Vernarbt. Ron Müller

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Vernarbt - Ron Müller

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mir. Bei manchen dauerte es zwar einige Jahre, aber es passiert bei jedem, der es verdient.«

      »Wie kommst du darauf?« Er drückte mich an sich. »Und was ist, wenn ich dir verspreche, dass dem nicht so ist?«

      »Siehst du«, sagte ich, »mein Kopf erklärt mir die Welt auch schon auf eine fremde Weise; genau wie Mutters Kopf.«

      »Davor hast du Angst?«

      »Ich will nicht verrückt werden.«

      »Komm her.«

      Er hielt mich so lange fest und sagte mir so oft, dass mein Kopf völlig in Ordnung sei, bis ich es glaubte. Zumindest eine Zeit lang.

      *

      Am Sonnabend wusste ich nachmittags mit mir nichts anzufangen und saß im Garten auf einem der Steine, die das Rosenbeet umschlossen. Dem Tag ging es ebenso wie mir, er schleppte sich ohne Höhepunkt vor sich hin. Wenigstens hatte er an Sonne gedacht. In einem orangefarbenen Ton stand sie über dem Dorf und hängte allem lange Schatten an.

      Auf dem Weg lief eine Ameise. Sie krabbelte hektisch in eine Richtung, drehte dann wieder um und ging woanders hin, um wenig später ein ganz neues Ziel zu verfolgen. Eines vermochte sie wohl nicht – stehenzubleiben. Es machte keinen Sinn, nach einem System in ihren Bewegungen zu suchen, aber es musste eines geben. Irgendjemand sagte diesen kleinen Kerlchen, was sie zu tun hatten, anders passte das tägliche Tun von Tausenden ihrer Art nicht zueinander.

      Ich schreckte auf, bevor ich mir darüber weiter Gedanken machen konnte. Hinter mir schabte etwas. Karl hatte angefangen, den Weg zur Gartentür zu harken. Ich stand auf und versuchte, ihm zur Hand gehen, indem ich das Unkraut aus einem Beet zog.

      »Fräulein!«, sagte er in harschem Ton. »Was hast du bis eben gemacht?«

      »Ich hab vor mich hingeschaut«, antwortete ich und suchte nach einer Rechtfertigung. »Ich wusste doch nicht, dass wir heute etwas im Garten zu tun haben«, stammelte ich das zu Ende, was mir auf die Schnelle einfiel.

      »Gut, dann wirst du dich dort wieder auf den Stein setzen!«

      Ich hatte keine Ahnung, warum er das wollte.

      »SETZ DICH HIN!!« Seine Worte klangen härter, als er sie wiederholte.

      Ich warf das Unkraut beiseite, klopfte mir die Erde von den Fingern und ließ mich wortlos nieder. Es fehlte nicht viel, dass ich geheult hätte. Ich kannte ihn nicht in diesem bestimmenden Ton.

      »Und jetzt schaust du wieder so vor dich hin«, sagte er. In diesem Moment konnte er sich das Lachen nicht mehr verkneifen. »Los komm' her.« Karl beugte sich herunter und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Seine Augen suchten mein Gesicht nach einem Lächeln ab. Stattdessen lief mir die erste Träne hinunter - ich bin mir nicht sicher, ob vor Erleichterung.

      Er legte die Hände um meine Wangen. »Herzchen, das ist ein Spaß gewesen.« Ich verstand, was er sagte, doch bei mir war es schon immer so, dass es einige Zeit brauchte, bis die Verunsicherung wieder ging, wenn sie sich erst einmal eingeschlichen hatte.

      »Du brauchst nicht aufzuspringen, sobald ich etwas mache«, sagte er und hielt weiterhin mein Gesicht.

      »Mutter ist manchmal wütend geworden, falls ich ihr nicht gleich zur Hand gegangen bin.« Mir fielen sofort wieder Tränen hinab, als ich daran dachte.

      »Ich weiß. Ich kenne meine Schwester schließlich auch schon recht lange«, meinte er und setzte sich neben mich. Als wir so im Garten hockten, gab es keinen Grund, dass einer von uns etwas sagte. Wir sahen auf die Schwalben, zur Sonne und manchmal auf den Weg, auf dem die Ameise inzwischen fehlte. Wir wussten wohl beide, dass es bei mir noch vieles zu heilen gab.

