Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker Friedrich

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Nach Amerika! Bd. 1 - Gerstäcker Friedrich

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in ihre Charaktere ordentlich hineinzuleben. Als ein tüchtiger und raffinierter Kaufmann, der vorzüglich eine vortreffliche statistische Kenntnis der Union besaß, gewann er sich dabei, und gleich von allem Anfang an, die Achtung des alten Dollinger. Der Frau aber hatte er leicht ihre kleine, oft liebenswürdigen Schwachheiten abgelauscht, und wußte ihnen auf so geschickte Art zu begegnen, daß Frau Dollinger, mit der Rettung des geliebten Kindes im Hintergrund, schon nach sehr kurzer Zeit ganz entzückt von ihm war und sein Lob dem Gatten unaufhörlich redete. Auch mit der älteren Schwester, Sophie, wußte sich Henkel bald auf guten Fuß zu stellen; er hatte bei ihr das leichteste Spiel, denn ihre Schwächen lagen offen zu Tag. Denen aber schmeichelte er mit solcher Liebenswürdigkeit, daß ihm Clara, die es fühlte, wie er dabei aus sich herausging und etwas annahm, was ihm nicht natürlich war, oder doch jedenfalls dem Mann, den sie liebte, nicht natürlich sein s o l l t e, dennoch nicht böse darüber werden konnte.

       Desto freier, offener und natürlicher war er dafür gegen sie selber; er las, sang und spielte Pianoforte mit ihr, lehrte sie eine Menge kleiner reizender, schottischer und irischer Lieder, oder plauderte mit ihr leicht und sorglos stundenlang in den Tag hinein, und konnte oft so herzlich dabei lachen, daß es einem ordentlich gut tat, ihm zuzuhören. Selbst Sophie entsagte dann nicht selten ihrem sonst etwas mehr abgeschlossenen, fast steifen Wesen und kam zu ihnen, Teil an ihrer Fröhlichkeit zu nehmen.

       Nur in den letzten Tagen war der junge ,Amerikaner’, wie er im Hause gewöhnlich scherzhaft hieß, oder der ‚Delaware’, wie ihn Sophie, wenn sie manchmal bei recht guter Laune war, nannte, auffällig niedergeschlagen gewesen. Er hatte, wie er sagte, Briefe aus Amerika bekommen, und ein sehr lieber Freund von ihm war dort schwer erkrankt, auch ein Schiff, das ihm gehörte und nicht versichert worden, so lange ausgeblieben, daß sein Kompagnon fast den Untergang desselben befürchtete. Der alte Herr Dollinger tröstete ihn deshalb und er schien sich auch darüber hinwegzusetzen; die sonst so blühende Farbe seiner Wangen wollte aber doch nicht sogleich wieder zurückkehren, und das Auge hatte etwas Unsicheres, Unstetes, ihm sonst gar nicht eigenes bekommen.

       Nur heute, zu dem Fest der holden Jungfrau, die er bald die Seine zu nennen hoffte, hatte er all’ die trüben Gedanken, welcher Art sie auch gewesen, und woher sie stammten, von sich abgeschüttelt, und war ganz wieder der frohe, glückliche Mann, wie ihn Clara kennen – l i e b e n gelernt. Auf seinen Wunsch nur, womit Frau Dollinger eigentlich nicht ganz einverstanden gewesen, war auch heute keine größere Gesellschaft geladen worden, sondern die kleine Familie speiste ganz ‚unter sich’ in dem festlich mit Blumen und Girlanden geschmückten Zimmer des jungen liebenswürdigen Geburtstagskindes. Frau Dollinger hatte sich eigentlich schon länger auf eine zu diesem Zweck einzuladende, größere Gesellschaft gefreut; Herr Dollinger selber hielt aber nicht viel von solchen Fêten. Dafür jedoch bedung sie sich aus, daß sie wenigstens den Nachmittag spazieren fahren wollten, wobei sie der junge Henkel gewöhnlich zu Pferde begleitete.

       Etwas tat aber der alte Herr Dollinger gern, und zwar ein Glas Champagner trinken, und der zweite Stöpsel war eben lustig hinausgeknallt, der Gesundheit des ‚jungen Brautpaares’ zu Ehren, als die Tür aufging und Loßenwerder, ein Comptoirdiener des Hauses, mit einem kleinen Paket ins Zimmer trat.

