Noras Tod. Michael Wagner J.

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Noras Tod - Michael Wagner J.

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still und schnibbel die Paprika“, nörgelte Sonja. Sie reagierte sehr empfindlich auf Kommentare dieser Art. Vor allem, wenn sie von Gerd kamen. Sie hatte es sehr wohl verstanden, dass er sich für sie interessierte. Sie war sich ihrer Wirkung auf Gerd sicher. Aber er sollte nicht denken, dass sie sich für ihn interessierte. Das war nicht der Fall.

      Mir wurde das zu viel. Ich schnappte mir den Salat und die Schüssel und ging in Richtung des Waschhäuschens davon. Sonjas Art, mit vermeintlicher Kritik und Zurückweisung umzugehen, war mir nur zu gut bekannt. Wir hatten ein gemeinsames Jahr verbracht. Dann hatte sie Schluss gemacht. Für mich eigentlich ohne einen einleuchtenden Grund.

      Als ich Sonja das erste Mal traf, war ich 31 Jahre alt gewesen. Sie arbeitete in einem Pub, den ich sonst eigentlich nie besuchte. Doch an diesem Tag beschloss ich mir diesen Pub einmal anzusehen. Für mich war es einer der Abende, wo es keinerlei Erwartung an den Fortgang der Nacht gab. Eine neue Kneipe anschauen, was konnte da schon passieren? Nach dem Abend wurde der Pub meine Stammkneipe, weil Sonja dort arbeitete. Ich fand, dass sie eine der hübschesten Frauen der Stadt war und war zutiefst entsetzt, weil es viele andere Männer gab, die ebenso dachten. Es hat ein Jahr gedauert bis wir dann zusammenkamen. Zuerst war es nur Freundschaft, doch ganz langsam entwickelte sich daraus mehr. Keiner von uns beiden konnte es schließlich noch leugnen, ohne den anderen zu belügen.

      Vor dem Waschhäuschen war ein Stau vor den Außenwaschbecken. Viele hatten denselben Plan wie ich: Salatwaschen. Ich war noch nicht an der Reihe und mein Blick wanderte die Straße entlang. An diesem Tag schienen noch weitere Familien angekommen zu sein. Mir fiel ein Fahrzeug mit Mönchengladbacher Kennzeichen auf. Ein kleines blondes Mädchen rannte um das Auto herum und ärgerte ihren Vater. Der versuchte sie einzufangen. Sie streckte ihm die Zunge heraus. Das war ein vertrautes Spiel, keine Auseinandersetzung. Er streckte ihr ebenfalls die Zunge heraus, täuschte eine Bewegung nach rechts an, ging dann blitzschnell nach links, schnappte sich seine Tochter und legte sie sich auf die Schulter. Die Kleine quietschte voller Vergnügen. Er stellte sie wieder auf die Füße, sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann verschwand sie lachend im Vorzelt. Eine glückliche Szene. Ich dachte kurz darüber nach, ob ich je Kinder haben würde, verwarf den Gedanken aber sofort.

      Jetzt war ich dran, wusch den Salat und ging schnell zurück zu den Zelten.

      Der Abend verlief für uns wunderbar ereignislos. Wir aßen Baguette und Salat, tranken Wein. Die Doppelkopfrunde ließen wir ausfallen, unsere Nachbarn waren sicher froh darüber. Sie waren gegen acht Uhr vom Tagesausflug zurückgekehrt, aßen etwas und waren gegen halb neun schon zum Schlafen im Zelt verschwunden. Kein Laut drang danach noch aus dem Zelt. Entweder waren sie beim Sex sehr leise, oder sie verkniffen es sich. Unser Abend endete am Strand, wo wir uns den Sonnenuntergang anschauten. Die Bunker warfen lange, breite Schatten. Ein Schild, das direkt vor uns stand, einen langen Dünnen. Am Himmel war nur ein einziges kleines, rosa Wölkchen zu sehen. Der Meeresspiegel war immer noch glatt wie ein Kinderarsch. Die Sonne spiegelte sich darin und stand wie jeden Abend als ein fetter, roter Ball über dem Horizont. Allein schon diese Sonnenuntergänge rechtfertigten die strapaziöse Fahrt.

      Viele waren in dieses Naturschauspiel vertieft. Andere saßen beisammen, lachten, spielten Gitarre, tranken Bier und Wein. Keinem fiel der Neuankömmling auf, der mit seinem Rucksack am Strand auftauchte. Er ging an der Wasserlinie entlang, beobachtete verstohlen die Menschen, die ihren Urlaub genossen. Nach einer Weile blieb er stehen und starrte lange auf das Meer.

      Er sollte es sein, der das Leben aller, die sich auf diesem Campingplatz am Atlantik befanden, in den darauf folgenden Tagen beeinflussen würde. Und das auf eine Art und Weise, die keiner, der nicht in eine derartige Situation gekommen ist, nachvollziehen kann.

