Noras Tod. Michael Wagner J.
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„Wieso?“, fragte er und biss genüsslich in sein Flute.
„Darum, du bist ein gefühlloser Klotz.“ Sonja fühlte sich sichtlich unwohl. Ein Mann, der so herzlos redete, war ihr zuwider.
„Wieso bin ich denn ein gefühlloser Klotz? Nur weil ich denke, dass man bei Lebensmitteln nicht sentimental sein soll? Bei einem Schwein und einem Rind sagt keiner etwas. Bei einem Pferd und einem Hund schreien alle los. Das kann ich nicht verstehen. Tier ist Tier.“
Nach einem kurzen Zögern biss er erneut genüsslich in sein Brot.
„Da kommen wir anscheinend nicht auf einen Nenner“, resümierte Simona, „Sind wir denn einer Meinung, wenn es um den Strand geht?“ Sie legte ihr Messer auf das Holzbrettchen vor sich.
„Da müssen wir aber aufpassen, die armen Sandkörner könnten leiden, wenn wir darüber laufen“, versuchte Gerd zu scherzen. Das misslang ihm gänzlich. Simona verzog nur ihr Gesicht zu einem mitleidigen Grinsen.
„Och Gerd, versuch doch Leute nicht zu verarschen, die eine andere Meinung haben, als du“, platzte es aus mir heraus, „Aber du hast ja eh die Weisheit mit Löffeln gefressen. Das denkst du zumindest!“ Das Messer in der Hand hielt ich fest umschlossen.
„Ich verarsche doch niemanden und du musst nicht beleidigend werden. Ich habe dich auch nicht beleidigt.“
Schärfe lag in seinen Worten. Gerd war gebürtiger Siebenbürgen-Deutscher und bemühte sich, um ein sehr korrektes Hochdeutsch. Wenn er sich angegriffen fühlte, dann wurde seine Ausdrucksweise noch klarer und schärfer.
„Nicht mich alleine. Jeden hier.“ Um Gottes Willen dachte ich, hoffentlich denken die Frauen jetzt nicht, ich wollte hier Fronten gegen Gerd schaffen. Das war ein Ding zwischen ihm und mir. Unsere Rivalität trat mal wieder offen zutage, und ich wollte auch nicht zurückstecken.
„Wieso das denn?“ Gerd tat so, als würde ihn das alles nicht wirklich tangieren.
Ich nickte bekräftigend, während ich ihn anschaute. „Genau das ist es. Du merkst es noch nicht einmal, wenn du auf Leute herab siehst. Deine Arroganz ist anmaßend.“
„Ich bin nicht arrogant, ich habe nur Recht.“
Er sah mich noch nicht einmal an dabei. Sein Brot genoss mehr Interesse. Doch ich ließ mich nicht davon beeindrucken.
„Siehst du, du lieferst auch noch sofort den Beweis.“
„Hört jetzt bitte auf, ihr zwei!“
Simona schien richtig genervt. Sie stand auf, trat einen Schritt in Richtung Auto zurück. Sie hielt die Lehne ihres Campingstuhles fest umschlossen. Abstand halten zu den beiden Streithähnen.
„Solche Situationen hat es schon genug zwischen euch gegeben. Wann gebt ihr es denn endlich auf eure Schwanzlänge zu messen? Ihr nervt gewaltig!“
Gerd schaute sie mit einer Mischung aus Staunen und Ungläubigkeit an. Um die sofortige Antwort war er nicht verlegen.
„Schwanzlänge? Es geht hier nicht um die Schwanzlänge. Es geht hier um meine Sichtweise der Dinge. Ihr könnt doch nicht bestimmen, was ich zu denken habe. Ich sage ja nicht, dass ihr meiner Meinung sein müsst.“
Sonja schaute die ganze Zeit gedankenversunken vor sich hin. Harmonie unter Freunden war für sie sehr wichtig. Streitigkeiten passten nicht. Gerd und Michael waren keine Freunde, aber sie würde es sich wünschen, wenn beide mehr Respekt und Verständnis für den anderen aufbringen würden. Traurig blickte sie mich an. Ihr Blick tat weh. Vielleicht reagierte ich auf Gerd auch nur so empfindlich, weil ich Sonja klar machen wollte, wie er wirklich war. Wenn ich aufrichtig zu mir selbst war, dann entsprach das der Wahrheit. Ich hielt ihrem Blick nicht mehr länger Stand.
