MORS. Ralf Worringen

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erneut auf einen freien Stuhl deutend, an den Tisch. Auf der Arbeitsplatte neben der Kaffeemaschine stand ein Netbook, aufgeklappt. Auf dem Monitor sah ich acht kleine Bildausschnitte: ich erkannte den Mühlenhof, ein Stück der Dorfstraße, Franzkowskis Garten. Die anderen Einstellungen zeigten Wege und Gebäude, die ich in der wahren Welt noch nicht gesehen hatte. König drückte eine Taste, der Garten-Ausschnitt vergrößerte sich. Ich sah die Männer von der KTU bei dem Versuch, die Leiche aus der Regentonne zu bugsieren. Das Wasser hatten sie abgelassen, nun schien sich der Körper verklemmt zu haben. Es gab keinen Ton zum Bild, aber ich ahnte ihr Fluchen.

      „Danke, Schwarz.“ sagte ich und, mit Blick auf den Bildschirm: „Da sieht man so manchen kommen, bevor er klingelt. Ist natürlich besser, als sich draußen vor Neugier die Füße abzufrieren.“

      „Live-Web-Cam“ sagte Kain König. „Hat der Heimatverein mal eingerichtet. Kann man immer mal gucken, wo was los ist, wenn was los ist.“ Und fügte mit einem bedauernden Lächeln hinzu: „Wird aber leider nicht aufgezeichnet.“

      „Schade. Wäre ja auch zu einfach gewesen.“

      Auf dem Monitor konnte ich nun beobachten, wie die KTU die Tonne umkippte, die Leiche herauszog. Fotos wurden gemacht. König tippte auf der Tastatur, zoomte das Bild heran. „Franzkowski. Hätte ihm nicht gefallen, dass ihn jetzt alle im Bademantel sehen.“ Er wandte sich wieder seinem Kaffee zu, trank einen Schluck, grinste vor sich hin und sagte: „Find ich gut.“

      Wie reagiert jemand, dessen Nachbar gerade aus einer Regentonne gekippt wird? Entspannt, gastfreundlich, belustigt? Eher nicht. Wie reagiert jemand, der gerade seinen Nachbarn ermordet hat? Gleiche Antwort. Ich versuchte, mir meine Irritation nicht anmerken zu lassen.

      „Sie mochten ihn nicht besonders?“

      „Weißt du, das wird hier ein schweres Stück Arbeit für dich.“ beantwortete König meine Frage nicht. „Franzkowski war ein Riesenarsch, viele glauben, mehr als das, und es gibt sicherlich keinen hier im Dorf, der dem nur eine Träne nachweint.“

      Er hielt inne, als müsste er kurz überlegen, ob er dabei auch an alle gedacht hatte. Dann fuhr er etwas unsicher fort:

      „Wie auch immer. Wenn wir mal davon ausgehen, dass er uns nicht aus plötzlich erwachter Nächstenliebe den Gefallen getan hat, sich selbst kopfüber im Bademantel in seine Regentonne zu werfen und dass es kein missglückter Versuch morgendlicher Körperhygiene war, suchen wir also einen Mörder. Das erste Problem ist: fast jeder hätte ein Motiv. Das zweite Problem: Wahrscheinlich hat niemand ein Alibi, den entweder feiern wir irgendein Dorffest oder Geburtstag, und da sind dann alle; oder wir haben kein Dorffest und keinen Geburtstag, dann sitzt jeder zu Hause und freut sich aufs nächste Dorffest.“

      „Oder auf den nächsten Geburtstag.“

      „Genau. Kommen wir zum dritten Problem: Niemand hier würde jemanden umbringen. Sei er auch so ein...„

      Wieder stockte König, spuckte dann das nächste Wort förmlich aus:

      „...Teufel wie der da."

      Er nickte Richtung Netbook und atmete tief durch.

      "Wir sind ziemlich friedliebende Leute, und wir haben schon seit langem für uns beschlossen, dass ein Arschloch auf siebzig Einwohner eine Quote ist, mit der man ganz gut leben kann.“

      Erneut hielt König kurz inne, lächelte, und fuhr fort:

      “Ohne den wird’s natürlich noch schöner, weißt du?“

      Königs Duzerei wollte ich nicht länger ignorieren und fragte betont förmlich:

      „Was war denn IHR Problem mit dem Verstorbenen?“

      König ignorierte im Gegenzug sowohl mein Siezen als auch meine Frage: „Pass auf, wir machen das anders. Ich habe noch einen Termin, deswegen bin ich auch so aufgebrezelt.“ Im Aufstehen wies er beidhändig auf den seine Leibesfülle umschmeichelnden grauen Anzug, „aber vorher bring ich dich zu Paul, der hat ein Ferienzimmer oder zumindest so was Ähnliches. Und in etwa zwei, drei Stunden treffen sich da die üblichen Verdächtigen, also fast alle außer den Alten und Gebrechlichen und Irrelevanten. Dann erzählen wir dir alles, was du wissen willst, okay?“

      „Weil der Paul Geburtstag hat.“ riet ich.

