Dramatischer Tod. Günther Tabery
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„Ja, ich habe sie schon abgeholt.“
„Dann ist gut. Ich bin froh, dass ihr da seid.“ Er ging vorsichtig an Martin vorbei und blickte in das Foyer. Dann kam er zurück und flüsterte: „Ich habe eine Überraschung für euch. Ich werde euch heute Abend jemanden vorstellen.“
Martin legte den Kopf auf die Seite: „Eine Frau? Hast du jemanden kennengelernt?“
Gerald nickte. „Ja, habe ich. Aber ich wollte erst einmal abwarten, ob es etwas Ernstes wird, bevor ich sie euch vorstelle. Sie wird sich die Vorstellung anschauen. Ich bin unheimlich nervös.“
Martin klopfte ihm freudig auf die Schulter: „Du alter Windhund!“
„Oh, da sind wir gespannt.“ Veronika lächelte Gerald zu.
„Und ich sage euch, sie ist eine wunderbare Frau. Also, dann bis nach dem Stück.“ Sogleich war Gerald verschwunden.
Martin hob sein Glas und stieß mit Veronika an. „Da hat der alte Junge eine Frau kennengelernt. Das ist schön für ihn.“ Er kannte Gerald nun schon seit zweiundzwanzig Jahren, seit ihrer gemeinsamen Ausbildung zum Fotografen. Und diese gesamte Zeit über war Gerald Single gewesen, abgesehen von einigen unglücklichen Versuchen, die jedoch schnell ins Nichts verliefen. Ein oder zwei Mal war Gerald unglücklich verliebt gewesen, aber seine Liebe wurde nie erwidert. So war er unfreiwillig zum Langzeitsingle geworden. Mit den Jahren hatte er sich langsam damit abgefunden. Martin konnte nie verstehen, warum sich keine Frau in Gerald verliebte. War er doch lustig, charmant, aufrichtig und ehrlich und nach seinem Dafürhalten auch ein attraktiver Mann. Aber nun hatte er also sein Glück gefunden. Martin war ganz neugierig, später alles über ihn und seine neue Freundin zu erfahren. Er dachte an sein erstes Zusammentreffen mit Veronika, damals in der Schubertstraße in Karlsruhe. Und an das große Glücksgefühl, was er empfunden hatte und nun auch Gerald empfinden musste. Da riss ihn ein warmer Glockenton aus seinen Gedanken. Offenbar war jetzt Einlass und die Zuschauer sollten ihre Plätze einnehmen. Er und Veronika erhoben sich, brachten ihre Gläser zurück an die Bar und betraten den etwas abgedunkelten Theaterraum. Vollbesetzt fasste das Theater knapp einhundert Sitzplätze, die auf einer Tribüne nummeriert angeordnet waren und stufenweise nach hinten anstiegen. Sie hatten sehr gute Sitzplätze in der dritten Reihe. Vermutlich sah man auf allen Plätzen gut, da die Entfernung zur Bühne nur gering war. Im Hintergrund wurde Musik eingespielt. Die langsamen Swing- und Jazzklänge passten ideal zum Stück, das im schwülen New Orleans angesiedelt war. Der zweite Glockenton erklang. Martin sah die letzten Zuschauer ihre Plätze aufsuchen. Dann wurde es still. Das Licht erlosch und das Stück begann.
Von Beginn an wurde die Geschichte um Blanche in ihrer Rivalität mit Stanley unerbittlich und ehrlich dargeboten. Martin hatte das Gefühl, dass die Schauspielerin der Blanche ihre Rolle nicht nur spielte, sondern lebte. Sie hatte eine einnehmende Ausstrahlung. Und auch Stella, die Schwester, war trotz ihrer Hilflosigkeit Stanley gegenüber nicht nur ein Hausmütterchen, sondern eine unabhängige Frau. Insgesamt war die naturalistische, eher filmische Inszenierung mit ihren liebevollen Details packend und stimmig und krönte vor der Pause in einem langen, traurigen Monolog Blanches, in dem sie von ihrem homosexuellen Ehemann erzählte, der sich selbst aus Hilflosigkeit umbrachte.
