an Bord des Dampfers zurückzukehren, und als sie gerade mit dem Kahn über den Rhein fuhren, kam ein Dampfboot stromab und hielt auf ihr Winken, sie an Bord zu nehmen. Herr und Frau Dollinger mit Sophie, von den Kahnführern unterstützt, hatten auch schon glücklich die Treppe und das Deck erreicht, und dicht hinter ihnen folgte Clara, als diese sich plötzlich erinnerte, ihre Geldtasche im Kahn vergessen zu haben, und anstatt diese sich heraufreichen zu lassen, selber wieder zurücksprang sie zu holen. Durch das Hineinspringen fing aber der schmale Kahn an zu schwanken, während sie, die vergessene kleine Tasche aufhebend, das Gleichgewicht verlor und, mit dem Kopf voran, in den Rhein stürzte. Unglücklicherweise waren gerade in dem nämlichen Augenblick die Kahnleute an Deck des Dampfers gestiegen, den Koffer eines Passagiers, der mit an Land fahren wollte, in ihren Kahn zu heben, und wenn sie jetzt auch, auf das Geschrei an Bord, rasch in diesen zurücksprangen, trieb doch Clara schon hinter dem Dampfboot aus. Da sah der junge, eben von Amerika zurückgekehrte Mann vom Deck aus die Gefahr des Mädchens, sprang mit keckem Mut ins Wasser und unterstützte die Jungfrau wenigstens so lange an der Oberfläche, bis das Boot herbeikam, sie beide aufzunehmen.
Das Weitere nahm einen ziemlich einfachen Verlauf ; Josef Henkel, wie der junge Mann hieß, gewann sich in den nächsten Wochen, die er in der Gesellschaft der ihm zu großem Dank verpflichteten Familie zubrachte, die Achtung des Vaters und die Liebe von Mutter und Tochter, und als er zuerst bei der Mutter um die Hand der Tochter anhielt, sagten beide nicht Nein. Allerdings wollte der Vater erst, wenn auch nicht gerade Schwierigkeiten mache, doch etwas Genaueres über die Existenzmittel eines Mannes erfahren, dem er das Glück und Leben eines lieben Kindes anvertrauen sollte. Henkel selbst bot ihm dazu die Hand und gab ihm Adressen an verschiedene Häuser in New Orleans, die ihm über seine dortige Stellung genaue Auskunft geben konnten.
Ausflug auf dem Rhein, Gartenlaube 1875
Nach seinem Vermögen mochte der alte Dollinger, wenn auch Kaufmann, nicht so genau forschen ; er war selber reich genug, einen r e i c h e n Schwiegersohn entbehren zu können, und etwas Vermögen mußte der junge Mann haben, dafür bürgte sein ganzes Auftreten, bürgte besonders in den Augen seiner Frau der reiche und wirklich kostbare Schmuck, den er trug. Josef Henkel war aber auch außerdem ein interessanter und sehr gescheiter Mann, der manches in der Welt schon gesehen und erlebt, und das Gesehene und Erlebte mit lebendigen Farben und Worten zu schildern wußte. Er hatte die ganzen Vereinigten Staaten von Nord nach Süd und von Ost nach West durchstreift, und dort teils seinen Geschäften gelebt, teils gejagt, sogar ein kleines Dampfschiff auf dem Arkansas laufen gehabt, mit den Indianern Handel zu treiben, und ihnen die Produkte des Ostens gegen ihre eigenen Fabrikate und den Gewinn ihrer Jagden einzutauschen. Er war nur einmal von jenen wilden, trotzigen Stämmen, die uns Cooper so herrlich und unübertroffen beschrieben4, gefangen genommen und zum Opfertod verdammt, und damals wirklich nur durch ein halbes Wunder gerettet worden, und Clara hatte eine ganze Nacht nicht schlafen können, nur in der Angst und Unruhe um die entsetzliche Gefahr, der sich der tollkühne Mensch schon damals ausgesetzt.
Der junge Man schien aber