Tödlicher Besuch. Ben Worthmann
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Allein zu sein war für ihn nie ein Problem gewesen. Und er hatte es immer gemocht, durch Städte zu schlendern, ohne festes Ziel, Menschen, Straßen, Häuser zu betrachten, Umgebungen und Örtlichkeiten auf sich einwirken zu lassen, auch zur Inspiration. Für einen Altstadtbummel in der für ihn immer noch neuen Stadt hatten sich somit erst recht Gründe finden lassen. Die lockere Atmosphäre gefiel ihm. Die Leute hier wirkten auf angenehme, etwas zeitlose Weise ungezwungen und entspannt, ohne sich angestrengt stylish oder hip geben zu müssen, wie das in gewissen Großstädten der Fall war. Man konnte unter Menschen sein und trotzdem unbehelligt bleiben, schnell war man beim Du, ohne dass dies anbiedernd gewirkt oder zu etwas verpflichtet hätte.
Im „Marabu“, das sich zwar Bar nannte, aber im Grunde nichts anderes, als eine ziemlich betagte Studentenkneipe war, hatte er sich sogleich wohlgefühlt. Ein wenig Nostalgie, die Erinnerung an sehr weit zurückliegende Zeiten war sicherlich mit im Spiel gewesen. Die holzgetäfelten Wände, dunkel gefärbt von Rauch, erinnerten noch an jene Tage, da es völlig normal gewesen war, sich in Gaststätten Zigaretten oder Zigarren anzuzünden.
Auch wenn die meisten Gäste gerade einmal halb so alt waren wie er selbst, schien seine Anwesenheit nicht weiter aufzufallen oder gar jemanden zu stören. Kaum hatte er an der Theke Platz genommen, hatte er auch schon Gesellschaft bekommen.
„Ist da noch frei neben dir?“, hatte sie gefragt und ihn dabei offen und freundlich angeschaut.
Sie war attraktiv und er hatte sich eingestehen müssen, dass er es keineswegs unangenehm fand, so rasch und problemlos mit einer sehr viel jüngeren Frau ins Gespräch zu kommen. Ein Charmeur war er nie gewesen, aber dass er eine gewisse Wirkung auf Frauen ausübte, war er ihm stets durchaus bewusst gewesen, auch wenn er davon mit den Jahren immer weniger Gebrauch gemacht hatte. Und nachdem er dann vor sieben Jahren Anna kennengelernt und bald schon geheiratet hatte, war dieses Thema für ihn sowieso erledigt gewesen. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass es einfach nicht lohnte, all das, was jetzt sein Leben ausmachte, durch ein leichtsinniges Abenteuer aufs Spiel zu setzen.
Dass er sich durch das Interesse der jungen Frau namens Laura geschmeichelt gefühlt hatte, war etwas anderes, auch wenn zur vollen Wahrheit gehörte, dass es ein paar Momente gegeben hatte, in denen ihm der Gedanke, sie werde die Nacht mit ihm verbringen, nicht völlig abwegig erschienen war. Gesprochen hatten sie über diese Möglichkeit allerdings nicht und es hatte von ihrer Seite auch keinerlei explizite Signale gegeben.
Wenn er es jetzt, im Nachhinein, bedachte, hatte seine Einladung, noch mit zu ihm zu kommen, im Grunde genauso wenig zu der ganzen Situation gepasst wie ihre Bereitschaft, dieser sogleich Folge zu leisten.
Bei all dem wurde er den Gedanken nicht los, dass sie es irgendwie darauf angelegt hatte. Die Frage war nur, weshalb? Er versuchte, sich an weitere Einzelheiten, an eventuell aufschlussreiche Details zu erinnern, doch schon wurde es schwieriger. Es war ein verdammt unschönes Gefühl, der eigenen Erinnerung nicht vollends vertrauen zu können. Auf einmal kamen ihm auch Zweifel, ob er die Frau wirklich auf dem Boden seines Wohnzimmers hatte liegen sehen. Sein physischer wie psychischer Zustand war in jenem Augenblick, so kurz, nachdem er aus der Ohnmacht erwacht war, schließlich nicht gerade stabil gewesen. Und damit war er bei der mindestens ebenso wichtigen Frage, was da eigentlich passiert war - und, vor allem, warum. Wer hatte einen Grund gehabt, ihn, Max Berthold, mitten in der Nacht zusammenzuschlagen? Gab es einen Zusammenhang mit dem Besuch der Frau?
Wenn das Nachdenken, dieses Kreisen im Gefängnis der eigenen Gedanken, nur nicht so anstrengend gewesen wäre, ging ihm noch durch den Kopf, während er sich auf dem Sofa ausstreckte.
5.
