Dramatischer Tod. Günther Tabery
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Günther Tabery
Dramatischer Tod
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Inhaltsverzeichnis
1
Martin betrachtete sich im Spiegel. Ihm gefiel das blaue Seidenhemd sehr gut, das er sich am Nachmittag neu gekauft hatte. Das Zusammenspiel seines glänzenden Hemds, der schwarzen Stoffhose und den polierten Lackschuhen verlieh ihm einen edlen und schicken Touch. Und es betonte seine schlanke Figur, die er dank einer anstrengenden Diät während der letzten drei Monate wieder zurückgewonnen hatte. Nun stand er da und betrachtete sich von allen Seiten, strich sich dabei über den Bauch und machte zustimmenden Laute, wie: „hm“ oder „ja“. Hin und wieder nickte er zufrieden. Veronika lehnte im Türrahmen und beobachtete ihn. Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. `Und dabei heißt es immer: Frauen seien eitler als Männer!´, dachte sie. Langsam schlich sie zu ihm hinüber und strich ihm über die Schulter. Nun trafen sich die Blicke beider im Spiegel und Martin lächelte, als er Veronika erblickte. Sie sah besonders hübsch aus in ihrem rotschwarzen Abendkleid. Beide hatten sich schick gemacht, weil sie heute Abend zu einem Theaterstück in das Bruchsaler Amateurtheater Die Muschel eingeladen worden waren. Gerald, Martins bester Freund, spielte darin eine Rolle. Schon öfter wollten sie Gerald spielen sehen, es hatte sich aber bisher nie ergeben. Heute nun sollte „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams gespielt werden. Ein Drama, das seiner Zeit mit Marlon Brando verfilmt wurde. Veronika wollte wissen, worum es in dem Stück ginge. Also fasste Martin, der zuvor intensiv den Schauspielführer studiert hatte den Inhalt in kurzen Worten zusammen: „Blanche du Bois, die alternde `Southern Belle´, trifft mit ihrer Schwester Stella in der vulgären Welt ihres Schwagers Stanley Kowalski zusammen. Sie spielt die `Grande Dame´ der Herrenklasse. Jedoch macht sie die psychische, moralische und materielle Dekadenz sehr sensibel und zerbrechlich. Sie verschleiert ihre dunkle Vergangenheit, die jedoch von Stanley, der sie nicht leiden kann, jäh entlarvt wird. Doch zuvor betritt ein Hoffnungsträger, Mitch, die Bühne. Ein unverheirateter Freund Stanleys.“ Er unterbrach seinen Vortrag und warf ein: „Ich glaube, diese Rolle spielt Gerald!“ Gekonnt sprach er weiter: „Es könnte gehen mit ihm, Blanche könnte die quälende Enge der Kowalskischen Wohnung verlassen. Aber das Stück endet damit, dass die labile Blanche, durch ihre Schwester Stella initiiert, von einem Arzt in eine Irrenanstalt eingeliefert wird.“
Veronika blickte Martin fragend an. Ihre Augen verrieten, dass sie lieber einen vergnüglicheren Abend mit leichterer Kost diesem schweren Stück vorziehen würde. „Das klingt etwas anstrengend“, bemerkte sie.
„Ja, es klingt sehr anspruchsvoll und ernst, du hast Recht. Es ist vielleicht nichts lustiges, so wie du es dir wünschst. Aber ich denke, es wird bestimmt ein beindruckender Theaterabend. Gerald sagte, dass sie nun schon drei Monate dafür proben und wir gespannt sein können.“ Er fasste ihre Hand.
„Ich habe heute wenig Lust, drei Stunden lang depressives Theater anzuschauen.“
Martin strich ihr über die Wange. „Gerald freut sich, dass wir kommen und ich mich auch.“
„Ist schon gut, auf der anderen Seite freue ich mich ja auch, das erste Mal mit dir in Die Muschel zu gehen.“ Sie seufzte, betrachtete sich im Spiegel und entschied sich, ihren Lippenstift noch einmal nachzuziehen.
Martin blickte auf die Uhr. Es war viertel vor sieben, Zeit, aufzubrechen. Das Amateurtheater Die Muschel lag unweit vom Bruchsaler Friedhof auf einer Anhöhe inmitten eines ruhigen Wohngebietes. Der Weg war nicht weit von ihrer Wohnung aus, so konnten sie das Auto stehen lassen und zu Fuß dort hingehen. Frühlingsduft lag in der Luft. Überall sprießten Blumen in den buntesten Farben hervor und die Bäume trieben aus. Es war ein friedlicher und ruhiger Abend. Die Sonne schien noch goldgelb und wärmte ihre Gesichter. Als sie bei der Muschel ankamen, standen schon unzählige Menschen in Abendroben am Eingang. Martin und Veronika mussten sich vorbeidrängen, um ihre reservierten Karten rechtzeitig abzuholen. Es war heute die Premiere des Stückes und das Theater war vollkommen ausverkauft.
Da Martin und Veronika zuvor noch nie in der Muschel waren, schauten sie sich neugierig um. Im Foyer gab es eine bunt beleuchtete, kleine Bar. Zwei freundlich aussehende Mitarbeiter verkauften Getränke und Snacks. Martin bestellte sich zwei Gläser Sekt. Freudig stießen beide an. Sie lenkten ihre Schritte in einen kleineren angrenzenden Raum, in dem einige Tische standen, die liebevoll mit Blumen geschmückt waren. Dort ließen sie sich nieder. An den Wänden hingen Plakate von früheren Aufführungen in der Muschel. Martin erblickte Geralds Gesicht auf einem der Plakate. `Unsere kleine Stadt´, hieß das Theaterstück. Martin schmunzelte. Es ist schon toll, mit einem der Schauspieler bekannt zu sein, dachte er. „Theater ist schon etwas ganz Besonderes, findest du nicht auch?“
„Hm, ja“, ließ Veronika zustimmend verlauten, während sie an ihrem Glas nippte.
„Die ganze Stimmung. Es liegt buchstäblich etwas in der Luft. Es knistert förmlich. Die Anspannung vor dem Beginn der Aufführung. Das Warten auf die einzelnen Schauspieler. Und alles ist live, ohne doppelten Boden.“
„Ja, da hast du Recht. Das ist schon sehr aufregend.“
Dann öffnete sich eine Tür, auf der das Wort `Privat´ stand. Ein geschminkter Schauspieler steckte für einen kurzen Moment seinen Kopf heraus. Als er Martin und Veronika erblickte, begann er zu lachen: „Hey Martin und Veronika, da seid ihr ja!“
„Gerald, wie schön