Der Schrei des Subjekts. Franz Josef Hinkelammert
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In Bezug auf viele spezifische Probleme, verdanke ich vieles Germän Gutiérrez, Mitarbeiter des DEI, der in dieser gesamten Periode viel Zeit und Geduld für mich gehabt hat und viele Informationen und Hinweise beigetragen hat.
Ebenfalls möchte ich Elsa Tamez und Pablo Richard, Mitarbeitern des DEI, dafür danken, daß sie mir sehr häufig bei Zweifeln über die Übersetzung des Textes beigestanden haben. Ohne diese ständige Mitarbeit bei der Exegese der Texte wäre es für mich sehr viel schwieriger geworden, dieses Buch zu schreiben, da ich nur sehr geringe Kenntnis der giechischen Sprache habe.
Franz J. Hinkelammert
Prolog
Dieses Buch folgt Kierkegard. Nicht so sehr in seiner Philosophie, sondern seinem Rat, wie aman Bücher schreiben soll. Er sagte: Wenn du ein Buch schreiben willst, lies zehn Bücher, und dann schreib ein elftes. Sollte das Buch dann ein schlechtes Buch sein, glaube nicht, daß das daran liegt, daß du, um es zu schreiben, nur zehn Bücher gelesen hast.
Ich bin überzeugt, daß man heute ein Buch über das Evangelium des Johannes nur schreiben kann, wenn man dieser Methode folgt. Daher hat dieses Buch etwas von einem Spiel. Aber es hat eben auch etwas von der Ernsthaftigkeit eines Spiels.
Dieses Buch hat nicht zum Ziel, ein spezifisch theologisches Buch zu sein, obwohl das Evangelium des Johannes in seinem Zentrum steht. Allerdings enthält es eine Meinung über das, was Theologie ist. Es nimmt auch die Theologie als eine Reflektion, bei der es sich um die menschliche Wirklichkeit handelt. Wenn jemand über den Himmel spricht, spricht er nicht über den Himmel. In der Form des Himmels, spricht er über die Erde. Aus dem Himmel, den er beschreibt, können wir seinen Stand auf der Erde und seine Vorstellungen darüber, wie sie sein sollte, ablesen. So ist es auch, wenn jemand über die Hölle spricht: auch in diesem Falle spricht er über die Erde. Daher sagt er uns, wie er seine Feinde einschätzt und was er mit ihnen tun wird, wenn er tun kann, was er möchte. Der Himmel, von dem spricht, existiert in der Form, in der man über ihn spricht, ganz sicher nicht, ebensowenig die Hölle. Sollte es einen Himmel geben, so ist er mit sicherheit etwas ganz Anderes als das, was von ihm sagt. Aber deshalb ist das, was vom Himmel sagt, nicht unsinnig. In himmlischen Vorstellungen sagt es immer etwas über die Erde.
Ich bin überzeugt, daß dies in der Tradition des menschlichen Denkens sehr Häufig auch bewußt ist. Die Moderne hat allerdings zum großen Teil dieses Bewußtsein verloren. Aber es wurde auch wieder zurückgewonnen. Marx sieht dies sehr genau, und weiß, daß, wer über den Himmel spricht, auf himmlische Weise immer auch über die Erde spricht. Max Weber tut deben dies in seinen Analysen der Religionen. Wenn er die protestantische Ethik en ihrer Beziehung zum Geist des Kapitalismus untersucht, spricht er darüber, wie die englischen Puritaner des XVIII. Jahrhunderts sich die Erde bezogen, als sie über den Himmel sprachen und wie diese ihre Vorstellung vom Himmel die englische Gesellschaft in ihren Grundfesten erschütterte und veränderte.
„Machen wir also die Erde zum Himmel“, fordert bereits der Kirchenvater Johannes Chrysostomus.1 In Wirklichkeit sagt das jeder, der einen Himmel denkt. Man muß dann fragen, was er sich unter dem Himmel vorstellt, um zu wissen, was er auf der Erde will.
Revolutionen auf der Erde setzen Revolutionen im Himmel voraus. Die Revolution im Himmel sagt etwas über mögliche Revolutionen auf der Erde. Dasselbe gilt für Konterrevolutionen. Ihnen geht eine Konterrevolution im Himmel voraus. Utopien und Idealtypen säkularisieren dieses Verhältnis zum Himmel, aber sie schaffen es nicht ab. Sie enthalten Reflektionen über unmögliche, aber perfekte Welten, die dann das aussagen, was man als Mögliches für diese Welt denkt.
