Das Lied des Steines. Frank Riemann

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Das Lied des Steines - Frank Riemann

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Ehren, aber zerstöre nicht dein eigenes Leben. Das hätte sie nicht gewollt.«

      Da begriff er das erste Mal, was er sich all die Jahre angetan hatte. Das war Freitagabend gewesen, und sie hatten das ganze Wochenende miteinander verbracht.

      An diesem Montagmorgen pfiff er ein fröhliches Liedchen, warf einen letzten Blick in den Spiegel, band sich die Krawatte, griff nach Aktentasche und Jacke und verließ die aufgeräumte Wohnung.

      Er hatte das Haus noch nicht verlassen, da war er tot!

      Santiago de Chile, Montag 26. April, 07:25 Uhr

      »Welch ein lausiger Wochenanfang«, dachte Benito Latas, als er zum Tatort kam. Und als wenn ein Mord am Montagmorgen nicht schon genug wäre, fing es jetzt auch noch an zu regnen. Zwar nur leicht, aber es verbesserte seine Stimmung nicht gerade. Er zog seinen Mantel enger. »Also«, wandte er sich dem jungen uniformierten Beamten zu »was liegt an?«

      »Wollen Sie sich nicht vorher die Leiche ansehen, Kommissar?«, fragte dieser zurück.

      Ben wusste, dass er das eigentlich tun müsste. Es gehörte zu seinen Aufgaben, die Leiche auf besondere Merkmale zu untersuchen, aber an diesem grauen Montagmorgen verspürte er keine große Lust. Er brauchte sich keine frischen Toten mehr anzusehen, er hatte genug davon. Er war zwar erst 36 Jahre alt, hatte aber schon mehr mitgemacht, als viele seiner älteren Kollegen. Er hatte genug von offenen Schädelverletzungen, wenn jemand versucht hatte, sich das Gehirn rauszupusten. Er hatte genug davon, zuckende Leiber zu sehen, wenn sie sich dabei allzu dämlich angestellt hatten. Er hatte genug von Wasserleichen, die, wenn sie lange genug im Wasser lagen, wieder anfingen zu leben, weil sich in ihren verfärbten, aufgedunsenen Leibern eine eigene Art von Leben entwickelte. Und er hatte genug von den betrunkenen und frustrierten Vätern, die ihre kleinen Kinder erschlugen, weil sie schrien. Diese kleinen unschuldigen Körper. Grün, gelb und blau geschlagen, verdrehte Gelenke, gebrochene

      Knochen und zertrümmerte Schädel. Er hatte es nicht mehr nötig, sich spektakuläre Mordopfer anzusehen, um sich etwas zu beweisen. Es gab jüngere Kollegen, die richtig heiß auf so etwas waren, aber dazu gehörte Ben nicht. Er hatte die Schnauze voll. Er würde sich später mit den Fotos und dem Bericht des Rechtsmediziners begnügen.

      »Nein, der Bericht reicht mir erst mal.«

      Der junge Polizist schlug seinen kleinen Notizblock auf und meldete in einem emotionslosen Ton: »Cora Bastion, 48 Jahre alt, weiblich, verheiratet, eine Tochter. Vermutliche Todesursache: Tod durch die Einwirkung einer Stichwaffe, könnte ein Stilett oder ein größerer Dolch gewesen sein. Genaueres natürlich erst, wenn der Gerichtsmediziner mit ihr fertig ist. Ihre Überreste werden gerade abtransportiert.«

      »Ihre Überreste?« Ben war erstaunt.

      »Ja, der Täter muss wie wahnsinnig auf sie eingestochen haben. Ein Arm wurde fast komplett vom Rumpf getrennt. Sieht nicht schön aus.«

      »Mein Gott«, dachte Ben. »Es scheint ihm überhaupt nichts auszumachen. Wie alt mochte er sein? Zwanzig Jahre vielleicht? Gab es eine Zeit, in der mich so etwas auch völlig kalt gelassen hat? Hat es die jemals gegeben? Wie wahnsinnig? Mord aus Leidenschaft? Liebe? Hass? Eifersucht? Aufnahmeritual in eine der örtlichen Gangs?«

      »Geben Sie mir ihre Adresse«, bat er den Kollegen.

      Zwanzig Minuten später hatte ihn sein dunkelblauer 1967er Buick Wildcat zur Wohnung der Toten gebracht. Er wollte immer schon einen amerikanischen Wagen haben, seit er klein war.

      Zwei Wochen nach seinem zehnten Geburtstag hatte er zum ersten Mal einen gesehen. Seine Mutter schenkte ihm einen Pullover, den sie selbst gestrickt hatte. Seine Eltern besaßen nicht viel Geld, und mussten hart arbeiten, um ihn und seine fünf Geschwister zu ernähren. Im Herbst des Jahres sah er ihn, und es wäre beinahe das Letzte gewesen, das er zu sehen bekam.

