Nach Amerika! Bd. 2. Gerstäcker Friedrich
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«Leben hier noch Indianer?» frug Fräulein v. Seebald erstaunt einen der neben ihr stehenden Leute, der auf dem das Deck umschließende Lattengitter lehnte und ebenfalls nach den Eingeborenen hinüberschaute.
«Nein, Madame», sagte der Mann, ohne seine Stellung zu verändern, «Gott sei Dank, daß wir die Rotfelle los sind. Würden uns weiter nichts als Teufelseier in die Nester legen. Hole sie alle miteinander der Böse!»
«Aber was tun diese hier?»
«Die da? – Die wandern aus – das sind Seminolen, die Onkel Sam22 nach dem Territorium schickt, um sich dort mit ihren Kameraden, den Creeks und Cherokesen, den Choktaws und Kickapuhs und wie sie alle heißen, so gut zu vertragen, wie sie eben können – oder noch besser, sich einander die Hälse abzuschneiden – das Gescheiteste, was sie auf der Gotteswelt tun könnten.»
Seminole
«Sie lieben die Indianer nicht?»
«Ich? – Nein, da ist der Himmel mein Zeuge – habe auch eben keine Ursache dazu, und noch weniger Lust. Wenn ich etwas wüßte, die ganze Rasse mit einem Schlag von der Erde zu vertilgen, ich tät’s.»
Der Mann richtete sich dabei aus seiner Stellung auf und ging langsam an die andere Seite des Decks, als ob er die roten Männer nicht einmal anschauen wollte, so lange er’s verhindern konnte. Er sah dabei so finster und erbittert aus, daß Fräulein v. Seebald froh war, seiner unheimlichen Gesellschaft bald enthoben zu sein.
Das Boot legte indessen an seinem gewöhnlichen Landungsplatz, einem dort befestigten, riesigen, flachgedeckten Boot, auf das Geschirre und Pferde leicht hinaus oder an Bord gebracht werden konnten, an, und die Indianer sammelten sich dort, besonders die Kinder, halb scheu, halb neugierig den Platz umdrängend, um die fremden weißen Männer und Frauen aussteigen zu sehen. Die Kinder gingen fast sämtlich nackt, die Erwachsenen aber trugen ein Tuch um die Hüften und meist ein ledernes oder kattunenes Jagdhemd, die Haare dabei in einen Büschel gewunden, einzelne mit Zierraten, zwei mit einer Adlerfeder darin. Nur die Frauen hielten sich schüchtern bei ihren Lagerfeuern zurück und schauten kaum um nach dem rasch den Dampf auspuffenden Boot, oder den weißen Leuten. – Sie hatten genug davon gesehen, mehr als ihnen wohl lieb war, und von ihnen aus der Heimat vertrieben und einem fremden, unbekannten, kalten Land zugeführt – wie konnten sie sich da an den verhaßten Weißen freuen. Auch die Männer schauten still und finster drein, und wo sie einer der Weißen anredete, drehten sie sich mürrisch von ihnen ab und schritten ihrem Lager wieder zu.
Es waren edle, kräftige Gestalten unter ihnen, manche mit schweren, kaum geheilten Wunden auf der breiten, braunen Brust, und wacker schlugen sich auch diese Krieger in ihrem Vaterland, jeden Fußbreit Boden den weißen Eindringlingen mit Tomahawk und Büchse streitig machend. Ja, noch jahrelang würden die Bleichgesichter, die sie oft mit blutigen Köpfen heimgeschickt und in deren Lager selbst sie so manche Nacht den Schlachtschrei getragen und die nackte Brust keck und todesmutig den Bajonetten entgegenwarfen, ihre Truppen vergebens gegen sie geführt haben, hätten sie dem V e r r a t so gut begegnen können wie der blanken Waffe. Aber ihr Häuptling fiel! – Der wackere Osceola23, von den Amerikanern gegen Kriegs- und Menschenrecht verräterisch gefangengenommen, wo er dem W o r t des weißen Mannes vertraut, starb elend im Gefängnis – andere Häuptlinge wurden übergekauft, und das Banner der Staaten fügte einen blutigen Stern zu seinen weißen.24
Seminolenchief Osceola, gemalt von George Catlin
«Nun, Madame, wenn Sie jetzt aufsteigen wollen», unterbrach der Wagenführer, der sein Geschirr glücklich von Bord und über das Flatboot weg auf festen Grund und Boden gebracht hatte, die Betrachtungen seiner Reisegefährtin, «die Pferde sind ausgeruht und können’s schon ziehen, und hier hinauf geht sich’s doch schlecht für so zarte Füße.»
