Tödlicher Besuch. Ben Worthmann

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Tödlicher Besuch - Ben Worthmann

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      „Ich werde das schon irgendwie hinkriegen, bestimmt. Aber eine Frage habe ich noch. Können Sie mir sagen, wie spät es ist?“

      „Eben, als Sie anklingelten, habe ich auf den Wecker geschaut, da war's kurz vor eins.“

      Alles in allem war also nur eine knappe Stunde vergangen. Das hieß, dass er nicht allzu lange ohnmächtig gewesen sein konnte. Er hatte vor vielen Jahren erlebt, wie es ist, einen Knockout hinter sich zu haben. Was er jetzt empfand, erinnerte ihn daran, nachdem er es in all der Zeit längst vergessen zu haben geglaubt hatte. Die Schmerzen waren inzwischen etwas abgeklungen, vermutlich auch infolge des Adrenalins, das durch die Anstrengung des Gehens freigesetzt worden war. Sein Körpergefühl war in diesen Dingen immer noch recht verlässlich.

      Aber das spielte jetzt alles keine Rolle, ebenso wenig wie die Mühen, die es ihn kostete, mit dem schweren Koffer zügig voranzukommen. Er musste zurück, schnellstens, musste in sein Haus und etwas tun, ohne allerdings zu wissen, was das sein würde. Plötzlich kam ihm die Vorstellung, dass dort eine tote fremde Frau lag, so absurd, so surreal vor, dass er für einen Moment an seinem Verstand zweifelte. Es war nicht das erste Mal, dass er sich solchen Zweifeln ausgesetzt sah.

      Er versuchte, nicht daran zu denken, was Anna sagen würde, wenn sie gewusst hätte, in welcher Lage er sich gegenwärtig befand. Am besten war es, zunächst einmal möglichst gar nicht viel zu denken, sondern sich Klarheit zu verschaffen. Und dazu musste er als Erstes zurück in sein Haus.

      Seltsamerweise verschaffte es ihm ein leichtes Gefühl der Beruhigung, es zumindest äußerlich genau so vorzufinden, wie er es vorhin verlassen hatte. Über dem Eingang brannte immer noch das Licht, ausreichend stark, die Haustür mit ihrem Sicherheitsschloss einer genauen Musterung zu unterziehen. Er öffnete den Werkzeugkoffer und musste sich prompt eingestehen, dass er mit dem Inhalt vergleichsweise wenig anzufangen wusste. Er war nun mal alles andere als ein Heimwerker. Anna mokierte sich bisweilen darüber, wie wenig er auch in dieser Hinsicht den gängigen Klischees entsprach. Zwar sei es gewiss falsch, in seinem Fall von jemandem mit zwei linken Händen zu sprechen oder ihn einen reinen Grobmotoriker zu nennen, zumal er in seinem Atelier schließlich unter Beweis stelle, dass seine Hände noch zu anderem fähig seien, als sich zu schlagkräftigen Fäusten zu ballen, „aber Basteln und Werken sind nun mal eindeutig nicht dein Ding“, pflegte sie zu sagen.

      Tatsache war, dass ihn dergleichen einfach nie interessiert und er nie den Ehrgeiz gehabt hatte, irgendwelche Arbeiten auszuführen, die man seiner Ansicht nach besser den Fachleuten überlassen sollte. Aber wo gab es schon einen Experten, der nicht nur imstande war, eine solide Haustür zu knacken, sondern auch bereit war, diskret darüber hinwegzusehen, dass sich im Inneren des Hauses eine Leiche befand?

      Vielleicht sollte er es doch lieber gleich an der weniger stabilen Terrassentür versuchen, so wie er es ursprünglich vorgehabt hatte, überlegte er. Er nahm ein paar Schraubenzieher und ein kleines Stemmeisen aus dem Koffer und ging um das Haus herum nach hinten.

      Beim Blick in das Wohnzimmer erstarrte er, das Werkzeug fiel ihm aus der Hand.

      4.

      Wenig später kniete er auf dem Boden neben dem Couchtisch, fuhr sinnlos suchend mit den Händen über das Parkett, so als lasse sich etwas erfühlen und ertasten, das eine Antwort hätte geben können.

      Die Tür zu öffnen war kein Problem gewesen, das Werkzeug hatte er dazu gar nicht gebraucht. Er hatte nur kräftig die Klinke drücken und sich mit einem Ruck gegen den Rahmen werfen müssen. Dabei war ihm wieder eingefallen, dass die Tür etwas verzogen war und manchmal klemmte. Aber er wusste nicht mehr genau, ob er vorhin, als der die Frau dort hatte liegen sehen, auch daran gedacht oder sich aufgrund des schockierenden Anblicks ohne weitere Prüfung mit dem irrtümlichen Befund begnügt hatte, die Tür sei verschlossen.

