Nach Amerika! Bd. 2. Gerstäcker Friedrich
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«Aber weshalb um Gotteswillen?» frug Fräulein Seebald wirklich beunruhigt über das ganze Wesen des Mannes. «Was kann mir denn im Walde geschehen? Sind noch Indianer dort?»
«Indianer? – Nein, am Fluß lagern vielleicht welche, aber die stehen unter Aufsicht und sind harmlos.»
«Oder wilde Tiere?»
«Nun ja, es gibt wohl Bären und Panther da, aber man hört doch selten davon, daß sie jemanden angefallen haben.»
«Was sollte mich also sonst hindern?»
«Ih nun ja», sagte Herr Fischer, «es ist wahr, es g i n g e schon, aber – ich weiß doch nicht, i c h möchte nicht allein und ohne Gewehr nach Oakland Grove und von da noch weiter in den Wald hineingehen, und ich bin doch nun schon zwölf Jahre in Arkansas. Überhaupt, es ist nirgends besser wie in Little Rock, das ist ein kapitaler Fleck und sollte mich gar nicht wundern, wenn es einmal die erste Stadt in der Union würde. Nachher ist aber Charley Fischer am Platz, denn ich habe eine ganze Partie Lots gekauft, und die müssen einmal einen heillosen Wert bekommen.»
«Aber es hat doch ungemein viel Romantisches, so allein durch den Wald zu gehen», sagte Fräulein v. Seebald.
«Romantisches! Du lieber Gott», erwiderte achselzuckend der kleine, praktische Mann, «das kauf ich nicht teuer, denn das bringt nichts ein. Habe schon mehrere Leute hier gekannt – auch deutsche junge, nette Kerle, die ihre Kräfte hätten an ‘was Vernünftiges wenden können, die taten auch eben weiter gar nichts, als im Wald mit der Büchse allein herumzulaufen, bloß ein paar lumpiger Hirsche und des bißchens Romantik wegen. Was ist nachher aus ihnen geworden? – Weiter hatten sie nichts auf dem Leib als ihr ledernes Jagdhemd und ihre Leggins, dabei Mokassins an den Füßen und keinen Cent in der Tasche, ja, nicht einmal eine Tasche an sich, einen Cent hineinzutun, wie vielleicht ihren Kugelbeutel, und nachher brachten sie mit Mühe und Not Felle genug zusammen, um eben ihre Passage auf einem Dampfboot zu bezahlen, um wieder fortzukommen. Der Teufel soll eine solche Romantik holen – ne da lob’ ich mir Little Rock.15»
«Und Sie kennen der Grafen Olnitzki nicht persönlich? – Waren nie dort in der Gegend?»
«Nein, Madame – mein Fräulein, wollt’ ich sagen; aber wissen Sie, mit dem G r a f e n hat es hier auch nicht viel zu bedeuten.»
«Wieso, geht es ihm schlecht?» frug Amalie rasch und erschreckt.
«Wem? Dem Olnitzki? Ja, ich weiß nicht – nein, ich meine nur mit dem Titel überhaupt. Wissen Sie, hier in Amerika sind wir alle gleich – alle freie Bürger, einer so viel wie der andere, und wenn i c h mich zum Spaß Graf Charley Fischer nennen wollte, hätte auch niemand etwas dawider, ich wäre eben Graf Charley Fischer, und wenn die Leute zu mir kämen und ein Glas Brandy trinken wollten, würden sie mich wie jetzt auf die Schultern schlagen und sagen: ,Nu, Graf Fischer, altes Haus, wie geht’s, how do you tut’s Euch?»
«Ich glaube auch nicht, daß Graf Olnitzki Anspruch auf eine höhere Stellung macht», sagte Fräulein v. Seebald.
«Ne, kann ich mir denken», sagte Charley freundlich, «würde ihm auch gar nichts helfen; besonders hier nicht in Arkansas. Wir haben hier übrigens eine ganze Menge Polen, da ist der Graf Doraski am Redriver und der Graf Potelsk – Podelscyk – na, wie heißt er denn gleich? Verwünschte Namen tragen die Polen manchmal, und die Amerikaner haben ganz Recht, wenn sie meinen, man könnte sie nur aussprechen, wenn man dreimal nieste und dann ski sagte – na, es ist einerlei, wie er heißt. Sonderbar, von Polen kommen bloß lauter Grafen hierher, denn wenn man einen Polen findet, kann man sich auch fest darauf verlassen, daß es ein heimlicher Graf ist. Es muß ungeheuer viel Grafen dort im Lande geben.»