      »Lass es uns so machen«, unterbracht Karl die Ruhe. »Du fegst zwei Mal in der Woche das Haus. Das ist ab jetzt deine Aufgabe, und wenn du sie gemacht hast, dann lässt du vom Rest die Finger, es sei denn, ich bitte dich darum.«

      Ich nickte.

      »Dann hat jeder genug zu tun und wenn mir mal nach Harken ist, bekommst du kein schlechtes Gewissen und kannst dir weiter meinen verwilderten Garten ansehen.«

      Als er das sagte, konnte ich wieder etwas lächeln.

      »Du weißt, dass ich meine große Schwester wirklich sehr liebe …«, sagte er, ohne eine Antwort zu erwarten. »… aber nicht alles, was sie getan hat, war richtig.«

      Dieser Satz war schwierig für mich, weil es so war, als würde ich mich gegen Mutter stellen, sobald ich auch nur darüber nachdachte, ob er stimmte. Schließlich hatte ich elf Jahre lang meine Wahrheiten aus ihren gemacht.

      *

      Immer, wenn ich später an die Zeit nach dem Unwetter zurückdachte, fiel mir auf, dass ich damals frei von Heimweh war. In den ersten Wochen konnte ich es mir damit erklären, dass ich die Hoffnung hatte, dass man Mutter in der Anstalt helfen würde. Die Aussicht auf Genesung und das Warten auf ihre Rückkehr trugen mich über die Zeit und beglichen die Wehmut. Nur der Wunsch, sie zu besuchen, blieb. Ich unterdrückte ihn, so gut ich konnte. Manchmal ging es nicht. An solchen Tagen erzählte ich es Karl. Meist unterbrach er dann das, was er gerade tat, legte den Arm um meine Schultern und sagte, dass Mutter erst einmal gesund werden musste und, dass das am Wichtigsten sei. Damit hatte er recht. Trotzdem ärgerte es mich, diese Antwort immer wieder anzunehmen. Manchmal hätten mich solche Erklärungen nicht beruhigen sollen. Dann hätte ich trotzig werden müssen und Mutter nichtsdestoweniger sehen wollen. Stattdessen akzeptierte ich, was man mir sagte und ich bewies mir selbst, wie vernünftig und wie wenig Kind ich war.

      Kapitel 2

      Es muss ein Mittwoch gewesen sein, als man Mutter nach Hause gebracht hatte. Ich weiß es noch, weil es bei Karl freitags immer Fisch gab und wir Forelle aßen, als er mir sagte, dass sie vorgestern entlassen wurde und ich sie am Samstag besuchen könne. Das hatten die Ärzte so gewollt – einige Tage Ruhe, in denen sie in ihrer Umgebung nur für sich war, um sich wieder zurechtzufinden.

      Ich hätte damit gerechnet, in dieser Nacht schwer in den Schlaf zu finden. Mutter zu sehen, hieß Veränderung und somit Unruhe. Ich wollte keine Unruhe mehr. Ich wünschte mir, dass ich ein Stück von dem behalten konnte, was mich in den vergangenen Wochen bei Karl hatte ankommen lassen.

      Als ich am Abend im Bett lag und durch das offene Fenster auf die Kastanie im Hof schaute, wurde ich trotz dieser Gedanken schläfrig – womöglich, weil ich wusste, dass ich den folgenden Tag so nehmen musste, wie er kam.

      Ich schlief tief und lange. Ich träumte auch, etwas von einem markanten Duft. Es war einer der Träume, von denen man nach dem Aufstehen nur ein einziges Bild und ein Gefühl für ein paar Sekunden behielt, danach erinnerte man sich nicht einmal daran, geträumt zu haben – einer der seltenen Träume, die mir sagten, dass ich nicht nachts träumte, sondern am Morgen, kurz bevor ich aufwachte.

      Während mein Schlaf weniger wurde, mischte er sich mit den Gerüchen des Frühstücks, das Karl unten vorbereitet hatte. Frisches Brot und gemahlener Kaffee. Als ich begriff, dass sich das alles nicht in meinem Kopf abspielte, sondern mir tatsächlich eine Hand über die Wange strich, schlug ich die Augen auf. Karl saß auf der Bettkante.

      »Bist du schon aufgeregt?«

      Ich

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