Nach Amerika! Bd. 2. Gerstäcker Friedrich
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«In Amerika können die Bauern in den Kuts-chen fahren», sagt da plötzlich eine wohlbekannte Stimme ein nur zu wohlbekanntes, aber schon lange nicht mehr angestimmtes Lied, «in den Kuts-chen mit Sammet und mit Se-i-de!» Und als sie sich, eben nicht freudig überrascht, nach dem Sänger umdrehten, rasselte gerade der kleine, wunderliche Karren Maulbeeres, von diesem geschoben, an ihnen vorüber, und der Dampf aus der kleinen, schmutzigen Pfeife zog in zusammengedrängten kurzen Kräuselwolken, regelmäßig auspuffend wie von einer Diminutiv-Lokomotive53, hinter ihm drein. Übrigens tat er gar nicht, als ob er die Oldenburger sähe, und war auch schon an ihnen vorbei, als ihn der Ruf des einen – «Herr Maulbeere!» – erreichte und anhalten machte.
Es ist ein eigentümliches Gefühl, nach einer gewissen Zeit wieder mit früheren Reisegefährten zusammenzutreffen, von denen es sich dabei wunderbarerweise gleich bleibt, ob man sie gern gehabt unterwegs, oder vielleicht die ganze Reise über gar nicht mit ihnen verkehrt hat. Was da unterwegs auch vorgefallen sein mag, wie man übereinander gedacht und sich vielleicht ganz besonders danach gesehnt hat, das Schiff verlassen zu können, um von solcher Gesellschaft endlich einmal fortzukommen: ein kurzer Aufenthalt an Land, mit dem Fremden, Ungewohnten um sich her, hat das alles verscheucht, wir haben es vergessen und begrüßen mit aufrichtiger Freude den früheren Reise- und Leidensgefährten.
«Guten Tag, Herr Maulbeere», sagte der eine Oldenburger, der, sein Bündel in der Linken, die paar Schritte hinter ihm hergegangen war und jetzt, neben ihm stehenbleibend, die Rechte nach ihm ausstreckte. «Wie geht’s hier in Amerika?»
«Hallo», sagte Maulbeere, sein Tragband von den Handgriffen seines Karrens ziehend und, indem er sich aufrichtete, die gebotene Hand, aber noch etwas zögernd, annehmend, «hallo, Ihr Leute – immer noch zu Fuß? – Donnerwetter, wo sind denn die Kuts-chen?»
«Ja, Kuts-chen», sagte der Oldenburger in seinem eigentümlichen Dialekt, «es fährt sich hier was in Kuts-chen – wir sind froh, daß wir zu Fuß gehn dürfen…»
«Ich fahre», sagte Maulbeere mit einem wohlwollenden Seitenblick auf seinen Karren.
«So weit haben wir’s noch nicht einmal gebracht», sagte der andere, jetzt ebenfalls hinzutretend, «guten Tag, Herr Maulbeere.»
«Guten Morgen, meine Herren, guten Morgen; irgendetwas zu schleifen? Scheren, Messer, Rasiermesser, Lanzetten, Pflugscharen, Sensen?» rief Maulbeere, mit einer Geschäftsmiene dabei wieder auf seine Schleifsteine deutend. «Stehe zu Diensten und sollen billig bedient werden – sehe mehr auf gute Behandlung als schlechten Gehalt.»
«Ach, lassen Sie das Spaßen, Herr Maulbeere», meinte der erste wieder, einen tiefen Seufzer ausstoßend, «die Geschichte hier ist verzweifelt ernsthaft, und wenn man nicht weiß, wo man Brot hernehmen soll, ist einem nicht gerade wie Lachen zumute.»
«Hoho», sagte Maulbeere, die Augenbrauen in die Höhe ziehend, «schon drei Wochen in Amerika und noch kein Brot? – Das ist Pech!»
«Ist es Ihnen denn geglückt?»
«Harte Arbeit, Schentelmen», sagte der Scherenschleifer achselzuckend, «s e h r harte Arbeit – habe im Sinn, die Residenz zu verlassen.»
«Und wo gehen Sie hin?»
«Den Fluß hinauf, versteht sich; werde das Land durchziehen, hier ist wenig zu verdienen. Es gibt eben hier zu viel Mäuler, die Brot haben wollen. Apropos, wo sind denn Ihre Frauen?»
«Arbeiten da drin», sagte der eine, mit dem Kopf nach dem Haus hinüberzeigend.
