Bloody Julie 2.0. Susanne Sievert
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Ich ringe nach Atem, weine und kichere wie eine Bekloppte.
„Siehst du“, sage ich zum Schatten meines Vaters hinter dem Bett. Er hat sich nicht bewegt und das macht mir Hoffnung. „Du hast keine Macht über mich. Nicht mehr.“
Ich blinzle den Schweiß aus meinen Augen und erkenne, dass es an der Zeit ist, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Ich muss mich von ihnen lösen, hier und jetzt.
Meine Hand streicht über den Boden und ertastet eine Glasscherbe. Davon liegen viele um das Bett herum und diese Scherbe ist groß genug, um alles zu beenden.
Mein Vater antwortet nicht. Kunststück: Er ist verschwunden. Einfach weg. Aber sie ist noch da und wirft mir einen Blick zu, den ich nur allzu gut kenne. Ich habe sie enttäuscht.
„Na, muss ich dir helfen oder schaffst du das allein, Schätzchen?“
Meine Mutter deutet auf die Glasscherbe und mein Magen krampft sich zusammen. Ihr Zeigefinger läuft quer über ihr eigenes Handgelenk, während sie mich anstarrt und ein breites, irres Grinsen zeigt. Sie nickt mir aufmunternd zu, als gäbe es keine andere Möglichkeit für mich, aus diesem Albtraum zu fliehen. Heiße Tränen laufen über mein Gesicht und ich fühle eine Traurigkeit, die sich niemals wird lösen lassen.
Was hast du erwartet, Julie? Sei ehrlich. Was hast du verdammt noch mal erwartet?
Ich forme eine Faust, die Scherbe schneidet in mein Fleisch und dann denke ich mit einem Mal an Viva, das elfjährige Mädchen, das ich behüten möchte. Das Mädchen, das in meinen Armen Schutz sucht und so herrlich duftet. Sie riecht nach Himmel, nach Sonne, nach Wärme und nach Hoffnung. Am liebsten würde ich sie in Watte packen und einsperren, damit ihr niemand zu nahe kommt und sie verletzt. Weder Mensch noch Zombie. Aber das wird nicht funktionieren. Ich muss dafür sorgen, dass sie zäh wird – stärker, als ich es in ihrem Alter war.
Ich lasse die Scherbe fallen und höre meine Mutter verächtlich schnaufen.
„Wusste ich es doch“, sagt sie. Sie ist mal wieder wütend. „Du bekommst es alleine nicht hin. Ich habe einen Schwächling geboren. Einen richtigen Waschlappen. Aber weißt du was? Es ist mir egal, denn du bist sowieso tot. Dein Dasein ist bald zu Ende.“
Meine Mutter will mich provozieren, damit ich auf ihre Worte eingehe und ihr einen Grund liefere, mich nach Strich und Faden zu verprügeln. Doch das klappt nicht. Diesmal steige ich aus dem Spiel aus.
Ich sehe ihr ins Gesicht, halte ihrem Blick stand und denke: Mein Gott, es tut mir so leid.
All die Jahre habe ich mich gefragt, warum sie uns nicht liebt. Ich redete mir ein, dass es an uns liegen muss, weil wir anders sind - verabscheuungswürdig. Aber das stimmt nicht. Jules und ich sind nicht der Grund. Sie selbst ist es – und sie ahnt das nicht einmal.
Carla Mond, meine Mutter, hat nie diesen überwältigenden Duft gerochen. Ich erinnere mich genau, als sie mit meinem Vater aus dem Krankenhaus kam, ein Baby im Arm. Mein geliebter Jules. Ohne ein Wort legte sie den Säugling in meine dünnen Arme, stapfte die Treppe nach oben und kam eine ganze Woche nicht aus ihrem Zimmer. Ich drückte das kleine Geschöpf an mich und eine Wolke aus Unschuld, Milch und Butterkeksen umhüllte mich. Ich liebte Jules von der ersten Sekunde an, und zwar bedingungslos.
„Warum hast du uns nicht beschützt?“, frage ich, obwohl ich die Antwort kenne. Aber manche Dinge müssen nun mal ausgesprochen werden.
Ihr Gesichtsausdruck wechselt schlagartig von wütend zu betroffen – geradezu schuldbewusst.
