Der Schrei des Subjekts. Franz Josef Hinkelammert
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Es handelt sich um eine Subjektivierung, die Jesus aus der Logik des mosaischen Gesetzes herleitet, die daher dem mosaischen Gesetz nicht widerspricht, obwohl sie darüber hinausgeht. Diese Subjektivierung kostituiert den lebenden Menschen als Subjekt einer Rebellion, die als notwendige Weiterführung des mosaischen Gesetzes verstanden wird. Jesus selbst macht sich, und zwar allen Evangelien nach, zu diesem rebellischen Subjekt, das alle auffordert, diese Rebellion in sich aufzunehmen und daher sich als Subjekt zu verhalten. Dies ist nicht das revolutionäre Subjekt unserer Geschichte, obwohl es allen späteren Revolutionen unterliegt. Dies gilt selbst für den Fall, daß diese Revolutionen dieses Subjekt verschlingen, das in ihrem Anfang stand. Es unterliegt auch dem Christentum, nachdem es zum Christentum der Macht und des Imperiums wurde, obwohl ja auch das Christentum als Orthodoxie dieses Subjekt im Laufe seiner Geschichte verschlungen hat. Dieser Mensch als Subjekt ist auch nicht zu verwechseln mit dem Individuum, das gerade das Ergebnis der Verdrängung dieser Subjektivität durch die Unterwerfung unter das Wertgesetz ist.
Jesus spricht diese Ausdehnung des Gnadenjahrs des Herrn besonders ausdrücklich in jenem Teil des Vater Unser aus, der sich auf die Schuldenzahlung und daher auf die Geltung des Wertgesetzes bezieht. Der Text lautet: “und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unsern Schuldnern vergeben haben.” (Mat 6, 12) Der Text bezieht sich auf Schulden, nicht etwa auf “moralische” Schuld. Es gibt niemanden, der nicht Schuldner hätte und alle haben bereit zu sein, diese Schulden zu erlassen, wenn die Reflektion in bezug auf das menschliche Leben des anderen, nämlich des Schuldners, dies als notwendig erweist. Dies beginnt mit den Schulden gemäß dem Wertgesetz, gilt aber darüberhinaus für jede Unterwerfung unter Pflichten ganz unabhängig davon, ob der jeweilige Schuldner seine Befreiung verlangt oder nicht. Dieser Schuldennachlaß ist gleichzeitig das, was Gott geschuldet wird. So hat dann der Mensch Schulden bei Gott immer dann, wenn er Schuldner hat, denen er ihre Schulden nicht nachzulassen bereit ist. Der Mensch kann daher Gott keine Schulden bezahlen und Gott zieht keine Schulden ein. Was den Menschen zum Schuldner gegenüber Gott macht, ist die Tatsache, daß er Schuldner hat, denn er keinen Nachlaß gewährt, obwohl sie ihn brauchen.
Auf diese Weise ist hier das Gnadenjahr des Herrn ausgeweitet zur Freiheit des Menschen als Subjekt. Daher treten jetzt Polarisierungen auf wie Gesetz/ lebendes Subjekt, Gesetz/ Gnade, Gesetz/Leben oder Gesetz/ Freiheit. Es handelt sich nicht um Gegensätze, sondern um Spannungsräume, die entstehen, weil der Mensch das Gesetz nicht erfüllen kann, ohne es ständig als Subjekt herauszufordern. Das Gesetz selbst enthält diese Spannung, obwohl das formalisierte Gesetz sie ständig zu verdrängen versucht indem es die legalistische Erfüllung des Gesetzes verlangt.
Diese Kritik Jesu geht vom mosaischen Gesetzaus, wie es zu seiner Zeit durchgesetzt wurde. Dies kann nicht anders sein, da Jesus als Jude spricht und sich an Juden in einer jüdischen Umwelt wendet. Aber es ist offensichtlich, daß es sich nicht um eine Kritik des jüdischen Gesetzes handelt, sondern um eine Kritik des Gesetzes, sei es jüdisches Gesetz oder nicht. Diese Kritik wendet sich an jedes Gesetz und ist eine Kritik des Gesetzes und der Gesetzlichkeit. Dennoch nimmt für Jesus natürlich das mosaische Gesetz eine besondere Stellung ein. Für Jesus als Juden ist das mosaische Gesetz das von Gott gegebene Gesetz und das Paradigma allen Gesetzes. Daraus folgt für ihn, daß, wenn diese Kritik selbst dem von Gott selbst gegebenen Gesetz gegenüber gültig ist, sie dann notwendig auf jedes Gesetz zutrifft, gleich woher es komme. Er argumentiert in diesem Sinne a minori ad maius, wie es der rabbinischen Tradition der Argumentation entspricht.
