Rufe aus Morgania. Brigitte H. Becker
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9. Kontrax und der Schattenmeister
Konflikte
Aus brodelnden Tiefen
schleudern Springfluten
giftige Pfeile
zielend zum Stich
in dein Herz.
Im Gegenzug richtest du
schwere Geschütze
auf offene Brustwunden.
Des ewigen Strudels
so müde geworden
löse ich mich
vom Sog der Geysire
lass ihre Dämpfe
an mir vorüberziehen
entziehe Nebelschwaden
den Atem.
Mit vier Kollegen preschte Kontrax durch die klare Nachtluft, dass die schattenschwarzen Umhänge im Winde flatterten.
Eigentlich war keine Eile geboten, Nagajana zu benachrichtigen, dass die Prophezeiung der Waldfee sich erfüllt hatte, wenn auch nicht zum exakten Zeitpunkt, sein Plan aber fehlgeschlagen war. Es könnte durchaus sein, dass der Meister nun auf heißen Kohlen saß, und man konnte nie wissen, wie es dann um seine Laune bestellt war.
Allzu oft schon hatte er grundlos seine Wut an ihnen ausgelassen, und so lautete ihre Devise: je eher sie kamen, desto besser für sie.
Was konnten sie dafür, wenn die Nachtalpen versagten?
Der Mutigste unter ihnen, der nun wie ein Häufchen Elend auf seiner Schulter hockte, unfähig, selbst zu fliegen, wusste ganz genau, dass er Nagajanas Zorn auszubaden hatte. Unterwegs überkam Kontrax immer wieder das vage Gefühl, Elfenduft zu schnuppern, der sich aber zusehends verflüchtigte, als sich die Jungen auf den Nachtalpen in Begleitung einiger Väter am Buchentrio abgesetzt hatten.
Etwaige Verfolger mussten abgehängt worden sein, so dass man sie vergessen konnte.
Als ihm der beißende Schwefeldunst der Schattenburg in die Nase stieg, fragte sich Kontrax wieder, wie er es hier nur aushalten konnte.
Schwüle Dünste stiegen auf, die den Himmel trübten, so stickig, dass es ihm den Atem nahm. Die schwere Atmosphäre drückte ihm auf die Brust, ihr Sog erzeugte ein beklemmendes Gefühl und raubte ihm die Leichtigkeit des Fliegens durch sein bevorzugtes Element.
In seiner Jugend hatte man ihn als Mischblut oft wie einen Aussätzigen behandelt, dass er sich immer mehr von den anderen abkapselte. Er war gern allein und es machte ihm nichts aus, dass niemand ihn verstand, fühlte er sich doch den Nagajennen haushoch überlegen.
Auch äußerlich stach er von ihnen ab mit seinen guten Proportionen, den markanten Zügen, dem grünlichen Teint und dem vollen Braunhaar, das zum Bürstenschnitt gebändigt war.
Schon als Kind ging Kontrax durch eine harte Schule.
Seine Eltern waren Gegensätze wie im Bilderbuch, die Mutter umsorgend und behütend, der Vater ein Choleriker wie er im Buche stand, der an ihm ausließ, dass man ihn verspottete, während seine Oma einer gestrengen Gouvernante glich.
Heute kam es ihm zugute, dass er früh gelernt hatte, sich anzupassen.
Als er ein kleiner Junge war, hatte ihm sein Vater das Fliegen beigebracht. Bald hatte er sich tollkühn vom Burgfels in die Lüfte aufgeschwungen und später solche Meisterschaft errungen, dass er es sogar mit Raubvögeln aufnehmen konnte.
Während ihrer Abwesenheit hatte er gern die Nester ausgeplündert und dann in gebührendem Abstand auf der Lauer gelegen, um ihre Reaktion zu testen, wenn sie wiederkehrten.
Aus Furcht vor Rache legte er ihre Eier aber immer bald zurück.
Sein Vater hatte sich verdrückt, bevor er in die Schule kam und blieb unauffindbar.
Es wurde auch nur einmal ein Suchtrupp ausgeschickt.
Ein gestrenger Lehrer, dessen ganzer Stolz er war, hatte sich seiner angenommen und ihn quasi in Nagajanas Eliteschule hinein getreten.
Wenn Kontrax an seine erste Zusammenkunft mit dem alten Tyrannen dachte, liefen ihm heute noch kalte Schauder über den Rücken.
Die Jungen hatten sich mit ihren Vätern im Burghof versammelt. Nur Kontrax stand mutterseelenallein da, als der Schlangenmann die Riegen abschritt, um sich die Kandidaten näher anzuschauen. Als er an der Reihe war, hatten ihn seine kalten roten Schlitzaugen so durchdringend taxiert, dass er anfing, wie Espenlaub zu schlottern, und als Nagajana einen langen dürren Spinnenfinger nach ihm ausstreckte, war ihm, als bohre er sich in seine Brust. Er wäre vor Angst und Schreck am liebsten im Boden versunken und seine Knie gaben nach. Hätte der Schattenherrscher es bemerkt, wäre ihm sicher nicht die Ehre einer elitären Schulung zugekommen.
Obwohl ihm der militärische Drill oft unerträglich wurde, konnte Kontrax zur Freude seines Förderers manche Lorbeeren einheimsen.
Was sie alles machen mussten! Vieles kostete Überwindung. Über den Burgplatz exerzieren und sich im Fels durch engste Höhlen schlängeln, was die Uniform vor Dreck erstarren ließ. Seine Katzenaugen und seine Zielsicherheit kamen ihm zupass, und nicht nur im Speerwurf, seiner Lieblingsdisziplin, stieg er zum Klassenbesten auf.
Kontrax lernte schnell, mit den unberechenbaren Launen und Wutausbrüchen seiner Lehrer umzugehen. So etwas war ihm vom Vater hinlänglich bekannt.
Doch um ihren Herrn machte er einen großen Bogen. Er war ihm unheimlich und suspekt.
Dabei schien er einen Narren an ihm gefressen zu haben und befahl seinen Lehrern, ihn im Auge zu behalten und ihn über seine Entwicklung auf dem Laufenden zu halten.
Später vertraute er ihm an, sein untrüglicher Instinkt hätte ihm gesagt, dass er einsetzbar in allen Elementen sei, was ihn mit seiner Andersartigkeit geradezu zum Agenten disponierte. Zu seinem eigenen Erstaunen zeigte Kontrax Charaktereigenschaften, die seinen dunklen Artgenossen abgingen. Er war ein guter, einfühlsamer Zuhörer mit Sinn für Takt und Diplomatie, zudem überaus verschwiegen.
Seine Funktion erwies sich als für ihn wie auf den Leib geschnitten.
Bald hegte er keine Skrupel mehr, sich zurechtgeschminkt als Weitgereister wie zufällig unters Elfenvolk zu mischen. Er erschlich sich schnell das Vertrauen eines Clans, indem er den Elfen bei der Arbeit aushalf und den Verständnisvollen spielte. Mit seiner gewinnenden Art gelang es ihm bei nahezu jedem, ihm zumindest ein Geheimnis zu entlocken.
Bei einem Einsatz hatte er sich in eine Wald Elfe verliebt, die Mefilux Mutter werden sollte. Rapide sank sein Ansehen und man verschrie ihn als Elfenliebchen, nachdem sie bei einem ihrer heimlichen Treffen von neidischen Kollegen erwischt worden waren.