Die Leiden des Schwarzen Peters. Till Angersbrecht
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Читать онлайн книгу Die Leiden des Schwarzen Peters - Till Angersbrecht страница 17
Ich liebe diese Stadt!, so schloss Knirzbein den ersten Teil seiner Rede.
Man hatte diesen Ausführungen schweigend, verwundert und ungläubig gelauscht, überrascht von den schwärmerischen Gedanken eines Besuchers, der ihnen und ihrer Stadt offensichtlich das größte Wohlwollen entgegenbrachte. Auch Bremme nickte beifällig zu den Worten, und für Tautzig waren sie, obwohl er kaum etwas von ihnen verstand, doch eine Musik, die er gerne hörte, denn alles, was nach Werbung für sein geliebtes Goldenberg klang, war ihm selbstverständlich willkommen. Er hatte schon seinen Notizblock gezückt, um den Namen des Redners aufzuzeichnen.
Was das anwesende Publikum betraf, so war die Reaktion dem Redner nicht weniger günstig: Von allen Seiten wurde heftig geklatscht. In diesem Augenblick kam es allen Anwesenden noch wirklich so vor, als hätten sie es bei Knirzbein mit der Verkörperung des idealen Touristen zu tun, dessen Worte man druckreif in die Werbebroschüre der Stadt Goldenberg übernehmen könnte. Dass keiner der Anwesenden so recht begriff, was Knirzbein mit der Verschwägerung von Harmonie und Schönheit eigentlich sagen wollte, spielte dabei durchaus keine Rolle. Es waren die gute Absicht und das unzweideutige Bekenntnis zu ihrer Stadt, die einen tiefen Eindruck auf alle Anwesenden machten.
Zweifellos wäre der hergereiste Schriftsteller allen in bester Erinnerung geblieben, wenn er sich nach dem Beifall brav hingesetzt und die allgemeine Zustimmung in Ruhe genossen hätte; doch ein so bescheidener Rückzug schien der Absicht des zappeligen Schriftstellers gerade nicht zu entsprechen. Man konnte es schon an den fahrigen Bewegungen ablesen, die er beständig mit seinen Armen ausführte, und zwar nicht nur dann, wenn er redete, sondern auch in den Pausen zwischen den Worten.
Knirzbein setzte also zu einer weiteren Äußerung an:
Das Schloss, fuhr er fort, bilde neben der Kirche den historischen und, wie er deutlich zu sehen glaube, auch den geographischen Mittelpunkt dieser altehrwürdigen Stadt. Zwischen den beiden mit Bedeutung aufgeladenen Polen von Schloss und Kirche erstrecke sich ein prachtvoller Park von uralten Kastanienbäumen, geschmückt mit Rosenhecken und Glyzinienlauben, punktiert von verschwiegenen Winkeln, wohin sich der von der Unrast unserer Zeit getriebene Mensch wie in eine rettende Oase zurückziehen könne. Es sei dies aber glücklicherweise kein pedantisch gepflegter, kein von Planern und Designern künstlich gestylter Park, sondern ein von der Natur selbst aus Bäumen, Rosen und einem Teich wunderbar gefügter Fluchtpunkt, den die Geschichte in verträumter Planlosigkeit über Jahrhunderte heranwachsen ließ. Wenn er, Knirzbein, den Park betrete und sein Blick auf die Kirche falle, das Schloss oder die hochgiebeligen Bürgerhäuser, die den Park zu beiden Seiten umsäumen, dann höre er die Dichter der Vergangenheit reden, die Heiligen, die Irren, die Landsknechte, die Narren. Ja, genauso sei es: Sie würden sich aus ihren Gräbern erheben und mit der längst vergangenen Poesie ihrer Zeit zu ihm sprechen.
Was Knirzbein da den im Rathaus versammelten Goldenbergern erzählte, war natürlich sehr phantasievoll und, wie ich glaube, überwiegend metaphorisch gemeint, so wie es sich eben für einen Schriftsteller gehört, der gerne nach historischen Stoffen greift und dabei ins Träumen und Schwärmen gerät. Für die versammelten Bürger war die Kost aber doch gar zu ungewohnt, eigentlich unverdaulich. Schauten einige unter ihnen zunächst noch mit leerem Blick an die Decke, so begannen andere bereits damit, unruhig auf ihren Sitzen herumzurutschen und mit den Füßen zu scharren. Ich gehe davon aus, dass keiner der im Rathaus Versammelten jemals mit Heiligen oder mit Irren kommunizierte, wenn er oder sie den Stadtpark betraten - Bremme schon gar nicht, und auch dem Chemiker Saase sind derartige Gespräche mit Sicherheit fremd. Der Letztere stieß seinem Nachbarn sogar in die Rippen, schüttelte mit bösem Grinsen den Kopf und in offensichtlich beleidigender Absicht hob er den Zeigefinger dann an die Stirn – wie ich inzwischen weiß, ist das eine Geste, womit sie untereinander zum Ausdruck bringen, dass das Gehirn des Getadelten dringend der Reparatur bedürfe, denn dort seien „die Schrauben locker“ oder „nicht alle Tassen im Schrank“ - so pflegen sie es hier auszudrücken.