«So? – Untergebracht?» frug der Scherenschleifer. «Nun, da kann man ja gratulieren.»
«Aber kriegen nichts», sagte der andere.
«Desto länger Aussicht auf stete Beschäftigung», bemerkte Maulbeere.
«Aber wovon nachher leben?»
«Vielleicht von den großen Rosinen, die Sie früher im Topf gehabt», meinte Maulbeere, «ist ein merkwürdiges Land, das Amerika; guten Morgen, meine Herren!» Und mit den Worten tauchte er wieder mit den Ösen seines Tragbands nach den beiden Griffen des Karrens, warf sie in das richtige Gleichgewicht und schob, während ihm die weiße Wolke folgte, rasch die Straße nieder, ohne sich um die beiden Bauern weiter zu bekümmern.
Die nächste Straße rechts einbiegend, die zum Fluß niederführte, erreichte er dort die sogenannte Flatbootlandung, und das Ufer sah hier kahl, und keineswegs so belebt aus als weiter oben, wo die rauchenden, dunklen Schornsteine und oberen Decks der Kajüten, oder die wie spinnwebartig durchflochtenen Masten über die hohe, mit Gütern und Warenballen bedeckte Levée hervorragten. Der Strom hatte in dieser Jahreszeit wenig Wasser, und die niederen, flachen Boote schwammen, nur erst bemerkbar, wenn man auf die Levée selber trat, tief unter der steilen, schmutzigen Bank, mit Tauen an diese befestigt, am Ufer. Alligatorähnlich lagen sie dabei in der trüben Flut, hier und da mit den Vorderteilen auf dem Schlamm, und nur mit schmalen Laufplanken von diesem aus nach trockenem Boden oder Sand hinüberreichend.
Wunderbare Fahrzeuge sind aber diese F l a t b o a t s des Mississippi, allem Anschein nach aus den ersten Urzuständen des Schiffbaues herrührend, und doch noch nicht, weder durch Dampf- noch durch Segelschiffe, aus ihrer Wirksamkeit verdrängt, ja eher mit diesen anwachsend und an Zahl zunehmend.
Ein langes, aus derben Planken mit hölzernen Pflöcken zusammengenageltes und mit Werg und Teer dichtgemachtes, vielleicht sieben Fuß tiefes Boot mit vollkommen flachem Boden, das, wenn geladen, fünf bis sechs Fuß im Wasser geht, ist es mit einer Art vielleicht vier bis fünf Fuß hohem Fachwerk umgeben, und mit zölligen oder halbzölligen Brettern, die in der Mitte etwas gewölbt, quer von einem Bord nach dem anderen hinübergebogen sind und ziegelartig übereinander liegen, gedeckt. Diese Boote gehen nur mit der Strömung, wie wir ihnen schon auf dem Mississippi begegnet sind, manchmal geradaus, manchmal über Steuer, nicht selten meilenweit seitwärts, den Krabben ähnlich, ihre Bahn entlang, hier der Strömung folgend, dort, durch eine Rückströmung gehalten, daß die Leute mit den langen, Finnen ähnlichen ,sweeps’ oder Rudern stundenlang arbeiten müssen, um nur wieder los und in freies Fahrwasser zu kommen. Und wie manches sinkt und verdirbt auf der langen, mühseligen und oft gefährlichen Bahn. Plötzliche Stürme und Unwetter (der Hurricane in Natchez 1841 zerstörte damals hundertundzwölf in wenigen Meilen Entfernung), im Wasser verborgene Snags54, Untiefen und festgeschwemmtes Driftholz versenken manches von ihnen, und man kann immer rechnen, daß kaum dreiviertel der Zahl ihr Ziel erreichen.
So unscheinbar dabei ihr Äußeres ist, so wertvolle Ladungen bergen sie nicht selten in dem rohen, unbehilflichen Kasten, die der Führer, wo er einen Markt für seine Waren zu finden glaubt, oder zuletzt in New Orleans selber, mit dem Vorderteil an Land schiebt, und seinen, weder Steuer noch Abgaben zahlenden Laden gleich fix und fertig eingerichtet hat, den er, wenn die Waren abgesetzt sind, auseinanderschlägt und mit verkauft.
Und wie wunderlich sieht es in den Booten selber aus – hier das erste – der Weg ist etwas steil, die schlüpfrige Bank hinunter – birgt in seinem Inneren ein buntes Gemisch von allem, was das Herz eines