Die Leiden des Schwarzen Peters. Till Angersbrecht

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Leiden des Schwarzen Peters - Till Angersbrecht страница 11

Автор:
Серия:
Издательство:
Die Leiden des Schwarzen Peters - Till Angersbrecht

Скачать книгу

und bündig zurück, eine Antwort, die ihm sichtlich Befriedigung verschaffte, denn mit lauter Stimme, damit es seine beiden Angestellten ebenso wie die drei im Geschäft befindlichen Kunden hörten, erteilte er mir sogleich eine väterliche Belehrung.

      Für Sie rühre ich etwas ganz Besonderes an, Sie kommen immerhin aus sehr großer Ferne. Sie sind ein Naturkind, da würden die üblichen Medikamente unserer überzüchteten Zivilisation kaum etwas nützen!

      Als er sich von mir abwandte, um auf der Suche nach der richtigen Medizin neuerlich im Dunkeln seines weitläufigen Reichs zu verschwinden, hatte ich Gelegenheit, den Eingangsraum dieser Heilstätte zu bewundern. Auf breiten Regalen, welche die Wände rechts und links des Portals vom Boden aus bis zur Decke bedecken, befinden sich unzählige gläserne Behälter, in denen die Kunst verflossener Jahrhunderte sämtliche Essenzen versammelt hatte, mit denen der Mensch in Goldenberg seinen vielen Leiden zu Leibe rückt. Von diesen muss es hier unzählige geben, denn, wie ich recht bald bemerkte, hat fast jeder Goldenberger gegen irgendein körperliches Gebrechen zu kämpfen. Die einen halten sich für zu dick, die anderen für zu dünn, die einen quält eine zu trockene Haut, bei den anderen ist sie zu fettig, den einen schmerzen die Augen, weil sie zu weit, den anderen, weil sie nur in der Nähe sehen. Die größten Übel aber scheinen bei ihnen geistiger Art zu sein und sich deshalb vorwiegend in ihren Köpfen abzuspielen. Bei den einen rattern die Gedanken so andauernd und so heftig, dass sie nicht mehr abgestellt werden können; bei den anderen leidet der Kopf hingegen an unsäglicher Leere.

      Liebe Leute, hatte der Apotheker einmal der Runde im Odysseus eine Einsicht offenbart, die er besonders zu schätzen schien, denn er trug sie im Ton der Vertraulichkeit wie ein Geheimnis vor. Ihr müsst wissen, dass es für jeden von uns nur eine einzige Art gibt, gesund zu sein; heute treffen wir diesen Zustand vermutlich nur noch im Dschungel bei den Wilden an, aber als die Kultur erfunden wurde, stieg die Zahl der Krankheiten auf unendlich an - und jeden Tag erfindet unsere Zivilisation noch Dutzende von neuen dazu.

      Wem sagen Sie das?, lieber Kollege, platzte Dönnewat daraufhin mit einem Beispiel heraus, das ihn als Lehrer noch viel stärker beunruhigte. Es gibt nur eine einzige Art, ein Diktat richtig zu schreiben, aber Sie würden staunen, ja, Sie würden so richtig das Gruseln lernen, wenn Sie erlebten, wie viele mit roter Tinte geahndete Fehler meine kleinen Schulbarbaren in einem einzigen Satz - was sage ich? - in einer einzigen Zeile unterbringen.

      Der Apotheker verzog das Gesicht, der Vergleich schien ihm unangemessen und irgendwie herabwürdigend für sein eigenes Gewerbe. Denn die Gesundheit, körperlich wie geistig, schien ihm doch unendlich viel wichtiger als ein richtig geschriebenes Diktat. Doch er enthielt sich der Widerrede, denn Dönnewat war sein einziger wirklicher Freund.

      Damals also suchte ich mit meiner Erkältung das Reich des Apothekers Julius auf. Voller Ehrfurcht schweifte mein Blick über die grün lackierten Regale der Apotheke, wo die in bauchigen Gläsern verwahrten Pulver dicht an dicht nebeneinander stehen, eine wahre Farbsymphonie von Pulvern, die meisten in zurückhaltenden Tönungen zwischen Schiefergrau und Petersiliengrün, doch einige wenige überraschten mich durch blutiges Rot bis hin zu schwefligem Sonnengelb. Ich stellte mir vor, dass die leichteren Übel mit Pulvern von diskreter Tönung behandelt werden, während man schon als Moribundus erscheinen muss, um mit dem aggressiven Schwefelgelb oder dem blutigen Rot traktiert zu werden.

      Doch da irrte ich mich in meinen Mutmaßungen, denn in Wahrheit war, was ich da auf den Regalen voller Ehrfurcht bestaunte, nichts als Geschichte. Apotheker Julius war längst kein General mehr, stets bereit, neue Kämpfer aus Sud und Pulver an die Front der Gebrechen zu schicken, indem er, wie noch sein längst verstorbener Vater, in einem fort neue Essenzen zermahlte, zerstampfte, mischte und gegen den vielköpfigen Feind antreten ließ. In Wahrheit war der Apotheker Jürgen Julius nur noch Statist, ein Befehlsempfänger in seinem eigenen Reich.