Daher können wir eine Geschichte des Himmels und eine Geschichte der Hölle schreiben, und eines Geschichte Gottes und des Teufels, ganz so, wie wir Geschichten von Gesellschaften schreiben können. Insgesamt aber werden diese Geschichten eine einzige Geschichte der Menschheit ausmachen. In dieser Geschichte aber kann die Religion niemals ein bloßer Überbau sein. Sie steckt kategoriale Räume ab, innerhalb derer die wirkliche Geschichte vor sich geht. Himmel können Höllen implizieren, aber es gibt Höllen, die Himmel implizieren. Wenn heute die Hölle auf Erden für die Mehrheit der Bevölkerung produziert wird, so gibt es Minderheiten, die diese Hölle als ihren Himmel ansehen. Auch sie haben stheologische Reflektionen über den Himmel, und dieser Himmel hat etwas mit den Höllen zu tun, die hervorgebracht werden.
Ich verstehe das Evangelium des Johannes unter diesem Gesichtspunkt. Er schafft zentrale Kategorien, die bis heute in all unserem Denken über den Menschen und die Gesellschaft gegenwärtig sind. Es mag sich um einen theologischen Text handeln, aber man wird ihn niemals verstehen, wenn man nicht davon ausgeht, daß theologische Texte die Wirklichkeit interpretieren. Sie sprechen auf theologische Weise über die Wirklichkeit. Nur deshalb kann daraus etwas hervorgehen, wie hier tatsächlich hervorging: ein Welttheater.
Der größere Teil des Buches untersucht das Evangelium des Johannes, das Welttheater, das er entwickelt und seine Verwandlungen bis heute. Hierauf wurden am Ende des Buches zwei Arbeiten über den heutigen Globalisierungsprozeß eingeschlossen, die den Thesen des Hauptteils entsprechen und sie für unsere heutige Gegenwart vertiefen können.
Man sagt, daß im europäischen Mittelalter und besonders im XIV. Jahrhundert nach dem Ausbruch der Großen Pest Feste gefeiert wurden, in denen man tanzte, bis auch der letzte von der Pest hinweggerafft wurde. Unsere Gesellschaft heute tanzt diesen Tanz. Es wäre notwendig, ihn zumindests einen Moment zu unterbrechen, um darüber nachzudenken, ob es nicht besser wäre, der Pest entgegenzutreten um sie aufzuhalten anstatt diesen Todestanz bis zu Ende zu tanzen
Einführung: Methodologische Grundlegung
Im Folgenden will ich den Text des Evangeliums des Johannes als einen Gründungstext unserer Kultur behandeln. Es gibt Schlüsselprobleme der Moderne, die in diesem frühen Text auftauchen, der auf radikale Weise mit der griechisch-römischen Tradition bricht. Johannes ist ein christlicher Jude, der seinen Text außerhalb Palestinas schreibt. Er richtet sich an die Christen seiner Region, die sowowhl jüdische als auch römische nichtjüdische Christen sind. Er schreibt über den Juden Jesus, der in Palestina vor der Zerstörung des Tempels und daher in einer jüdischen Umgebung lebte, in der der Tempel alles menschliche Zusammenleben prägte. Daher war das Judentum in dieser Zeit nicht einfach eine Religionsgemeinschaft, sondern eine als Religionsgemeinschaft organisierte jüdische Nation. Daher bezieht sich das Evangelium direkt auf eine jüdische Gesellschaft: das jüdische Gesetz, der Tempel, der Sanhedrin, die Farisäer und die Saduzäer. Dennoch, in einem zentralen Teil des Evangeliums erscheint die herrschende Macht des römischen Imperiums in der Gestalt des Statthalters Pontius Pilatus. Jerusalem und der Tempel haben zwar ein jüdische Autorität, aber diese hat lediglich eine relative Autonomie innerhalb des Imperiums, dem sie unterworfen sind.
Das Evangelium des Johannes, das über diese Vorgänge berichtet, wird allerdings in einer völlig anderen Umgebung geschrieben und nach einem Zeitraum von über einem halben Jahrhundert. Man nimmt heute an, daß es in den achziger oder neunziger Jahren des ersten Jahrhunderts geschrieben wurde. Jerusalem und der Tempel sind zerstört, es gibt keine als Nation organisierte jüdische Gesellschaft mehr und die Juden jüdischer Religion sind genau so zerstreut wie es die Christen sind. Sie haben keine politische jüdische Autorität mehr und auch kein Gebiet mehr, in dem sie politische Autonomie hätten. Es gibt keinen Hohenpriester mehr und sie organisieren sich jetzt als Religionsgemeinschaft von ihren Synagogen aus; ihre politisch-religiöse Autorität wird zur rabbinischen Autorität.
Die Christen sind jetzt von der jüdischen Religion getrennt,