Bloody Julie 2.0. Susanne Sievert
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Ächzend rutsche ich ein Stück nach unten – jede Bewegung ist eine zu viel – und höre ein Rascheln. Ich schrecke zusammen und stelle erleichtert fest, dass ich selbst das Geräusch verursacht habe.
„Nicht durchdrehen, Julie“, ermahne ich mich. Meine Stimme klingt rau und trocken, aber sie ist vertraut. Ein Anker.
Mir wird schwindlig, also beschließe ich, lieber klein anzufangen. Ich taste neben mich und fühle Stoff auf einer weichen Oberfläche. So weit, so gut. Ich schätze, ich liege auf einer Matratze mit einer Decke, rau, geruchslos und gestärkt.
„Wie kuschlig“, murmle ich und versuche, die Decke mit den Füßen abzustreifen. „Das ist ja wie im Krankenhaus. Schrecklich.“ Es klappt nicht, also klemme ich die Decke zwischen meine Füße, muss aber einsehen, dass ich nicht genug Kraft habe. Es ist keine gute Idee, es weiter zu versuchen. Ich lege eine Pause ein.
„Also gut, immer mit der Ruhe, Julie.“ Selbstgespräche hatte ich lustiger in Erinnerung. Ach nein, das waren ja meine anderen verrückten Stimmen, die mich jetzt im Stich lassen.
Ich kneife die Augen zusammen, blinzle und wische mit der Schulter mein Gesicht trocken. Langsam lichtet sich der Schleier und Ruhe verdrängt die Panik. Eine gute Gelegenheit, meine Umgebung näher zu betrachten.
Mein Kopf rollt nach links und das erste, was in mein Blickfeld fällt, ist ein Kleiderschrank, geschmackvoll in Kotzgrün gehalten, mit offenen Fächern, in denen Handtücher und andere Stoffstapel liegen – aus meiner Perspektive schlecht zu erkennen. Daneben ist eine Tür, leider geschlossen, und ein Stück weiter entdecke ich noch eine. Ob sie auf einen Flur führt, in Richtung „irgendwohin“?
Ich fühle mich nicht belastbar genug, um es herauszufinden, und drehe meinen Kopf nach rechts, vorbei an der weißen Wand mit Raufasertapete und einem Bild, auf dem eine breite Brücke umgeben von Nebel zu sehen ist. Der Abgrund darauf wirkt unendlich – verschlingend – und ich blicke mich lieber weiter um.
Rechts von mir in der Ecke stehen am Fenster ein Tisch und zwei Stühle, beide leer. Gott sei Dank, ich bin nicht in Stimmung, Besuch zu empfangen. Es ist Tag und die Sonne scheint ins Zimmer. Eigentlich schön, wenn ich wüsste, wo ich bin. So fühle ich mich nur schutzlos, ängstlich und allein.
„Ich … ich lebe, gottverdammt“, murmle ich und rutschte ein Stück nach oben. Das war wieder eine Bewegung zu viel und ich beiße mir vor Schmerz auf die Unterlippe.
Ich schmecke Blut; ein weiterer Beweis, dass ich den Löffel noch nicht abgegeben habe. Ich kann mich nicht entscheiden: Soll ich lachen oder heulen?
Meine Hand berührt etwas Kaltes und erst jetzt bemerke ich einen kleinen Rolltisch direkt am Kopfende des Bettes. Eine Flasche Wasser steht darauf. So etwas sieht man nur im Krankenhaus.
Und was ist das? In meiner Hand steckt eine Kanüle, verbunden mit einem Schlauch, der am Tropf endet. Sieht professionell aus, lindert jedoch nicht die Schmerzen. Einen kurzen Moment überlege ich mir, das Ding selbst zu entfernen, aber das verschiebe ich auf später.
„Okay, ein Krankenhaus. Ich hab’s ja gleich geahnt. So ein Mist. Oder nicht? Ist das jetzt was Gutes oder was Schlechtes?“
Niemand antwortet mir. Damit habe ich allerdings auch nicht gerechnet. Wenn das ein Krankenhaus ist, dann wird irgendwann jemand kommen, um nach mir zu sehen, schließlich bin ich eindeutig nicht allein hierhergekommen. Auf diesen Besuch muss ich mich vorbereiten.
