Der Schrei des Subjekts. Franz Josef Hinkelammert

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Der Schrei des Subjekts - Franz Josef Hinkelammert

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innerhalb dieses Kontextes, bezieht sich Jesus in einem ganz anderen Sinne auf die Welt. Jesus besteht dann darauf, daß er nicht von der Welt ist oder nicht von dieser Welt ist. Dann sagt er, daß sein Reich nicht von dieser Welt ist. Er ruft seine Jünger, die in der Welt sind, auf, nicht von dieser Welt zu sein. Dies führt zu Aussage, daß diese Welt diejenigen liebt, die von dieser Welt sind und diejenigen haßt, die nicht von dieser Welt sind.

      Wenn diese Welt vom Menschen verlangt, von dieser Welt zu sein, dann kommen aus der Welt Imperative. die Gehorsam verlangen. Diese Welt verlangt etwas und zwingt auf, was sie verlangt. Aus der Sicht Jesu, führen diese Imperative in die Sünde. Obwohl der Mensch in der Welt ist, soll er nicht von der Welt sein. Dies heißt, daß er den Imperativen, die aus der Welt kommen, widerstehen soll.

      In dieser Sicht, sind Pilatus und die Hohenpriester Welt, die von dieser Welt ist. Sie folgen den Imperativen dieser Welt. Im Fall der Hohenpriester ist es klar, daß sie von der Welt sind, indem sie sich auf das Gesetz berufen. Pilatus hingegen folgt dem Gesetz der Macht des Imperiums, was einen analogen Sinn ergibt. In beiden Fällen gilt, daß dieses “von der Welt” sein nicht etwa darin besteht, das Gesetz zu verletzen. Man ist von der Welt innerhalb der Gesetze und der Erfüllung von Gesetzen. Die Anklagen gegen Jesus sind in beiden Fällen Anklagen im Namen des Gesetzes und seiner Erfüllung. Jesus wird vorgeworfen, das Gesetz zu brechen. Jesus wird angeklagt im Namen der Erfüllung von Gesetzen, die seine Ankläger einfordern. Sie verteidigen Gesetze: Pilatus das Gesetz der Macht des Imperiums und die Hohenpriester die Legalität des jüdischen Gesetzes. Und Jesus hat tatsächlich diese Gesetze verletzt.

      Johannes besteht gerade auf diesem Gesichtspunkt. Der Jesus, den er darstellt, wendet sich nur ganz am Rande gegen Gesetzesverletzungen von seiten der Menschen, zu denen er spricht. Johannes zeigt dies sehr offen im Falle der Auseinandersetzung über eine Ehebrecherin. Die Erzählung ist enthüllend:

      “Die Schriftgelehrten aber und die Pharisäer brachten eine Frau herbei, die beim Ehebruch ertappt worden war, stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden. Im Gesetz aber hat uns Moses geboten, eine solche zu steinigen. Was sagst du nun? Das sagten sie, um ihn zu versuchen, damit sie eine Anklage gegen ihn hätten. Jesus aber bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie jedoch hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie. Dann bückte er sich wieder nieder und schrieb auf die Erde. Als sie aber das gehört hatten, gingen sie weg, einer nach dem andern, angefangen von den Ältesten. Und er blieb allein zurück und die Frau, die in der Mitte stand. Da richtete sich Jesus auf und sprach zu ihr: Frau, wo sind sie? Hat keiner dich verurteilt? Sie aber sprach: Keiner, Herr! Da sprach Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.” (Joh 8, 3-11)

      Die Frau hatte das Gesetz verletzt, obwohl über den Mann, der da beteiligt gewesen sein muß, nichts gesagt wird. Jesus streitet die Gesetzesverletzung nicht ab. Daher kann er am Ende der Erzählung die Frau auffordern, nicht wieder zu sündigen. Das ist eben, was zu tun ist im Falle einer Gesetzesverletzung. Aber Jesus verurteilt die Frau nicht, obwohl er die Gültigkeit des Gesetzes nicht bestreitet.

      Die Ehebrecherin, die in den Augen Jesu gesündigt hat, hat aber nicht jene Sünde begangen, gegen die Jesus sich gerade auflehnt. Sie sündigt nicht, weil sie “von der Welt” ist. Von der Welt zu sein, ist nicht der Grund für den Ehebruch, so wie der Grund auch nicht ist, nicht von der Welt zu sein. “Von der Welt” zu sein bedeutet den Haß gegen jeden Gesetzesverletzer, und spezifisch gerade gegen denjenigen, der das Gesetz verletzt, weil er nicht “von dieser Welt” ist. Die Welt, indem sie von der Welt ist, haßt daher Jesus, der das Gesetz verletzt, weil er nicht von dieser Welt ist. Die Ehebrecherin hingegen hat überhaupt keinen Grund, Jesus zu hassen und haßt ihn daher auch nicht. Die andern hingegen, die weggegangen sind, sind von der Welt. Sie zeigen es dadurch, daß sie die Ehebrecherin töten wollen. Sie sind von der Welt gerade dadurch, daß sie das Gesetz erfüllen wollen. Die wahre Sünde, gegen die Jesus aufsteht, ist die Steinigung der Gesetzesverletzerin und diese Sünde erfüllt das Gesetz, das sie verletzt hat. Auf diese Weise ergibt sich eine Sünde, die die Sünde der Autorität und des Gesetzes ist. Sie wird der Gesetzesbrecherin gegenüber getan und ist in den Augen Jesu die größere Sünde.