„Was willst du von mir hören, Julie?“ Sie zuckt mit den Schultern, als wäre das Antwort genug. „Natürlich habe ich es versucht. Ich bin doch keine schlechte Mutter! Ich bin zu deinem Vater gegangen und habe gesagt, dass es aufhören muss. Aber du kennst ihn ja. Er hat nicht auf mich gehört.“
Meine Mutter ist mit ihrer Aussage zufrieden und lehnt sich entspannt zurück.
Alles, was ich darauf erwidere, ist ein leises: „Ah.“
Ich entspanne mich, gebe mich dem Schmerz hin und es ist okay. Tief in mir spüre ich, dass es in Ordnung ist, auch mal erschöpft zu sein.
„Ich kann dir nicht verzeihen“, sage ich und starre an die Decke des Zimmers. „Ich kann dich auch nicht verstehen, aber eine Sache hat sich geändert, ganz klar.“
Mein Atem wird immer flacher und aus dem Brennen und Stechen in der Brust wird ein einziger, großer Schmerz.
Schon okay, denke ich und höre Bobbys Gesang im Hintergrund. Ich ergebe mich ja.
„Du tust mir leid“, hauche ich und schließe die Augen.
Ich würde ihr gerne mehr sagen, aber die Kraft verlässt mich. Dafür gehören meine letzten Gedanken nur ihr:
Ich wünsche dir eine zweite Chance, ein anderes Leben. Ein Leben voller Gerüche. Blumen und Herzen. Himmel und Sonne. Wärme und Butterkekse.
Wow, das war gar nicht so schwer. Ich lächle und dann lasse ich los.
Narben und Muster
Die Geister, die ich rief, sind verschwunden.
Es ist der nächste Tag - die Sonne scheint durch das Fenster und das Zimmer erstrahlt in einem anderen Licht. Es sieht kälter, steriler und ungemütlicher aus als zuvor. Das liegt an der neuen Perspektive, denn von einem kalten Boden aus, inmitten von Glasscherben und Wasser, wirkt alles ein wenig hässlicher.
Heilige Scheiße, ich bin am Leben. Nach so einer Nacht des Schreckens! Und was soll ich sagen? Ich fühle mich gut, dafür, dass letzte Nacht der Teufel an meinem Bett gesessen hat.
Der Schmerz ist abgeklungen. Er ist jetzt eher ein konzentriertes Pochen in der Mitte meiner Brust. Meine Finger tasten über den klebrigen Verband. Er ist voller Blut. Na prima, der muss gewechselt werden. Mein bisheriger Aufenthalt in diesem Krankenhaus hat mich gelehrt, dass Besuchszeiten nur von Geistern wahrgenommen werden. Also muss ich die Lebenden wohl selbst suchen.
Das Aufstehen ist nicht so unkompliziert, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich fühle mich, als hätte mir jemand zwei Sandsäcke auf die Schultern gebunden. Aber langsam, Stück für Stück, raffe ich mich auf und komme zum Stehen. Mit einer Hand halte ich mich an der Fensterbank fest und wage einen Blick durch das Zimmer, das nach wie vor verlassen vor mir liegt. Ich bin allein, meine Eltern sind nirgendwo zu sehen. Gott sei Dank.
In Zeitlupe bewege ich mich vorwärts, immer darauf bedacht, nicht in einer Wasserpfütze auszurutschen und auf keinen Fall in eine Glasscherbe zu treten. Es ist mein selbst gemachter Parcours des Grauens und ich meistere ihn wie ein Profi. Ein paar schlurfende Schritte, dann erreiche ich eine Tür, hoffentlich die zum Badezimmer.
Ich werde nicht enttäuscht – keine Abstellkammer oder Ähnliches. Es ist ein typisches Krankenhaus-Bad mit einer Toilette, einer Dusche und einer Menge Desinfektionsmittel. Ich entdecke zwei Literbehälter auf der Ablage des Waschbeckens und einen ganzen Kanister in der Ecke der Duschkabine. Das ist ungewöhnlich und, hey, was haben wir denn hier? Eine Packung Aspirin und einen Kosmetikbeutel mit Duschgel, Zahnpasta, Parfüm und einer Bürste, ohne fremde Haare zwischen den Borsten.
Das