      Wissen Sie, Dönnewat, wozu mich diese Halunken, diese Pharmafirmen, herabstuft haben, wozu sie mich degradierten? Ich darf nichts Besseres mehr sein als ein bloßer Handlanger der Industrie, die mir ihre Waren, fertig verpackt und zubereitet, ins Haus schickt, damit ich sie dann wie ein willenloser Roboter nur noch über die Theke schiebe. Früher einmal waren wir Apotheker alles zugleich: Erfinder, Alchimisten, Medizinmänner und Naturforscher auf eigene Faust und Rechnung; all die vielen Pulver in den Gläsern und Flaschen, die Sie bei mir auf den alten Regalen links und rechts vom Eingang meines Hauses bewundern, zeugen von unserer Jahrhunderte währenden Regsamkeit im Kampf gegen Verfall, Krankheit und Tod. Doch heute ist all diese Pracht nur noch Dekoration – ganz wie ich selbst. Ich bin ein trauriges Überbleibsel aus einem vergangenen Jahrhundert.

      Als ich damals seine Worte hörte, begriff ich plötzlich, warum es im Gesicht des Apothekers diesen Zug von Wehleidigkeit gibt; ich begriff, dass der arme Mann in einem Museum lebt, dessen einstige Größe sich nur noch aus den grün lackierten Regalen erahnen lässt mit all ihren längst unbrauchbaren Schätzen. Und ich begriff auch, wie sehr ihn deswegen gerade mein Erscheinen begeistern musste, die Ankunft eines Naturkinds, denn einem solchen konnte er doch unmöglich eines der vorgefertigten Medikamente verkaufen, die nur für den überzüchteten Zivilisationsmenschen taugen! Zum ersten Mal bot sich ihm wieder die Möglichkeit, ein Spezialrezept aus eigener Kunst anzubieten.

      Na ja, ich habe es überlebt.

      Alle an einem Tisch

      Juli, 1 Monat und 13 Tage vor Erbauung des Gump;

      Seelentemperatur: kreisender Adler;

      Geisterkontakt: keine Verbindung;

      Witterung: warm, wechselhaft, tückisch

      Mehr als drei Monate halte ich mich schon unter den Eingeborenen auf, und erst jetzt beginnt es hier warm zu werden: ein einschmeichelnder Junitag, der es noch aus einem weiteren Grund verdient, in meinem Bericht besonders hervorgehoben zu werden, denn es haben sich Gäste zu der üblichen Runde gesellt, die hier sonst nie gesehen wurden – nicht irgendwelche unbedeutende Gäste, deren Kommen und Gehen so wenig Beachtung findet wie die Mehrzahl der Menschen, denen man auf den Hauptstraßen von Goldenberg täglich begegnen kann. Nein, die gerade Eintreffenden erregen jedermanns Aufmerksamkeit, insbesondere auch die des Bürgermeisters, der sich allerdings die größte Mühe gibt, sich davon nichts anmerken zu lassen - als Bürgermeister glaubt er natürlich über allen anderen Personen und Dingen zu stehen und schenkt daher keinem von ihnen besondere Beachtung, ja, er scheint sich in diesem Augenblick eher darum zu bemühen, das Erstaunen, das hier jeden beim Anblick der Neuankömmlinge erfasst, mit keiner Gesichtsregung zu verraten. Ich aber lasse mich dadurch nicht täuschen: Gerade, weil Bremme das Geschehen in seiner Nähe aus den Augenwinkeln verfolgt und so bemüht auf den Skatkartenfächer in seiner linken Hand blickt, habe ich keine Zweifel, dass er, wie alle übrigen Anwesenden auch, nur an die unerwartete Ankunft der drei gerade eintreffenden Personen denkt, denn wir alle können ja an etwas anderes gar nicht mehr denken, so ungewöhnlich ist das Ereignis.

      Jedenfalls übertreibe ich keinesfalls, wenn ich den alten Schlossherrn Baron von Kneek als eine Institution beschreibe, genauer gesagt, als einen Stein des beständigen Anstoßes für die einen und einen magnetischer Pol mit geheimer Anziehungskraft für die anderen. Neu, aufregend und für viele überhaupt unbegreiflich ist nur, dass Herr von Kneek sich freiwillig dazu herablässt, das Odysseus aufzusuchen, einen Gasthof, der seinem Stand und gutsherrlichen Wesen eigentlich unangemessen ist, weswegen sein Auftritt natürlich sofort Anlass zu den absonderlichsten Spekulationen gibt. Manche glauben, man müsse darin einen kühnen, geheimen und sicher folgenreichen Schachzug erblicken, denn natürlich geht niemand davon aus, dass ein Mann, der in seinen Kellern eine Sammlung der kostbarsten Weine sein eigen nennt, in vorgerückten Jahren auf einmal von einem unstillbaren Durst nach Pier geplagt wird, der großen Verführerin des kleinen

Скачать книгу