„Ok, Leute, ich möchte jetzt an den Strand gehen“, sagte ich, „Ich spüle noch unsere Sachen. Wer weiß wo das Spülmittel ist?“ Irgendwie musste ich mich aus dieser Situation befreien.
„Schau mal in unserem Zelt nach. Ich habe es gestern Abend dort hingelegt.“
Ich sammelte das Geschirr in der Spülschüssel zusammen, suchte mir das Spülmittel aus dem Zelt der Frauen und ging. Die Diskussion mit Gerd setzte sich in meinen Gedanken fort. Dabei ging es natürlich nicht um seine kulinarischen Vorlieben, sondern um mein Misstrauen ihm gegenüber. Die Situation war irgendwie verfahren. Gerds Verhalten Sonja gegenüber war indifferent. Mal war ich sicher, dass er versuchte, sie für sich zu gewinnen. Dann wieder war er kalt ihr gegenüber. Wenn ich Sonjas Verhalten richtig deutete, dann war sie schon interessiert und fand Gerd durchaus anziehend. Gerd war allerdings auch für sie undurchschaubar.
Wenn ich ihn richtig durchschaute, dann bezweckte er genau das mit seinem Verhalten. Was auch immer. Ich beschloss, genau in dem Augenblick, als ich dort stand und spülte, eifersüchtig zu sein. Der Gedanke manifestierte sich. Er manifestierte sich direkt in einem Plan. Ich würde alles daran setzen, Sonja wieder für mich zu gewinnen. Dabei war ich mir sehr sicher, Gerd für meinen Plan und gegen seine eigenen Absichten einsetzen zu können.
Kapitel 4
Der Strand direkt unterhalb des Wachturmes war sehr gut besucht. Familiengetümmel. Kinderkreischen. Deshalb hatten wir uns weiter links einen Platz gesucht. Ein anfänglich einsamer Platz dort, wo sich meist die Nudisten niederließen, verwandelte sich innerhalb einer weiteren Stunde zu einem Platz mitten unter den Nackten. Nicht, dass es mich gestört hätte. Die Frauen störte es auch nicht, nur Gerd behielt seine Badehose strikt an. Während wir uns nahtlose Bräune versprachen, saß er meist nur auf seinem Strandlaken.
„Man umzingelt uns“, kommentierte Simona das Geschehen mit einem Grinsen.
Das Meer war traumhaft. Die Wellen peitschten unaufhörlich gegen den Strand. Draußen zauberten die Segel der Surfer bunte, rastlose Flecken auf den Horizont. Direkt an der Wasserlinie spielten einige Beach-Tennis. Viele waren im Meer, spielten mit ihren Kindern Ball oder versuchten sich gegen die Brandung zu behaupten. Gut anderthalb Meter hoch waren die Wellen. Endlich. Über eine Stunde hatte ich das Meer genossen, war geschwommen, getaucht. Jetzt lag ich ausgelaugt am Strand und schaute Simona und Sonja beim Beach-Ball zu. Gerd schlief. Die Temperaturen näherten sich schon der Dreißiggradmarke, aber wegen der frischen Brise war es erträglich.
Ich genoss das Geräusch der Brandung, den Wind, die Menschen, die am Strand ihre Unbeschwertheit auslebten. Unbeschwert. Das wäre ich auch gerne gewesen. Doch meine Gefühlssituation stand dem im Wege. Während ich so da lag, konnte ich die Gedanken in meinem Kopf nicht kontrollieren. Ich sah Sonja und alle Gedanken kreisten um sie. Dort in meinem Kopf war es nicht weit von hier bis zudem, was früher einmal war. In der Realität schon.
Als könnte ich damit die Grübelei abschalten, drehte ich mich auf den Bauch. Sand rieselte auf mein Badetuch. Ich wedelte ihn beiseite. Dabei bemerkte ich die zwei Frauen, die links neben uns lagen. Beide zählten offensichtlich zu den Nudisten. Beide waren sehr hübsch, ich genoss den Anblick und freute mich über die kleine Ablenkung. Jetzt bloß nicht starren, dachte ich.