Ein lästiges Geräusch ließ ihn hochfahren. Im selben Moment, als er zu der Vermutung gelangte, dass es von der Türklingel stammen musste, kam ein zweites Geräusch hinzu, als dessen Ursache er sein Handy ausmachte. Beide Geräusche mischten sich mit einem leichten Dröhnen im Inneren seines Schädels, während ihm die Pfeile des Sonnenlichts, das durch die Scheiben des Terrassenfensters hereinfiel, in die Augen stachen.
Er stand vom Sofa auf, schüttelte sich kurz und entschied sich für die Haustür, nachdem das Handy rasch wieder verstummt war. Auf dem Weg zur Tür warf er einen Blick auf die Uhr in der Küche, stellte fest, dass es halb zwölf war, und sah sich dann der jungen Nachbarin gegenüber. Wie hieß sie noch gleich? Stegmeier oder so ähnlich. Sie trug eine dicke rote Jacke und ihr Atem hinterließ kleine Wölkchen in der klaren, kalten Novemberluft.
„Sorry, ich hoffe, ich störe Sie nicht“, sagte sie und musterte ihn mit einem Blick, in dem unverkennbar Befremden lag und der ihn veranlasste, an sich herunterzusehen und sich der Tatsache bewusst zu werden, dass er immer noch in Hemd und Hose war und ziemlich ramponiert aussah.
„Nein, gar nicht, es ist nur so, dass ich gerade ... Entschuldigung“, stotterte er. „Warten Sie, ich hole schnell Ihren Werkzeugkasten.“
„Ach, das hat doch keine Eile, deshalb bin ich nicht hier. Ich wollte nur mal kurz nach Ihnen schauen, ich meine, wir sind ja doch schließlich irgendwie Nachbarn. Und letzte Nacht, na ja, ich hatte hinterher das Gefühl, mich nicht richtig um Sie gekümmert zu haben. Jedenfalls sind Sie ja wieder reingekommen in Ihr Haus. Aber, ehrlich gesagt, Sie sehen immer noch nicht so besonders gut aus. Die Wunde da am Kopf über dem Auge ...Vielleicht brauchen Sie doch einen Arzt.“
„Halb so wild, sieht schlimmer aus, als es ist. Ich komme schon zurecht.“
„Wirklich?“ Sie schien nicht ganz überzeugt und schaute ihn skeptisch an. Aus dem Wohnzimmer waren erneut die Töne des Handys zu hören.
„Ich will Sie dann auch nicht weiter aufhalten“, sagte sie und wandte sich zum Gehen. „Aber wenn irgendwas ist, wenn Sie Hilfe brauchen oder so, sagen Sie einfach Bescheid.“
„Ja, danke“, murmelte er. „Ach, und eins noch, mir wäre lieb, wenn diese Sache unter uns bleiben könnte. Mir ist mein Missgeschick nämlich ein bisschen peinlich.“
„Muss es aber nicht, so was kann doch schließlich jedem passieren. Aber gut, ich werd's für mich behalten, klar.“
Das Handy war bereits wieder still, als er zurück ins Wohnzimmer kam. Von wem die beiden Anrufe stammten, war nicht festzustellen, da die Nummer unterdrückt war. Auf der Mailbox war auch keine Nachricht hinterlassen worden. Er spürte, wie Unbehagen in ihm aufstieg, obschon er sich sofort sagte, dass es nicht unbedingt etwas bedeuten musste. Seine Mobil - ebenso wie seine und Annas gemeinsame Festnetznummer waren schließlich kein Geheimnis und in den öffentlichen Telefonverzeichnissen registriert. So zurückhaltend er ansonsten im Internet mit seinen Daten umging – anrufen konnte ihn jeder, der es wollte.
Doch bevor er weiter nachdenken konnte über das, was jetzt zu tun war, brauchte er jetzt erst einmal eine Dusche und ein Frühstück. Er räumte den Tisch im Wohnzimmer ab, präparierte die Kaffeemaschine und ging ins Bad, wo er sich aus seinen durchschwitzten, verschmutzten, teilweise blutbefleckten Kleidern schälte.
Vor dem großen Spiegel nahm er eine Inspektion vor und erschrak beim ersten Anblick. Sein Gesicht sah schlimmer aus, als er befürchtet hatte. Er war immer stolz darauf gewesen, es relativ unbeschadet über all die Hunderte von Runden gerettet zu haben, zumal es kaum den Vorstellungen entsprach, die üblicherweise mit seiner Profession in Verbindung gebracht wurden – eher schmal, mit gerader, markanter Nase und hellgrauen, ziemlich tief liegenden Augen, in deren Blick meistens eine gewisse Nachdenklichkeit zu liegen schien.
Jetzt zogen sich die vertrockneten Rinnsale