Martin hielt Veronikas Hand fest gedrückt, als das Licht wieder anging und die Pause eingeläutet wurde. Sie schauten sich an und waren sich wortlos einig, einem außergewöhnlichen Theatererlebnis beizuwohnen. Veronika hatte ihre anfängliche Skepsis überwunden. Für Amateure war das eine ungewöhnlich gute Leistung, befand Martin. Die Schauspieler hatten ein fast professionelles Niveau. Veronika wollte einen Moment an die frische Luft gehen. Beide standen unter dem überdachten Eingangsbereich. „Das ist schon eine tragische Figur, die Blanche“, begann Veronika. „Gescheitert im Leben, sucht sie Zuflucht bei ihrer Schwester. Und dann trifft sie auf diesen animalischen Stanley. Primitiv ist er.“
„Wenn man sich vorstellt, dass Stanley in der einen Szene im Vollrausch seine Frau Stella geschlagen hat? Bei so einem Kerl sollte sie nun wirklich nicht bleiben.“
„Aber sie wird es, du wirst es sehen. Sie wird zu Stanley halten und nicht zu ihrer Schwester.“
„Ja, ich weiß. Ich hab´s ja gelesen.“
„Gerald macht seine Sache auch gut. `Mitch´, das ist eine liebenswerte Rolle. Der gute Mensch in diesem Stück. Es wäre schön, wenn er und Blanche im Stück zusammenkämen.“
„Ja, das wäre schön.“
„Fast unerträglich mitanzusehen, wenn man im Voraus weiß, wie es ausgeht.“
Beide schwiegen für einen Moment und dachten über das Gesehene nach, was bei ihnen zweifellos einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Martin blickte sich um und auch die anderen Gäste schienen ergriffen zu sein.
Der Glockenton gab an, dass die Pause vorüber war und das Stück nun weitergehen sollte. Neugierig nahmen Martin und Veronika wieder ihre Plätze ein. Der zweite Teil steigerte sich gegenüber dem ersten Teil noch in der Dramatik. Mitch ließ Blanche fallen, weil sie nicht rein genug für seine Mutter sei. Stanley vergewaltigte Blanche, während seine Frau in der Klinik sein Kind zur Welt brachte. Der Abgang von Blanche mit dem Arzt einer Irrenanstalt war ein fast unerträglicher Moment. Nachdem das Licht auf der Bühne ausging, dauerte es einen Moment, bis der Beifall begann. So gepackt waren die Zuschauer. Dann jedoch durften sich die Schauspieler mehrmals verbeugen und der Applaus schien nicht mehr enden zu wollen.
Martin und Veronika verließen mit den anderen Zuschauern den Theaterraum. An der Bar kauften sich beide ein Getränk. Wollten sie doch auf alle Fälle auf Gerald warten und ihm sagen, wie toll sie seine Aufführung fanden. Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis die meisten Gäste gegangen waren. Einige wenige blieben im Foyer, um die Bar herum stehen. Wahrscheinlich waren diese auch Freunde oder Verwandte. Plötzlich öffnete sich die Tür des Theaterraums und die Darstellerin der Blanche kam zusammen mit zwei weiteren Schauspielerinnen heraus. Sogleich kamen drei junge Männer auf sie zu und Martin hörte Komplimente, wie: „Kimberly, du warst wunderbar als Blanche! Unglaubliche Leistung! Ganz großes Theater!“ Und auch die anderen Schauspielerinnen bekamen Aufmerksamkeit: „Katharina, ich hab dir die Stella total abgenommen. Du warst wunderbar! Und du Manuela, hattest zwar nicht so viel zu tun, aber die Arztfrau hatte unheimliche Stärke.“
Dann kam der Darsteller des Stanley heraus. Ganz befremdlich war es für Martin, als er sah, dass dieser die Darstellerin der Stella in den Arm nahm und küsste. Offenbar waren diese im wahren Leben ebenso ein Paar gewesen.
In der Ecke stand schüchtern eine Zuschauerin, die ebenso auf einen Darsteller wartete. Sie hatte braune lange Haare, eine schlanke, zierliche Figur und ebenmäßige Gesichtszüge. Als die Tür abermals aufging und Gerald ins Foyer trat, kam sie ihm sogleich entgegen. Er küsste sie auf die Wange und Martin wusste sofort, dass diese junge Frau wohl Geralds neue Freundin war. Auch Martin und Veronika gingen auf Gerald zu.
„Herzlichen Glückwunsch, Gerald, du warst wunderbar!“, lobte Veronika.
„Ganz toll!“, Martin klopfte ihm auf die Schulter.
„Danke, vielen Dank euch beiden. Und wie fandest du das Stück?“, Gerald wandte sich an die junge Frau.
Diese antwortete: „Du hast sehr gut gespielt. Ich fand alles richtig gut!“
Gerald umarmte sie. „Sehr schön. Und jetzt möchte ich euch meine Herzdame vorstellen. Das ist Leni.“ Stolz präsentierte er sie.
Etwas errötet sprach sie: „Gerald