Die Leiden des Schwarzen Peters. Till Angersbrecht

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Die Leiden des Schwarzen Peters - Till Angersbrecht

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vorzustellen, welche Absichten verfolgt der Baron mit seinem Erscheinen? Hat er vielleicht vor, sich an diesem populären Ort mit dem Volk gegen die bürgerlichen Usurpatoren der Stadt zu verbünden? Oder geht es ihm nur darum, den Leuten in Erinnerung zu rufen, dass es ihn und den verzopften Adel noch gibt, der doch in letzter Zeit immer mehr in Vergessenheit zu geraten droht?

      Traf vielleicht Gunter Knirzbein ins Schwarze, der um diese Zeit zu Besuch in Goldenberg weilende Dichter, als er, zu Bremme gewandt, spöttisch meinte, dass von Kneek in seinem allzu großen, außer von seiner Familie und einigen verarmten Verwandten ganz unbewohnten, man darf doch wohl sagen, verwaisten und verödeten Schloss so sehr an Einsamkeit leiden müsse, dass es ihn vor lauter Verzweiflung aus seiner Höhle unter die Menschen treibe?

      Der Anblick des Schlosses, das vom Odysseus aus nicht zu sehen ist, weil die mächtigen Kastanien den Blick verstellen, wohl aber wenn man sich einige Dutzend Schritte in Richtung des Teichs begibt, hatte mich gleich vom ersten Tag an fasziniert, zumal es hieß, dass in dem riesigen Gebäude, das auf einem Hügel wie ein Adlerhorst am Rande des Parks mächtig in die Höhe ragt, nur eine einzige Familie wohne, nämlich der Baron mit seinen zwei Töchtern – die Schlossherrin sei schon vor Jahren an schwerer Krankheit verstorben. Nur drei Leute also, bedient von einer uralten Aufwärterin, besitzen und besetzen für sich allein das weitläufige Bauwerk, während die meisten Goldenberger nicht mehr als zwei oder drei kleine Zimmer in jenen steinernen Schachteln bewohnen, die hier die Straßen und Gassen säumen. Ich rätselte sogleich über den auffallenden Gegensatz und fragte Dönnewat, den Lehrer, welchem Umstand dieser Vorzug zu danken sei. Ich fragte ihn, als er zusammen mit Trimmelsbaum, seinem Kollegen, das Odysseus verließ - zu später Nachtstunde war das, als auch meine Arbeit beendet war.

      Geburt!, meinte der Lehrer, nichts als die Geburt. Der Herr Baron wurde in das Schloss hineingeboren, ein Glück, das uns anderen Goldenberger leider versagt blieb.

      Dann verhält es sich damit wie mit der Hautfarbe, gab ich zurück. Die einen werden schwarz, die anderen weiß geboren; und je nachdem fahren sie Autos, leben in Palästen oder müssen sich mit Eseln und strohgedeckten Hütten begnügen.

      So einfach dürfe man das nicht sehen, meinte Dönnewat und klopfte mir auf die Schulter, denn er meinte es von Anfang an gut mit mir. Ich glaube, Dönnewat ist ein echter Freund, er gibt sich immer die größte Mühe, mir die Rätsel Goldenbergs zu erklären.

      Weißt du, da kommt noch etwas anderes hinzu: die Tradition. Wenn eine Familie jahrhundertelang einen so besonderen Lebensstil pflegt, dann verschönert das ihr Wesen, am Ende werden sie, wie soll ich sagen?, zu lebenden Gedichten.

      Dönnewats Augen sahen plötzlich an mir vorbei, irgendwo hinaus in die Nacht, von wo ihm – vielleicht aus den Grotten und Schatten des Parks - auf einmal die Verse zuflogen:

      Ist ein Schloss. Das vergehende

      Wappen über dem Tor.

      Wipfel wachsen wie flehende

      Hände höher davor.

      In das langsam versinkende

      Fenster stieg eine blinkende

      blaue Blume zur Schau.

      Keine weinende Frau -

      sie ist die letzte Winkende

      in dem gebrochenen Bau.

      Siehst du, seit jeher ist die Poesie, unsere liebe Dame, mit dem Schloss und seinen Bewohnern verschwistert. Der Dichter bestaunt die kostbare Kleidung, die vornehme Ausdrucksweise, die Pracht der Feste. Die von Kneeks sind bei uns längst ein Mythos, lebende Vorbilder für die Stadt, das ist jedem Goldenberger bewusst. Selbst Leute wie Bremme, die hinter dem Rücken des Barons immer nur lästern und Böses schwatzen, fühlen sich im Grunde hochgeehrt, wenn sie beim Herrn Baron zu Gast sein dürfen.

      Da fasste ihn Trimmelsbaum scharf am Arm, so dass wir alle drei plötzlich in der Finsternis stehen blieben. In grimmigem Ton wies er Dönnewat zurecht.