«Wie sind aber nur die Verhältnisse der Ansiedler hier in der Nähe von Little Rock?» frug Fräulein v. Seebald, die es drängte, etwas näheres über die ihr am Herzen liegenden Menschen zu hören. «Kommen sie manchmal, an Sonntagen vielleicht, in die Stadt zu Theatern oder Konzerten? – Haben die Deutschen untereinander nicht Bälle oder andere Festlichkeiten, bei denen sie sich zusammenfinden und vergnügt sind? Das Waldleben denke ich mir wundervoll, herrlich, aber das Schönste bedarf doch manchmal einer Abwechslung.»
«Bälle? – Ja, die haben wir manchmal hier unter den Deutschen», lachte Charley Fischer vergnügt vor sich hin, vielleicht in der Erinnerung mancher dabei verlebten Stunden, «und amüsieren tun sie sich dabei im Anfang und prügeln am Schluß, gerade wie bei uns zuhause; aber wenn die Farmer, besonders die, die so weit wegwohnen, dazu hereinkommen wollten, da hätten sie viel zu tun. Die Männer ja, die reiten manchmal her, stehen16 auch wohl ein paar Tage und vertun, was sie hereingebracht haben an Produkten, manchmal auch noch das mit, was sie das nächstemal bringen wollten, aber die Frauen bleiben zuhause und hüten das und ihre Kinder, und haben dabei alle Hände voll zu tun.»
«Aber die Nachbarn kommen dann untereinander wahrscheinlich sehr häufig zusammen.»
«Ja, wenn sie Nachbarn haben, die Nachbarschaft in Arkansas soll aber der Henker holen», sagte Charley, «die nennen sich so und wenn sie zwanzig Meilen voneinander sitzen.»
«Das ist ein Beweis für ihre Geselligkeit», lächelte Fräulein v. Seebald.
«Ja, schöne Geselligkeit, wenn niemand dazwischen wohnt», meinte Charley, «ne, da lob ich mir Little Rock. Wenn mir da mein eigener Brandy nicht mehr schmeckt, gehe ich um die Ecke herum zum Georg und trinke da anderen, und alle Wochen kommen ein paar Dampfboote den Strom herauf oder herunter, die auch Neues bringen, und wo man doch etwas zu hören und zu sehen bekommt. ‘s ist ein ganz famoses Leben in Little Rock.»
Fräulein v. Seebald fühlte sich, obgleich ihr der fremde Deutsche gar nichts Direktes von den Ihrigen sagen konnte, und diese ebenfalls in ganz anderen Verhältnissen lebten, wie er sie hier schilderte, doch unangenehm berührt durch diese Beschreibung, sie wußte eigentlich selber nicht recht, weshalb. Es war ihr auch erwünscht, daß die Unterhaltung in diesem Augenblick durch die in der Kajüte geläutete Klingel, das Zeichen zum Mittagstisch, abgebrochen wurde, und sie zog sich mit einer leichten, dankenden Verbeugung gegen Herrn Fischer, die dieser mit einem freundlichen Kopfnicken erwiderte, in die Ladies cabin zurück, um dort den Nachmittag hindurch ihren eigenen Betrachtungen und Gedanken nachzuhängen.
Das Boot setzte indessen rasch und wacker einen Weg fort; die Szenerie blieb dieselbe – Wald – endloser Wald an beiden Seiten, der sich selbst bei kleinen, einzeln zerstreuten Städten, die sie trafen, bis dicht um diese herzuziehen schien. Es war ordentlich, als ob er wieder frisch aufgewachsen sei, seit sie entstanden, und das Land zurückverlange, das sie ihm abgedrängt.
Am nächsten Tag, gegen Abend, erreichten sie Little Rock, und die breite, weit ausgehauene Lichtung verriet schon von weitem eine größere Ansiedlung, wie sie bis jetzt getroffen. Als sie näher kamen, erkannten sie große, ansehnliche steinerne Gebäude, allerdings oft neben kleinen, niedrigen Holzhütten, und eine Dampffähre spielte über den Strom nach dem anderen Ufer hinüber. Auch der Landungsplatz, gegen den sie jetzt aufliefen, bot, wenn auch nicht mit New Orleans zu vergleichen, doch das belebte Bild einer größeren, geschäftigen Stadt, die hier im Herzen eines sonst noch ziemlich wilden Staates entstanden. Karrenführer von allen Farben drängten sich herbei, um Güter und Passagiergut fortzuführen, sobald nur die Taue ausgeworfen und die Planken herübergeschoben wären, und eine Menge Ungeduldiger, wie auf allen Landungspunkten am ganzen Strom hinab, warteten mit Sehnsucht auf den Augenblick, wo sie an Bord springen konnten, um Neues und Neuigkeiten in Empfang zu nehmen, oder gegen die mageren Stadtberichte einzutauschen.