      Diese Erzählung ist in der gesamten späteren Geschichte des Christentums bis heute als Skandal empfunden worde, sodaß es ständige Versuche gibt, sie aus dem Evangelium herauszunehmen oder ihren Ursprung zu bezweifeln. Dabei werden insbesondere zwei Argumente benutzt:

      Zum ersten weißt man darauf hin, daß der griechische Stil des Textes verschieden ist vom Stil des restlichen Evangeliums. Daraus wird dann geschlossen, daß es sich um einen späteren Einschub handeln müsse. Dieses Argument ist sehr schwach aus dem Grunde, daß, wenn es sich um einen Einschub handelt, dieser Einschub natürlich von Johannes selbst stammen kann. In diesem Falle hätte Johannes einen Text einfach so genommen, wie er ihn vorfand und in seinem Evangelium benutzt. Daß ein solch skandalöser Text später und zwar vom 3. Jahrhundert an eingefügt sein sollte, entbehrt jeder Wahrscheinlichkeit. Je mehr das Christentum zu einer neuen Gesetzesreligion wurde, umso mehr mußte dieser Text gerade als Störungselement empfunden werden.

      Zum zweiten verweist man darauf, daß in der ersten aufgefundenen Kopie gegen Ende des zweiten Jahrhunderts diese Erzählung nicht vorkommt. Aber die ersten aufgefundenen Kopien sind alle sehr bruchstückhaft. Die erste vollständige Kopie hingegen enthält diese Erzählung. Diese Situation ist ohne weiteres erklärbar ohne die Hypothese eines späteren Einschubs. Die Erzählung kann an anderen Stellen gestanden haben, könnte aber bereits in einigen Varianten ausgelassen worden sein, da sie von vielen Orientierungen des Christentums her bereits in früher Zeit als Skandal erschien.

      Ich gehe daher davon aus, daß diese Erzählung tatsächlich aus dem Ursprung des Evangeliums selbst stammt, aber sehr bald umstritten wurde. Hinzu kommt, daß sie völlig den Vorstellungen des Restes des übrigen Evangeliums entspricht und daher im Gesamtzusammenhang des Evangeliums in keinem Sinne einen Fremdkörper darstellt. Auf der andern Seite ist leicht verständlich, daß man gerade diese Erzählung unterdrücken will, denn sie gibt auf besonders plastische Weise das Verhältnis Jesu zum Gesetz wieder.

      Dabei ist wichtig, daß diese Erzählung herausstellt, daß die Sünde, “von der Welt” zu sein, bei Johannes eben keine sinnliche Sünde oder gar sexuelle Sünde ist, sondern in Erfüllung eines Gesetzes begangen wird und sich daher gerade gegen die Sinnlichkeit richtet. Ich glaube, da dies bei Johannes sehr bewußt ist. Bei Johannes stammt die Sünde nicht aus der Sinnlichkeit, sondern aus der Gesetzlichkeit. Er zeigt dies bereits am Anfang des Evangeliums anläßlich des ersten Auftritts Jesu im öffentlichen Leben. Bei den Synoptikern ist der erste Auftritt Jesu ein höchst feierlicher Moment, in dem Jesus ganz ausdrücklich seine religiöse Mission vertritt. Bei Johannes ist das ganz anders. Da ist es die Teilnahme Jesu an einem großen Hochzeitsfest. Die Geschichte erzählt, daß bei diesem rauschenden Fest der Wein ausging. Jesus tat daher sein erstes Wunder, von dem Johannes berichtet und verwandelte Wasser in Wein, sodaß das Fest weitergehen konnte. Johannes gibt die Zahl der Wassergefäße an und man hat geschätzt, daß es sich um etwa 700 Liter Wein handelte.

      Eine solche Geschichte ist natürlich ähnlich skandalös für alle späteren puritanischen Äußerungen des Christentums. Aber es handelt sich um Wein, nicht um Sexualität. Daher ist sie immer noch eher annehmbar, obwohl sie ständig uminterpretiert wurde im Sinne eines symbolischen Verständnisses, der gemäß Jesus zwar auf diese Hochzeit ging, aber symbolisch gesehen auf einer ganz andern Hochzeit tanzte.

      Die Erzählung von der Ehebrecherin ist einfach die andere Seite dieses Ausgangspunktes des Johannes von der Sinnlichkeit her. Innerhalb seines Arguments scheint mir die Betonung dieses Ausgangspunktes notwendig zu sein. Nicht “von der Welt” sein richtet sich nicht gegen die körperliche, sinnliche Welt, sondern gegen die Welt, die im Namen der Erfüllung des Gesetzes die Sünde begeht. Es ist die Sünde, die der Mensch als Autorität

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