Bloody Julie 2.0. Susanne Sievert

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Bloody Julie 2.0 - Susanne Sievert

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direkt in meine Brust und ein Feuer verzehrt mich von innen. Es tut so verdammt weh, dass ich zu atmen vergesse. Sein Zeigefinger bohrt sich immer tiefer in das blutige, knirschende Loch und ein Feuerwerk explodiert vor meinen Augen.

      Kurz vor einer Ohnmacht hört es überraschend auf.

      „Na, wie siehst du die Dinge jetzt?“, fragt Bob ohne eine Entschuldigung. „Hör auf zu heulen, Püppi, und reiß dich zusammen. Es wird niemand kommen, nicht sofort, und darüber solltest du dich freuen. Beim Schichtwechsel interessiert es niemanden, was auf der Station passiert. Schau mich nicht so an, Kleines. Deine Vermutung ist richtig. Das hier ist ein Krankenhaus. Nicht die Hölle. Wer hat dir den Mist erzählt?“ Er macht eine wegwerfende Handbewegung, während ich damit beschäftigt bin, einen klaren Gedanken zu fassen.

      „Na schön, und was soll das Ganze dann? Ich meine, ich sehe dich, ich spreche mit dir. Da kann ich mir schwer vorstellen, dass …“ Bobby hebt seinen Zeigefinger zum zweiten Mal in die Höhe und panisch wehre ich ab: „Kapiert. Ich hab’s ja kapiert! Ja, ich lebe, verdammt noch mal.“

      „Gut“, antwortet Bobby und nickt zufrieden.

      So wie er vor mir sitzt, sieht er aus wie damals, zu seinen goldenen Zeiten in der Bar. Das schwarze Haar glänzt und die Elvis-Tolle ist perfekt gestylt. Das karierte Hemd spannt sich um seinen üppig genährten Bauch und seine Hände, die großen, schwieligen Arbeiterhände, liegen zusammengefaltet auf seinem Schoß. Ich erinnere mich, wie ich mit elf Jahren meine fünfzig Cent für eine Packung Milch hatte hineinfallen lassen. So tief wie ein Brunnen, dachte ich damals. Noch heute machen sie diesen Eindruck. Kraftvoll, beschützend und unbesiegbar.

      „Du siehst gut aus, Bob Baker“, stelle ich fest und meine Stimme wird schwer und leise. Das Aussehen meines Freundes ist weit von dem Zombie entfernt, den ich erschossen habe. „Ich vermisse dich.“

       Mein Leben ist nicht mehr dasselbe. Wer richtet mich jetzt auf? Du bist der Beste. Du gibst mir Sicherheit. Was wird aus mir?

      All das würde ich gerne sagen, kann es aber nicht, ohne in Tränen auszubrechen. Vielleicht ist das nicht nötig. Sein warmer Blick gibt mir zu verstehen, dass er Bescheid weiß.

      „Soll ich dir was verraten?“ Er beugt sich zu mir, so nah, dass ich seinen Atem riechen kann. Bier und Zigarettenrauch umgeben meinen Freund. Der Himmel behandelt ihn sicher gut. Nach seinem Leben hat er das verdient. „Ich verlasse dich nicht, kann ich gar nicht, so oft, wie du an mich denkst.“

      „Ach, Bobby“, sage ich. Auch wenn seine Worte weichgespült und abgedroschen klingen, berühren sie mich.

      „Okay, dann legen wir los.“ Voller Tatendrang klatscht er in die Hände. Ich schwanke zwischen Aufregung und Angst. Beides gefällt mir nicht.

      „Keine Ahnung, wann wir uns wiedersehen, deshalb werde ich nicht an guten Ratschlägen sparen, Püppi.“

      Ich nicke stumm und denke: Wir werden uns wiedersehen, da kannst du drauf wetten.

      Bobby war der Einzige, der mich jemals zurechtgewiesen hatte, auf seine eigene, liebevolle Art versteht sich. Das hat mich vor manchem Fehler bewahrt. Leider nicht vor allen. Aber hey, Fehltritte gehören zum Leben dazu, oder?

      „Ach, Püppi, du hast so viel ertragen müssen. Das reicht glatt für fünf Leben, aber all das Geschehene steckt in deinem dürren Körper. Kein liebevolles Heim, Eltern, die dich wie Ware behandeln, jahrelang auf dich allein gestellt und trotzdem hast du dich um deinen Bruder gekümmert.“ Seine Hand liegt auf meinem Fuß. In meinem Hals bildet sich ein Kloß, und wenn er so weiterredet, werde ich ihn zurechtweisen müssen.