       Loßenwerder war schon seit elf oder zwölf Jahren im Haus, und seinem Äußeren nach eben keine angenehme Persönlichkeit; er hinkte auf dem linken Bein, das er als Kind einmal gebrochen, war überhaupt häßlicher und magerer Natur, und schielte auf dem rechten Auge, wodurch sein sonst gerade nicht unangenehmes Gesicht einen etwas falschen Ausdruck bekam. Das Störendste aber an dem jungen Menschen war sein Stottern, weswegen man sich auf ein längeres Gespräch gar nicht mit ihm einlassen konnte, und kam er einmal in Affekt, konnte er kein Wort mehr herausbringen. Frau Dollinger sowohl wie Sophie konnten ihn auch nicht leiden, ja die letztere behauptete sogar, er verstelle sich, und sie habe ihn schon ganz ordentlich, wenigstens zehntausendmal besser sprechen hören, als er es jedesmal affektiere, wenn er zu ihnen in die Wohnung komme. Clara aber hatte Mitleid mit dem armen Menschen, den sie seines Unglücks wegen innig bedauerte, schenkte ihm oft eine Kleinigkeit und spottete nie über ihn, während Herr Dollinger selber ihn als einen brauchbaren und treuen Diener, der noch außerdem eine vortreffliche Hand schrieb, kannte und sehr zufrieden mit ihm war, ihm auch jedes nur mögliche Vertrauen bewies.5

       «Hallo, Loßenwerder, was bringst Du mir da ins Haus ?» rief ihm sein Prinzipal jetzt halb lachend, halb erstaunt entgegen, als der kleine Mann das Zimmer betrat und schüchtern an der Tür stehen blieb. «Ist das für mich oder meine Tochter?»

       «Gewiß für mich, Väterchen», rief Clara, rasch von ihrem Sitz aufspringend. «Siehst Du, der Onkel hat mich doch mit meinem Feste nicht ganz vergessen und mir Gruß und Geschenk geschickt.»

       «Hehehe – mö-mö-möchten es sich wo-wo-wo-wohl wü-n-nschen Fräulein», lachte aber der Stotternde, indem er Herrn Dollinger zuwinkte, daß das Paket für ihn sei. «Ka-ka-ka-kann es mir de-de-de-denken – Go-go-gold und Ba-ba-ba-bank-no-noten.» Er zog dabei einen Brief aus der Tasche, den er dem Herrn übergab.

       «Hm, hm, hm», sagte aber dieser kopfschüttelnd, «und das bringst Du mir jetzt ins Haus – gerade wo ich ausfahren will – warum hast Du es denn nicht dem Kassierer gegeben?»

       «Ni-ni-nirgend zu fi-fi-fi-finden», stotterte Loßenwerder.

       Herr Dollinger warf den Kopf, den Brief flüchtig durchfliegend, herüber und hinüber, sagte dann aber, indem er aufstand und das Papier vor sich hinlegte:

       «Ja, da läßt sich denn weiter nichts ändern; gib mir das Paket, Loßenwerder, und sieh dann zu, daß Du Herrn Reibich findest. Ich lasse ihn bitten, um sieben oder halb acht Uhr heut Abend auf einen Augenblick zu mir zu kommen – verstanden?»

       «Ja-ja-ja wohl, He-he-he-herr Do-do-do-do…»

       «Schon gut», lachte Herr Dollinger, ihm zuwinkend, «und hier, Loßenwerder, magst Du auch einmal ein Glas auf das Wohl meiner Tochter trinken. Fräulein Claras Geburtstag ist heute – hier, Clara, reich’ es dem jungen Herrn.» Er füllte dabei ein Wasserglas bis zum Rande voll von dem funkelnden, schäumenden Nass, und während Clara mit freundlichem Lächeln dem armen Teufel das Glas kredenzte, nahm Herr Dollinger das Paket mit Geld, ging zu dem nahen Sekretär, in dem der Schlüssel stak, öffnete ihn, legte das Geld hinein, zog dann den Schlüssel ab und sagte, diesen der Tochter überreichend:

       «So, Kinder, heute müßt Ihr einmal auf ein paar Stunden mein Kassierer sein, bis der andere aufgefunden werden kann.»

       Clara nickte dem Vater freundlich zu, und Loßenwerder, der das volle Glas in der Hand hielt und auf einmal ganz blutrot im Gesicht geworden war, hob es empor und rief stotternd:

       «Fr-re, re, re, re, räu-le-le-lein Cla-ra-ra-ra-ra – aus ga-ga-ganzem He-he-he-he-her-ze-ze-zen.»

       Als ob er aber mit den Worten in der Kehle Luft gemacht, setzte er das Glas an, und der Wein verschwand wie durch Zauberei.

       «Alle Wetter», lachte Herr Dollinger, der sich gerade nach ihm umdrehte. «Loßenwerder hat einen vortrefflichen Zug – nun ? – Hat’s geschmeckt?»

       «Gu-gut, Herr Do-do-do-do … »

       «Genug, genug», winkte ihm der Prinzipal wieder ab. «Also bestell’ mir das ordentlich!»

       Loßenwerder, der Art entlassen, und vielleicht froh aus einer Umgebung zu kommen, in der er sich nicht heimisch fühlen konnte, setzte das Glas auf einen Seitentisch ab, machte eine etwas linkische Verbeugung, und wohl wissend, daß er zu einem ordentlichen Dank doch keine Zeit mehr übrig hatte, empfahl er sich, ohne weiter auch nur einen V e r s u c h zu mündlichem Abschied zu machen.

      

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