      Nun hören Sie aber auf, Herr Kollege! Sie wissen so gut wie ich, wie die von Kneeks und ihresgleichen entstanden sind. Irgendein Vorfahre hat in grauer Vergangenheit fester und blutiger auf seine Mitmenschen eingeschlagen als die übrigen Mitglieder seiner Horde; auf diese Weise hat er sich zu ihrem Herrn aufgeschwungen, und dann die wehrlosen Bauern ausgequetscht, dass sie ihn und seine Ritter durchfüttern müssen; aber nicht genug damit, hat er sich von ihnen in harter Fron auch noch einen Herrensitz bauen lassen. Da wurde der Abstand zum einfachen Volk dann mit jeder Generation etwas größer, so lange, bis die Verbrechen der einstigen Briganten und Wegelagerer in völlige Vergessenheit gerieten und die von Kneeks dem Volk schließlich wie Halbgötter erschienen, denen der kleine Mann als Sklave zu dienen hatte. Das ist die traurige Wahrheit, die Sie mit Ihrem poetischen Spleen zu einem klebrigen Lügenbrei verkleistern.

      Trimmelsbaum ist eine merkwürdige Erscheinung: immer etwas gebeugt, aber mit Falkenaugen, durch die er sein Gegenüber wie eine Beute fixiert. Er ist ein echter Spielverderber, denn an der Meinung anderer Leute hat er stets etwas auszusetzen. Seine Kollegen, die anderen Lehrer, haben ihm den Spitznamen, „der grimmige Philosoph“ angehängt, weil er es niemals lassen kann, in jede Suppe seine eigene Prise von Salz zu schütten, bis sie für empfindliche Mägen nahezu ungenießbar wird. So auch diesmal.

      Lieber Trimmel, beantwortete Dönnewat den Ausfall mit einem Ächzen. Ich weiß schon, Sie halten nichts von der schönen Dichtung, dafür bedaure ich Sie von ganzem Herzen, weil Sie mit diesem Mangel wohl leider geboren wurden. Er ist kongenital und also unaufhebbar. Aber bitte: Gehen Sie schonend mit anderen um, zum Beispiel mit unserem lieben Gast aus der Ferne. Denken Sie daran, dass Sie mit derart herabwürdigenden Ausführungen ihm alles Interesse an Goldenberg, unserer herrlichen Stadt, vergällen und, nebenbei gesagt, auch noch jede Ehrfurcht vor der Vergangenheit niedertrampeln.

      So gerügt, enthielt sich Trimmelsbaum einer Antwort, das Gespräch fand ein abruptes Ende, und ich verabschiedete mich von meinen Begleitern, nicht ohne mir allerdings meine eigenen Gedanken zu machen.

      Ist es nicht möglich, fragte ich mich, dass der Baron eine Art von Medizinmann ist, dem von Geburt an bestimmte außerordentliche Gaben verliehen sind, woraus sich dann natürlich entsprechende Vorrechte ergeben? Ich denke da an unseren großen Mgebesamba, der alles im Überfluss genießt: mehrere Hütten und mehr als ein Dutzend Frauen, dazu einen reichen Vorrat an Früchten, Nüssen und Rindern, welche die Leute ungebeten in seinem Kraal abliefern, denn Neid ist ihnen ganz fremd. Im Gegenteil, aus freien Stücken bringen sie dem großen Mann all diese Gaben, weil ihnen durchaus bewusst ist, dass es ihnen ohne ihn, den mächtigen Medizinmann, sehr schlecht gehen würde, denn er ist der Blutsbruder aller höheren Geister: Loso und Bosk gehorchen ihm aufs Wort, ebenso wie die Berggeister Ndele und Kishunga. Die Geister müssen zufrieden sein, das wissen die Leute; sie sind es aber nur, wenn auch der Medizinmann zufrieden ist. Deswegen überhäufen sie ihn mit ihren Geschenken. Es ist ganz so, wie Dönnewat sagt: Geburt und Tradition, Tradition und Geburt.

      Ist es nicht bemerkenswert, denke ich weiter, dass es überall derart große und bevorrechtigte Menschen gibt, ich meine, nicht nur in meiner Heimat, sondern auch hier in einem so fernen Land mit seinen ganz anderen Sitten und Anschauungen? Unser lieber Mgebesamba erfreut sich an mehr als einem Dutzend Frauen, obwohl er, wie jeder andere auch, mit einer einzigen sein Auslangen finden würde, die v. Kneeks leben zu dritt in einem riesigen Schloss, obwohl eine Wohnung von den üblichen Maßen den Zweck genauso gut erfüllen würde – es ist wirklich überall gleich.

      Im Schloss darf der Mohr nicht fehlen!

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