      „Was erzählst du da, Bobby? Wir hatten dich. Wir hatten einen Rückzugsort. Du hast uns befreit.“

      „Mag sein. Vielleicht hast du recht.“

      Kurz ist er still und ich genieße zum ersten Mal unser Beisammensein. Ist es nicht das Schweigen, das einen Augenblick perfekt macht?

      „Vermutlich muss ich es dir nicht sagen. Will ich aber. Aus einem starken Kind wurde schließlich eine starke Frau. Halte durch, Püppi. Die Zeiten werden nicht besser, die Zombies nicht freundlicher und die Menschen …? Halte durch, wenn es richtig wehtut, und gib nicht auf. Versprich mir das.“

      In seinen Augen liegt ein Flehen, das ich in all den Jahren nie bemerkt habe. Er meint es ernst und ich würde ihm das Versprechen gerne geben, weiß aber nicht, ob ich so stark bin, wie er behauptet.

      „Na klar, Bobby. Ich meine, ich versuche es natürlich. Also, alles wie immer, richtig?“, frage ich und bin doch verwirrt. Den nächsten Satz überlege ich mir genau, denn ich möchte meinen Freund nicht verletzen. „Mal unter uns, Bobby, das ist ein ganz schön dürftiger Rat, meinst du nicht?“

      „Das ist der beste Rat, den ich dir geben kann.“ Er streicht sich über seinen Bart. „Und wer hat behauptet, dass ich fertig bin? Hör gut zu: Es wird der Moment kommen, da musst du loslassen. Das wird für dich eine Herausforderung, Kleines, aber lass einfach los.“

      Keine Ahnung, was die Hinweise meines Freundes sollen. So einen Ratschlag würde ich jedem Menschen auf der Straße geben. Sorry, aber von einem Toten erwarte ich etwas Bahnbrechenderes. Etwas Imposantes. So etwas wie das Öffnen der himmlischen Tore, Engelsgesang, Fanfare und den ganzen anderen Mist. Die totale Erleuchtung!

      Halte durch. Lass los. Ist das sein Ernst?

      „Entschuldige, Bob, aber ich muss es einfach loswerden. Was soll das?“, frage ich. „Wenn du mir jetzt noch sagst Folge deinem Herzen, dann sterbe ich freiwillig. Das hier ist doch kein Disney-Film. Ich brauche mehr, verstehst du? Wo ist Jules? Wie geht es den anderen? Wo bin ich überhaupt und was ist mein Ziel? Können wir die Zombies überleben? Was genau macht Menschen zu Zombies? Siehst du? Das sind wichtige Fragen und darauf brauche ich echte Antworten.“

      Bob senkt leicht den Kopf, als wäre er von mir enttäuscht. Okay, ich sehe ein, der Vergleich mit dem Disney-Film war frech. Aus seiner Brusttasche zieht er gemächlich eine Packung Zigaretten und würde er mir eine anbieten, würde ich nicht Nein sagen. Macht er aber nicht. Tja, Julie, selbst schuld. Mit einer Ruhe, die nur Bobby ausstrahlen kann, zündet er sich die Kippe an und bläst den Rauch nach oben.

      „Ach, Püppi.“ Seine Stimme klingt einen Ton tiefer. Ich habe auf die harte Tour gelernt, dass ich ihn spätestens jetzt ernst nehmen sollte. „Ich habe keine Antworten auf deine Fragen. Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss. Weiß der Teufel, warum die Welt vor die Hunde geht. Das ist das Ende und die Menschen fressen sich gegenseitig auf. Wer hätte gedacht, dass Zombies uns mal die Ärsche aufreißen, was? Und siehe da: Die Erde dreht sich weiter, die Zeit läuft und läuft, und wenn du meine Ratschläge befolgst, findest du womöglich die Antworten auf deine Fragen. Willst du das denn?“

      „Keine Ahnung, Bob“, gebe ich zurück.

      Natürlich will ich wissen, warum Menschen zu Zombies werden. Aber ohne Jules? Allein auf mich gestellt? Schlagartig fühle ich mich klein und hilflos, wie damals im Schrank unter der Treppe. Das Gefühl klebt an mir wie Pech und stinkt zum Erbrechen. Am liebsten würde ich mich unter der Decke verkriechen und so tun, als wäre ich nicht da – zumindest für einen winzigen Augenblick.

      „Mach, was ich dir gesagt habe.“ Das ist keine Bitte, so viel steht fest, auch wenn er die Anweisung mit einem Lächeln unterstreicht. „Und dann, Julie, greifst du dir deinen Bruder und setzt alles daran, dass du von hier verschwindest, kapiert?“

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