Fräulein v. Seebald wäre gern noch länger hier geblieben, um das Leben und Treiben der Indianer mehr zu beobachten und sich vielleicht gar in ein Gespräch mit ihnen einzulassen; gebrochen Englisch wenigstens sollten doch viele von ihnen sprechen. Aber allein ging das auch nicht an, und es schien auch der Wagenführer, der noch einen weiten Weg vor sich hatte, keine große Lust zu haben, länger zu warten. Sie mußte sich deshalb wirklich nicht allein entschließen, den Platz zu verlassen, der ihr zum erstenmal in ihrem Leben eine Szene echt wilder Romantik bot, sondern auch auf höchst unromantische Weise, und noch dazu im Beisein einer Menge fremder Menschen, die gewiß dabei ihren Spott über sie hatten, auf einen ganz gewöhnlichen Rüstwagen hinaufklettern und sich dort in raschelnden Maishülsen, zu denen ihr ganzer Anzug auf nicht im mindestens paßte, vergraben. Es kostete ihr der Entschluß in der Tat eine Überwindung; aber trotz ihrem oft übertriebenen Hang zur Schwärmerei hatte Amalie v. Seebald, wie sie auch schon durch ihre ganze Reise bewiesen, doch viel Charakterstärke, die, mit dem Abenteuerlichen ihrer Situation, sie bald bewog, sich über alles andere hinwegzusetzen.
Der Amerikaner – wie überhaupt keine Nation aufmerksamer gegen Damen sein kann als diese, brachte indessen aus der nächsten grocery einen Stuhl heraus, daß sie bequemer auf den Wagen kommen konnte; lachend und verschämt nahm dabei die Dame ihre Kleider zusammen, stieg auf den Stuhl und schwang sich, von der breiten Hand des Wagenführers dabei unterstützt, auf das Rad und von da in den Wagen. Ein junger Bursche trug den benutzten Stuhl in die grocery zurück, der Amerikaner klatschte mit der Peitsche, die Pferde zogen an, und nebenhergehend, bis sie die obere Bank erreicht hatten, fuhr das ziemlich schwerfällige Geschirr, von den kräftigen Tieren gezogen, verhältnismäßig rasch den steilen Weg hinan. Die Indianer stießen dabei einen gellenden Schrei aus, die Kinder jubelten, die Hunde bellten und der Wagen rasselte, während der Mann, oben angelangt, selber im Fahren aufsprang und sich neben die Dame in die Maishülsen setzte, die etwas holperige, ausgefahrene Straße rasch entlang.
Das kleine Nest von Wirtshäusern ließen sie dabei gleich zurück, Lichtungen am Weg zeigten aber noch junge Farmen; sie fuhren eine Strecke lang zwischen Fenzen hin, die erst kürzlich urbar gemachtes Land umschlossen. Auch diese hörten endlich auf; hier und da lagen noch dicht am Weg gefällte und zu Fenzstangen zerspaltete Stämme, dort waren junge Bäume zu Feuerholz abgeschlagen, und jetzt zog sich die wohl breit ausgehauene, aber sonst sehr verwilderte und nur allein durch die Axt hergestellte Straße durch den finsteren, dichten Urwald hin, der sie in all’ seiner großartigen Majestät umfing.
So beengt und unbehaglich sich übrigens Fräulein v. Seebald noch bei dem ersten Besteigen des Wagens, und so lange sie die vielen fremden Menschen um sich her wußte, gefühlt hatte, so wohl, so frei wurde ihr es jetzt. Das Herz ging ihr auf, und wie die letzten Fenzen hinter ihr verschwunden waren, wie jene mächtigen, riesigen Bäume, die gerade zu ihrer gewaltigsten Höhe in diesen Niederungen aufsteigen, ihre Stämme wie gigantische Säulen um sie her emporreckten und die prachtvollen Wipfel schüttelten und mit ihnen rauschten und flüsterten, als ob der Wald Leben gewonnen hätte, als sie die wunderlich geflochtenen und verschlungenen Lianen in weiten Festons den Weg überhängen