Dennoch wäre es auch jetzt noch zu keinem Eklat gekommen, hätte Knirzbein seine aufklärende, aber leider weitgehend unverstandene Rede an diesem Punkt abgebrochen. Man hätte dann eben von einem wunderlichen Schriftsteller gesprochen – was sollte man von einem solchen auch anderes erwarten? Die sind doch alle irgendwie komisch, wenn nicht verrückt – das ist die übliche Art, wie sie hier über Dichter und Schriftsteller reden! Aber Knirzbein brach an diesem Punkt keineswegs ab, nein, er „setzte noch einen drauf“ - und das war den im Rathaus Versammelten leider zu viel.
Der Park, sagte er, und seine Stimme schoss bei diesen Worten um fast eine Oktave in die Höhe – offenbar drang die Tollkühnheit seines Einspruchs auf einmal in sein Bewusstsein vor -, der Park darf auf keinen Fall abgeschafft werden. Wer ihn plattwalzt, ist ein Barbar!
Das hatten nun allerdings alle, und zwar augenblicklich, verstanden! Saase sprang von seinem Sitz so heftig empor, dass er ihn mit einem Krach nach hinten zu Boden warf. Bremme schlug vor Erregung mit der Faust auf den Tisch, oder was er für einen solchen hielt, denn vor ihm gab es gar keinen Tisch, sondern nur die sorgsam aufgetakelte Frisur der in der Reihe vor ihm sitzenden Dame, die einen schrillen Schrei ausstieß, als Bremmes Pranke ihr in die Haare fuhr. Tautzig war überhaupt außer sich, so dass ihm – was sonst niemals geschah – vor Empörung die Zigarre zwischen den Lippen zu Boden glitt.
Dieser Mann hat mich persönlich beleidigt, schrie er und machte Anstalten, sich auf den kleinen Knirzbein zu stürzen, der allerdings - in diesem Augenblick zu Recht von jähem Schreck erfasst - mit erstaunlicher Leichtfüßigkeit zum Ausgang sprang und den Tumult im Inneren des Saals danach gar nicht mehr mitbekam. Er war einfach verschwunden und blieb es übrigens auch während der drei folgenden Tage.
Die Flucht des Übeltäters brachte den allgemeinen Aufruhr freilich keineswegs zum Erliegen - zu ihrem Grimm und Erstaunen mussten Bremme und Co. erfahren, dass der fremde Schriftsteller eine Mine gezündet hatte, deren drohende Gegenwart bis dahin nur niemand wahrnehmen, geschweige denn öffentlich darauf hinweisen wollte. Gewiss hatten der Apotheker Julius, der Lehrer Dönnewat und natürlich viele andere Bewohner der Stadt schon vorher missbilligend den Kopf geschüttelt, wenn von der Zerstörung des Parks und dem künftigen Kaufhaus die Rede war. Sie wagten es aber nicht, ihren Unmut über den kleinen Kreis der Gleichgesinnten hinaus zu verbreiten, so groß und übermächtig schien das Lager der Fortschrittsfanatiker zu sein. Doch jetzt, als Knirzbein in wenigen Sprüngen dem Saal entflohen war und Tautzig sein „Nun gerade!“ in die Versammlung brüllte, erlebten die Freunde des Apothekers zu ihrer freudigen Überraschung, wie das Blatt sich zu wenden begann, denn Frieda Torbrück, die Frau Pastor, trat vor die Versammlung und mahnte mit ausladender Geste, wie man sie sonst nur auf der Kanzel von ihr kannte, zur Ruhe. Was die Bürger dann von ihr zu hören bekamen, war überaus seltsam und ist es bis heute geblieben:
Ihr wisst, liebe Mitbürger, Gott ist allgegenwärtig, zu jeder Zeit ist er unter uns, Gott ist zugleich Gegenwart und Vergangenheit. Der Fremde hat recht: Wenn wir in Goldenberg das Alte nicht bewahren, werden wir auch das Heute verlieren.
Da fassten sich der Apotheker Julius und der Lehrer Dönnewat plötzlich ein Herz – sie waren so kühn, zu den Worten der Frau Pastor kräftig zu klatschen, obwohl das ein Akt von Hochverrat war, denn es ließ sich ja durchaus nicht leugnen: Damit hatten sie und die Torbrück sich eindeutig