      „Genau.“ bestätigte König nickend.

      Er stand auf, griff sich seinen Pott, rief den Hund.

      „Nimm deinen Kaffee ruhig mit, ist gleich um die Ecke“ sagte er und ging vor. Die Männer von der KTU schoben gerade die eingesackte Leiche zum Abtransport in ihren Sprinter. Die Zeiten, in denen dafür extra ein Leichenwagen angefordert wurde, waren, ebenso wie die Zeiten ermittelnder Teams, vorbei. Das Eine war mir egal, das Andere war mir nur recht.

      „Und?“ fragte ich den KTU-Chef.

      „Genickbruch, unschwer zu erkennen. Mehr kann ich jetzt noch nicht sagen. Fingerabdrücke an der Leiche eher unwahrscheinlich nach der Nacht im Eiswasser. Wir packen noch die Regentonne ein, vielleicht gibt es da was. Drinnen sind wir soweit fertig, im Erdgeschoß keine Hinweise auf Gewaltanwendung, Kampfspuren oder sonst was, Oben desgleichen, Keller hat‘s keinen. Tür war nicht abgeschlossen, Schlüssel steckt noch von innen. Mehr dann nach Weihnachten.“

      „Ach, Scheiße ja, Weihnachten! Also...“

      „In einer Woche.“ sagte der KTU-Chef und grummelte noch etwas, was ich lieber nicht verstehen wollte.

      Im Vorbeigehen sagte König zu den beiden Polizisten: „Ist noch Kaffee da, bedient euch.“ Sofort machten sich die Beiden auf den Weg zu Königs unverschlossener Haustür.

      „Schöner 1501,“ sagte König mit Blick auf meinen Wagen, und fügte dann, seine Augen mit einer Hand theatralisch vor dem Anblick des franzkowskischen Eigenheims schützend, hinzu: „Herber Kontrast!“

      Wir liefen, die qualmenden Kaffeebecher in den Händen, etwa einhundert Meter den Weg zurück. Unter den Linden stützte sich dort auf seinen Besen der Weihnachtsmann, wie er im Kinderbuche steht. Um die Siebzig, schätzte ich (ziemlich falsch, wie ich später erfuhr), groß, korpulent, ohne fett zu wirken, weißhaarig, weißbärtig, mit buschigen Koteletten und ebensolchen Augenbrauen. Hochschaftige Lederstiefel, Kleppermantel. Und als wäre sie einem tschechischen Märchenfilm entsprungen, kam seine um einige Jahre jünger wirkende Weihnachtsfrau in ein Lodencape gehüllt, ein neckisches Hütchen mit Feder auf ihrem grauen Haar balancierend, soeben den frisch gefegten Weg von einem sonnengelb verputzten Häuschen daher, zwei qualmende Kaffeebecher in den Händen. Winterliches Outdoor-Kaffeetrinken schien hier Sitte zu sein. Zugleich erreichten wir die Linde und König stellte, nacheinander auf Weihnachtsfrau, Weihnachtsmann und mich weisend, vor: „Paulchen. Paul.“ und nach kurzem Zögern: „Polizei.“ Da mein Nachname die Alliteration gestört hätte, beließ ich es dabei, reichte meine Hand und bekam sie von ihr überraschend und von ihm schmerzhaft kräftig gedrückt zurück. „Der Ermittler hier braucht erstens eine Bleibe für die Nacht und zweitens eine Einladung für deine Geburtstagsfeier.“ erläuterte König. „Ach ja, richtig,“ fiel mir ein, „Glückwunsch auch.“ Leichtsinnig reichte ich meine Hand aufs Neue. „Danke,“ sagte Paul fröhlich, „dass schönste Geschenk habe ich ja mit dem Ableben des Stinkstiefels schon bekommen. Einladung geht klar, gibt ja ordentlich was zu erzählen heute, und die Unterkunft, die zeigt dir Paulchen, nöch?“ „Gerne“, sagte die Weihnachtsfrau, „dann komm mal mit.“ Ich gab Kain König meine leere Kaffeetasse, kontrollierte möglichst unauffällig mit meiner

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