      Wir, die an diesem Abend verzaubert vom Sonnenuntergang am Strand lagen, Wein tranken und guter Dinge waren, ahnten noch nichts. Keiner ahnte etwas. Katastrophen kündigen sich nicht an, sie passieren. Reißen Ahnungslose in den Tod, trennen Menschen von Menschen, die sich lieben, Eltern von ihren Kindern, Kinder von ihren Eltern. Hinterlassen tiefe Wunden. Wunden, die nie heilen. Eine zeitlose, immerwährende Verletzung, die nur einzelne betrifft, aber die ganze Menschheit angehen sollte. Sollte. Doch schaut man lieber weg. Ich habe nach den Tagen am Atlantik, im August dieses Jahres, nie wieder weg geschaut.

      Kapitel 3

      Mitten in der Nacht bemerkte ich den Wind, der über die Zeltplanen strich. Das erste Mal seit Tagen kam Wind auf. Mit dem Gedanken an hohe Wellen, schlief ich voller Vorfreude wieder ein. Der folgende Morgen war wohltuend frisch, wenn man Temperaturen um 20° Grad für einen Morgen als erfrischend ansehen mochte. Ich packte meine Duschsachen zusammen, nahm eine belebende Dusche und war zurück am Zelt bevor einer der anderen seine Augen geöffnet hatte.

      Also beschloss ich einkaufen zu gehen. Der kleine Supermarkt auf dem Platz war morgens immer zum Bersten voll. Wenn man nicht früh genug war, konnte schon mal das Brot ausverkauft sein. Deshalb war ich guter Dinge in Bezug auf unser morgendliches Frühstücksflute. Wie erwartet war es noch leer. Ich steckte 2 Flutes in die kleine Plastiktasche, die so typisch für die französischen Bäckereien war. Im Laden waren unerwarteter Weise nur ein paar Leute. Unter ihnen war einer der niederländischen Nachbarn mit einem kleinen Jungen. Ich warf ihnen ein freundlichen Gruß auf Niederländisch zu: „goedemoorgen“. Der Mann war überrascht und grüßte mit freundlichem Strahlen zurück.

      „Hoe gaat het met je?“ fragte er. „Het gaat goet met mij“ antwortete ich unter Aufbringung aller meiner Niederländisch-Kenntnisse. „Ik kann noor en beetje nederlands spraaten“, entschuldigte ich mich. Der Holländer lächelte immer noch. „Hoe heet je?“

      „Mij naam is Michael“, stellte ich mich vor. „Ik bin de Ruud“, sagte er. Wir zahlten flugs unsere Einkäufe. Ruud musste seinen Sohn von den Süßigkeiten wegziehen, nicht ohne ihm ein süßes Versprechen für den nächsten Tag geben zu müssen.

      Unser Gespräch war unbemerkt belauscht worden. Der Neuankömmling vom Vortag hatte die Nacht am Strand verbracht und war nun auf der Suche nach einer Unterkunft und etwas zu essen. Er deckte sich mit etwas Essbarem ein und ging hinter den beiden Männern und dem Kind her. Ein Zelt besaß er nicht, deshalb war er darauf angewiesen, sich einen Platz für die nächste Nacht zu besorgen, wenn er nicht noch eine Nacht am Strand verbringen wollte.

      Ruud, sein Sohn und ich schlenderten mit unseren Einkäufen zurück. Unter den Pinien, die das Morgenlicht lustig auf den Weg und die vielen Zelte sprenkelten, war es erträglicher, als in der jetzt schon prallen Sonne. Ein sorgenfreier Morgen. Wir scherzten noch eine Weile. Ruud versuchte auf Deutsch zu erzählen, wo er her kam, ich verbesserte gelegentlich seine Aussprache. Er sprach besser Deutsch als ich Holländisch. Dann wünschten wir uns noch einen guten Tag und jeder bog zu seinem Stellplatz ab.

      Meine Freunde waren immer noch nicht wach, kein Laut drang aus den Zelten. Ich legte die Einkäufe leise auf dem Campingtisch ab und überlegte. Eine Runde über den Platz würde ich noch drehen, danach müssten sich die Langschläfer aus den Schlafsäcken pellen. Ich trat wieder zwischen unseren Zelten zurück auf den Weg und ging in die Richtung, aus der wir eben zu dritt gekommen waren. Ein Mann in meinem Alter, Mitte Dreißig oder vielleicht auch jünger, kam mir entgegen. Er trug einen Trekkingrucksack und sah aus, als sei er seit Tagen unterwegs, abgerissen, etwas dreckig. Er sprach mich an.

      „Hallo“, sagte er in akzentfreiem Deutsch, „Habt ihr vielleicht einen Schlafplatz frei?“

      „Nein“, erwiderte ich, „wir

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