      Ja, es stimmte, dass er bisweilen solche kleinen Aussetzer hatte, sich manchmal nicht mehr ganz sicher war, ob kürzlich Erlebtes sich tatsächlich so verhalten hatte, wie er es aktuell vor seinem inneren Auge sah. Doch die Ärzte hatten ihm versichert, dass es sich bei diesen Erinnerungslücken, die ohnehin meistens harmlose Banalitäten wie die Namen bestimmter Personen oder Orte betrafen, keinesfalls um Spätfolgen handelte, sondern vielmehr um eine Begleiterscheinung des Älterwerdens, von der viele Menschen jenseits der fünfzig betroffen seien.

      Den einen fatalen Schlag zu viel hatte er jedenfalls nicht einstecken müssen, dessen hatte er sich immer ziemlich sicher sein zu können geglaubt. Aber seit einiger Zeit mehrten sich die Situationen, in denen er sich da nicht mehr ganz so sicher war und sich zu fragen begann, ob die ärztlichen Befunde womöglich zu optimistisch ausgefallen waren.

      Anna pflegte ihn gelegentlich aufziehen und nannte ihn mit liebevollem Spott ihren „alten Kerl“, der nun mal etwas schusselig sei und „nicht besonders alltagstauglich“, wie sie es nannte. Er selbst fand das weniger lustig. Und wohl kaum reichte das als befriedigende Erklärung dafür, dass er vor einer guten Stunde die leblose Frau hier hatte liegen sehen, die jetzt eindeutig nicht mehr hier lag.

      Als er sich wieder aufrichtete, stieß er leicht gegen den Tisch, sodass die Gläser klirrten – zwei Gläser, beide bis auf eine kleine Neige leer, an dem einen Spuren von Lippenstift. Ihr Mantel, der über einem der Sessel gelegen hatte, war weg. Plötzlich hatte er die Idee, dass die Frau sich womöglich noch im Haus befinden könnte und er begann, alle Zimmer abzusuchen. Zuerst schaute er im Gäste-WC nach, in dem sie sich zuletzt aufgehalten hatte, dann in der Küche, im Bad, im Schlafzimmer, in Annas Arbeitszimmer, in Sophies Kinderzimmer und schließlich in seinem Atelier, das am hinteren Teil des flachen Gebäudes in einem rechten Winkel angesetzt war. Doch nirgendwo fand sich eine weitere Spur von der Frau namens Laura, abgesehen von dem Weinglas, auch nicht im Keller, den er sich ebenfalls noch vornahm.

      Er versuchte, die Situation zurück vor sein inneres Auge zu rufen, als sie auf einmal neben ihm an der Theke des „Marabu“ aufgetaucht war. In dem Lokal verkehrten hauptsächlich jüngere Leute, viele Studenten, aber auch sogenannte Kreative, denen er sich selbst ungern zugerechnet sah, obschon er nach dem Urteil anderer sicherlich dazugehörte. Aber er mochte diesen inflationär benutzten Begriff einfach nicht.

      Erst vor einigen Monaten waren sie aus Berlin in die beschauliche kleine Universitätsstadt umgezogen, Annas wegen. Sie hatte einen Job am kulturhistorischen Institut erhalten, der ihr erfreulicherweise ziemlich viel freie Zeit ließ, nicht nur für ihre kleine Familie und den großen Garten, der ihr rasch ans Herz gewachsen war. Sie war auch als Teilhaberin bei der Kunstgalerie eingestiegen, die Carola, einer Bekannten aus Jugendtagen, gehörte, was Max neue Möglichkeiten für den Verkauf seiner Bilder eröffnete.

      Das Haus am Stadtrand, das sie nach kurzer Suche gefunden hatten, hatte ihnen mit seinem etwas anachronistischen Flair im Bungalow-Stil der Fünfzigerjahre sofort gefallen, und so waren sie beide zu der Überzeugung gelangt, dass ihr Leben so, wie es sich jetzt ergeben hatte, nahezu perfekt geregelt war.

      In den letzten Wochen allerdings hatten sich hin und wieder gewisse Misstöne eingeschlichen. Anna war der Ansicht, dass er nicht wirklich zufrieden und mit sich im Reinen war. Er bestritt das zwar, was zu Reibereien führte, musste sich aber insgeheim eingestehen, dass sie mit ihrer Beobachtung nicht ganz falsch lag. Dabei hätte er selbst nicht einmal genau sagen können, wo die Gründe dafür lagen, abgesehen von jenen, die mit dem Älterwerden zu tun hatten.

      Als Anfang der Woche Annas verwitwete Mutter angerufen und gefragt hatte, ob sie nicht für ein paar Tage kommen könne, da sie mit einer Grippe im Bett liege, hatten sie beide gemeint, dass solch eine kleine Trennung auf Zeit womöglich gerade jetzt nicht schaden könne. Sich an der Uni freizumachen war kein Problem gewesen und Sophie ging mit ihren fünf Jahren noch in den Kindergarten. Und

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