Die Verdrängung des lebenden Menschen als Subjekt im Namen der Erfüllung des Gesetzes
Die Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird, besteht daher in der Zerstörung des Menschen als Subjekt in allen seinen Formen. Das Gesetz erdrückt, sobald es in legalistischer Form erfüllt wird, d.h. wenn die Legitimität aus der Legalität erwächst. Die Sünde besteht natürlich nicht darin, daß das Gesetz erfüllt wird. Das Gesetz ist notwendig zum Leben. Die Kritik des Gesetzes will nicht das Gesetz abschaffen. Sie entsteht daraus, daß das Gesetz zum Leben da ist. Wird es aber in legalistischer Form erfüllt, wendet sich das Gesetz gegen dieses Leben, dem es zu dienen hat und zerstört dann dieses Leben des Menschen, das das Kriterium der Unterscheicdung des Gesetzes zu sein hat.
Jesus kritisiert dieses legalistiusch interpretierte Gesetz, und diese Kritik wird von Paulus weitergeführt. Nach Paulus liegt ein Fluch über dem Gesetz, ein Fluch, der immer dann wirklich wird, wenn man in der legalistischen Erfüllung des Gesetzes die Gerechtigkeit sucht. Dieser Fluch spricht sich darin aus, das diese Gesetzeserfüllung den Menschen tötet. Das Gesetz ist dann Gewalt, und hinter dem Rücken des Gesetzes erscheint die Sünde. Sie zerstört den Menschen und verwickelt ihn in eine große Lüge. Diese Lüge behauptet, daß das Gesetz in seiner legalistischen Erfüllung gerecht macht. Daher wird die Ungerechtigkeit begangen in Erfüllung des Gesetzes, das Gesetz verwandelt sich in eine Geißel der Menschheit. Diese Ungerechtigkeit ist daher eine Verfälschung des Gesetzes, insofern es ein Gesetz für das Leben ist. Die Ungerechtigkeit ergibt sich durch die legalistische Erfüllung des Gesetzes.
Die Ungerechtigkeit ergibt sich in der Erfüllung des Gesetzes, auch dann, wenn das Gesetz ein gerechtes Gesetz ist. Die entscheidende Frage ist daher nicht, ob das Gesetz als solches gerecht ist oder nicht. Eine solche Frage entsteht auf einer völlig anderen Ebene. Auch das gerechte Gesetz führt zur Ungerechtigkeit, wenn es legalistisch erfüllt wird. Selbst das “Du sollst nicht töten” oder das Gebot der Nächstenliebe führen zur Ungerechtigkeit, wenn sie legalistisch interpretiert werden. Dasselbe gilt natürlich für das Wertgesetz, das immer dann ein Gesetz ist, das tötet, wenn es legalistiusch erfüllt wird. Daß das Gesetz ein von Gott gegebenes Gesetz ist, verändert diese Situation überhaupt nicht. Auch das von Gott gegebene Gesetz führt zur Ungerechtigkeit, wenn es legalistisch angewendet wird. Das Gesetz zerstört den Menschen als Subjekt und durch seine legalistische Anwendung führt es zur Sünde.
Weder für Jesus noch für Paulus ist das Problem die Gerechtigkeit des Gesetzes. Jesus behandelt sowohl das Gesetz des Sabbats als auch das Wertgesetz als gerechte Gesetze. Es ist gerecht, die Schulden zu bezahlen. Jesus bezweifelt in keinem Fall die Gerechtigkeit dieser Gesetze. Was er bezweifelt, ist das Verhältnis zum Gesetz. Als legaler Formalismus genommen, tötet jedes Gesetz und führt daher zur Ungerechtigkeit, indem es den Menschen als Subjekt zerstört. Die Rebellion des lebenden Menschen als Subjekt verwandelt das Gesetz, sofern es es herausfordert durch die Unterscheidung in bezug auf das menschliche Leben. Sie fordert heraus und unterscheidet. Als Ergebnis kann sie auch zur Änderung des Gesetzes führen. Aber auch das neue Gesetz, auch wenn man es für gerechter hält als das vorhergehende, führt zur Ungerechtigkeit, wenn man es legalistisch erfüllt.
Das Gesetz tötet nicht etwa deswegen, weil es inhaltlich vorschreibt, zu töten. Das Gesetz tötet durch seine Form. Es führt nicht dadurch zur Sünde, daß es verletzt wird, sondern dadurch, daß es nicht verletzt, sondern in legalistischer Form angewendet wird. Aber es ist gleichzeitig die Quelle einer völlig unbegrenzten unjd unbegrenzbarer Gewalt. Aber diese Gewalt erscheint nicht als Verletzung des Gesetzes, sondern im Namen der Aufzwingung seiner legalistischen Interpretation.
Indem das Gesetz legalistisch interpretiert und angewendet wird, tötet es. Die Pflicht zur Zahlung einer Schuld, die für den Schuldner unzahlbar geworden ist, tötet den Schuldner. In der Zeit Jesu verlor der Schuldner, wenn er zahlungsunfähig wurde, allen seinen Besitz und er und seine Familie wurden in die Sklaverei verkauft. Das Gesetz