„Wasser, ja, Wasser ist erst mal eine gute Idee.“
Ich hebe meinen Arm, ächze und stöhne dabei, versuche es ein kleines Stück weiter und stelle frustriert fest, dass das Wasser genauso gut im Weltall schwirren könnte.
„Ach Mann, Jules, wo bist du nur?“, maule ich und verkneife mir die Tränen. „Ich liege weiß Gott wo, bin ein absoluter Pflegefall und zum Sterben hier vergessen worden. Das ist doch einfach nur zum …“
„Na komm, Püppi, ich helfe dir.“
Mir fehlt zwar die Kraft, an das Wasser zu gelangen, aber ich bin in der Lage, zu schreien. Und das sehr laut.
Wie aus dem Nichts erscheint ein Mann. Ein Mann, der enorme Ähnlichkeit mit Bob Baker hat. Aber er kann es unmöglich sein.
Bobby Bear, so durften mein Bruder und ich ihn nennen, ist tot. Und ich muss es wissen, war ich doch diejenige, die ihn erschossen hat, weil er sich in einen Zombie verwandelte. Das war damals am Motel. Ein weiteres dunkles Kapitel in meiner Geschichte. O mein Gott, Zombies … Mein Gehirn kommt langsam auf Touren. Die Scheißer hatte ich für einen winzigen Augenblick ausgeblendet.
Fakt ist: Mein Freund lebt nicht mehr und tausend Tränen sind meine Zeugen. Dennoch steht er am Fußende, betrachtet andächtig das grässliche Bild und nimmt von meinem Gezeter und Geschrei kaum Notiz.
„Bist du bald mal fertig?“, fragt er nach einer Weile, während ich Atem für den nächsten Schrei sammle. „Ist nämlich nicht so, dass ich ewig hier abhängen kann.“
Seine Worte nehmen mir die letzte Kraft, und ich gebe nach. Okay, warum nicht? Unterhalte ich mich mit einem Toten. Es ist Bobby Bear, wie schlimm kann es werden?
„Bobby …“, hauche ich und kaum habe ich seinen Namen ausgesprochen, fange ich an zu heulen. Ich schluchze und sabbere auf meine Decke, bis seine großen Hände mein Gesicht berühren und ich seine Wärme spüre.
Verrückt, absolut verrückt!
„Das kann doch nicht sein. Ich träume, nicht wahr? Bobby? Ist doch so, oder?“
„Wenn du dich dann besser fühlst, nenn’s einen Traum, Püppi. Schon okay, und jetzt …“ Er greift nach der Flasche, dreht am Verschluss, der sich zischend öffnet und hält den Flaschenhals an meine Lippen. „Trink. Na los, Kleines. Du hast es bitternötig. Danach reden wir. Ganz in Ruhe.“
Mit einigen kleinen Schlucken leere ich die Hälfte der Flasche, was Bobby mit einem zufriedenen Brummen quittiert. Noch nie hat imaginäres Wasser so erfrischend geschmeckt.
„Danke“, sage ich und schaue zu Bobby hinauf. „Macht es dir was aus, eins der Fenster zu öffnen? Ist verdammt stickig hier drin.“
Hey, er hat mir die Flasche aufgemacht, warum nicht auch ein Fenster?
Mein Freund lacht – ach, dieses kraftvolle, tiefe Lachen – und tut mir den Gefallen. Umgehend strömt klare Luft in das Zimmer und kühlt mein verschwitztes Gesicht.
Ich schließe die Augen, genieße die Frische und werde sogar ein wenig schläfrig, bis ein Quietschen meine Ruhe stört. Bobby schiebt sich einen der Stühle ans Bett und ich sehe ein, dass das hier nicht vorbei ist.
Tja, so ist das, wenn man eine verdammte Verrückte ist.
„Weißt du, was echt lustig ist?“, frage ich und Bob schaut aufmerksam in meine Richtung. Er lacht gerne und der Witz wird ihm gefallen. „Bis vor ein paar Sekunden dachte ich noch, ich wäre am Leben. Aber das kann unmöglich sein, wenn du mein erster Besucher bist. Ist das das Wartezimmer zur Hölle, oder was?“