Die Pferdelords 05 - Die Korsaren von Umbriel. Michael Schenk
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Wenn man sich dem Berg von weit her näherte, sah er nun wie ein flacher
Kegel aus, dessen Spitze abgetrennt war. Der scharfkantige Fels wies die
verschiedensten Schattierungen von Schwarz über Grau bis Braun auf und
stieg vom Fuß des Berges immer steiler an. Oben, auf dem Rand des Kraters,
erhob sich in strahlendem Weiß das typische glatte Mauerwerk menschlicher
Baukunst: eine hohe und massive Wehrmauer, die sich um den gesamten
Krater herumzog und von achteckigen Türmen mit Plattformen unterbrochen
war, auf denen schwere Katapulte und Dampfkanonen standen. Überragt
wurde diese Anlage von dem gewaltigen Turm, der sich inmitten des
Kratersees auf einer Insel erhob. Aufgrund seiner enormen Höhe wirkte er
trotz seines beachtlichen Durchmessers schlank und filigran; seine Wände
waren durchbrochen von zierlich wirkenden Balkonen und Brüstungen und
seine Spitze endete in einer metallenen Schüssel, in der das Signalfeuer der
Stadt entzündet werden konnte.
Der Turm war umgeben von säulengetragenen Gebäuden und Grünflächen.
Hier wirkten König und Kronrat des Reiches von Alnoa. Geschwungene
Brücken führten über den großen Kratersee hinweg zu dessen Ufern. Dort
lagen die Häuser der Stadt, die dem Verlauf der Kraterwände folgten.
Ringförmig in übereinanderliegenden Terrassen angeordnet, vermittelten sie
den Eindruck, sie seien die Zuschauer in einem riesigen Amphitheater, dessen
Bühne der Königspalast mit dem Signalfeuer bildete. Bei den Gebäuden
dominierte der weiße Stein, den die Bauherren des Reiches bevorzugten,
weshalb man die Stadt auch die »Weiße Stadt« nannte. Sie war die Hauptstadt
des Königreiches von Alnoa und trug den Namen Alneris.
Kein Feind hatte seinen Fuß je in die Stadt setzen können, obwohl man es
versucht hatte. Vor vielen Jahreswenden war eine starke Armee des
Schwarzen Lords auf den Feldern erschienen, die Alneris umgaben. Die
mächtigen Katapulte der Orks hatten den Verteidigungsanlagen Schaden
zugefügt, aber diese hatten standgehalten, bis die Beritte der Pferdelords den
Menschen des Reiches Alnoa zu Hilfe kamen und die Rettung brachten.
Es gab nur einen Zugang zur Stadt, dort, wo einst ein Teil der Kraterwand
eingestürzt war und sich nun der große Fluss in den Kratersee ergoss. Aber
diese Zufahrt zum Hafen von Alneris, der im Innern des Kraters gelegen war,
und die gepflasterte Straße, die daran entlang in die Stadt hineinführte, waren
durch schwere Tore und mächtige Batterien geschützt.
Der Fluss Genda verband die Stadt mit dem offenen Meer, und der träge
wirkende, aber tückische Strom erreichte rasch eine Breite von zwanzig
Tausendlängen. Erst nach rund vierhundertfünfzig Tausendlängen mündete er
in die riesige Bucht von Gendaneris, wo die gleichnamige Hafenstadt die
Zufahrt schützte. Von Alneris aus gesehen erhoben sich am linken Ufer die
massigen Formen des südlichen Gebirges von Hesparat und bildeten eine Art
natürliche Grenze zum verlorenen Reich der alten Könige. Am rechten Ufer
öffnete sich das Land, das zum Königreich Alnoa gehörte.
Es war ein reiches Land, mit riesigen Wäldern und fruchtbaren Ebenen.
Ein Land, das ein Leben im Überfluss ermöglichte. Die Bäume waren groß
und ausladend und hatten eine weiße Rinde, die nur gelegentlich von dunklen
Flecken bedeckt war. Diese Bäume hatten dem Königreich den Beinamen des
»Reiches der weißen Bäume« eingetragen. Ihr Holz war stark und fest, und so
waren auch die Schiffe des Reiches Alnoa stark und fest.
Die »Shanvaar« hatte den Hafen von Alneris vor einer Tageswende
verlassen und fuhr nun den Fluss entlang in Richtung Gendaneris.
Großkapitän Gort ta Mergon stand an der Reling des Brückenaufbaus am
Heck seines Schiffes und wagte es kaum, die hölzerne Einfassung zu
berühren. Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel herab, und Holz und
Metall der Aufbauten hatten sich unangenehm aufgeheizt. Der adlige
Großkapitän beneidete seine Matrosen nicht, die barfüßig über die Planken
des Schiffes hasteten oder an der Takelage in die Masten aufenterten.
Die »Shanvaar« gehörte zu den Neubauten der alnoischen Marine, und dies
war ihre erste Feindfahrt. Gort ta Mergon fieberte dem Aufeinandertreffen mit
dem Gegner ebenso entgegen wie seine Offiziere und die Besatzung und er
war froh, in seinem Ersten Offizier und einigen der Matrosen erfahrene
Seeleute an Bord zu haben. Es war nicht leicht für ihn gewesen, das
Kommando zu erhalten, und viele beneideten ihn nun zu Recht um dieses
Schiff.
Die »Shanvaar« maß fast vierzig Längen von Bug bis Heck und war
knappe sechs Längen breit. Der hölzerne Rumpf bestand aus dicken Planken
des Weißbaums und war unterhalb der Wasserlinie mit Platten aus Gold
beschlagen, die einen Bewuchs des Unterwasserschiffes mit Algen und
Muscheln verhindern sollten. Der Bug war unter Wasser mit einer