      Ben und seine Freunde kontrollierten einen Vorort von Santiago. Er war noch nicht lange dabei, und er war der Jüngste. Sie verabredeten sich, um es den Torros aus dem Nachbarort zurück zu zahlen.

      Vor einigen Tagen hatten diese nämlich ihr Clubhaus, das zwischen alten Autowracks versteckt auf einem Schrottplatz lag, vollkommen zerstört. Das konnten sie natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Zu Acht durchstöberten sie das Gebiet der Torros. Der kleine Ben fühlte sich nicht gerade wohl in seiner Haut, aber Hector war ja bei ihnen. Er war der Anführer der Diabolos, schon 16 Jahre alt und Ben vergötterte ihn.

      »Wir trennen uns jetzt!«, kommandierte Hector. »Jeweils zu zweit schwärmt ihr aus und durchstreift die Straßen nach Süden bis zum Fluss.«

      »Komm schon!«, schnauzte Roul Ben an, ergriff ihn am Kragen seines neuen Pullovers und zog ihn hinter sich her. Ben mochte Roul nicht besonders. Eigentlich nannten ihn alle Mondgesicht, weil er so viele Pickel hatte, aber er war der Redner der Gruppe. Er konnte am besten lügen und wenn er an seinen toten Hund dachte, der alt und krank war und eingeschläfert werden musste, und ihm die Tränen über sein aufgequollenes Gesicht liefen, hatte jeder Mitleid mit ihm, und er konnte einem alles verkaufen.

      Ben und Mondgesicht zogen durch die Straßen und hielten die Augen offen nach einem Zelt, einer Bretterhütte, einem leerstehenden Haus, einem Container, einem ausrangierten LKW, oder was sich sonst noch als Treffpunkt der Torros eignen würde.

      »Warte mal«, meinte Roul nach einer Weile und stellte sich in einer Einfahrt an die Wand. »Meine Mutter gibt mir immer soviel Wasser zu trinken. Sie meint, ich würde davon abnehmen und glaubt, dass meine Haut dadurch besser werden würde. Sie nennt das verschlacken, oder so. Und dann muss ich immer den ganzen Tag davon pinkeln. Verrückte Alte.«

      »Ist gut«, antwortete Ben, sah um die nächste Ecke und erschrak. Es waren ungefähr zehn Jungs, und sie sahen nicht freundlich aus. Sie bekämen die Prügel ihres Lebens, sobald die Torros um die Ecke biegen würden. Rasch eilte er zu Roul zurück, der sich gerade die Hose zuknöpfte und sich mit einer Hand durch die Haare fuhr. »Sie kommen. Zehn Mann. Lauf!«

      »An der nächsten Straße trennen wir uns!«, rief Roul, der schon einige Meter vor ihm war. »Ich rechts, du links. Such die Anderen.« Und schon war er verschwunden.

      Dass Ben nicht ohne Grund lief, verrieten ihm die Geräusche hinter ihm, das Stampfen der Füße und das Geschrei seiner Verfolger. Er rannte über die Straße und dann nach links. Er schaute über seine Schulter zurück und achtete darauf, ob die Anderen sich auch trennen würden, aber zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass alle nur hinter ihm her waren. Anscheinend betrachteten sie ihn als das leichtere Opfer. Roul war zwar fülliger und schneller einzuholen, aber er war auch größer und stärker und würde vermutlich mehr Widerstand leisten, als der jüngere Ben.

      Wie lange und wie weit er lief, wusste er hinterher nicht mehr zu sagen. Ben lief nur immer weiter in nördliche Richtung. Er bemerkte auch nicht, dass die Straßen etwas belebter wurden. Und dass die Torros immer noch auf seinen Fersen waren, entmutigte ihn eher, als dass es ihn anspornte. Er bekam kaum noch richtig Luft. Sein Kopf begann zu dröhnen und seine Bewegungen wurden langsamer, schleppender. Ben stolperte und stürzte. Er wollte sich fortzaubern, wollte aus dem Bett fallen und aufwachen oder zwei Stunden in die Vergangenheit reisen, dann würde er nach Hause gehen, aber nichts davon geschah. Er krümmte sich zusammen und umfasste mit beiden Armen seinen Kopf, um sich wenigstens notdürftig vor dem zu schützen, was nun kommen musste.

      Und dann fielen sie über ihn her, wie seine dicken Cousinen über einen Kuchen. Es tat weh, er schmeckte Blut, zuckte unter den Schlägen und Tritten zusammen und schrie nach seiner Mutter. Erst als zwei

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