In einer Stunde tot. J.P. Conrad

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу In einer Stunde tot - J.P. Conrad страница 3

Автор:
Серия:
Издательство:
In einer Stunde tot - J.P. Conrad

Скачать книгу

nach dem da gerufen worden war? Schließlich gab es ja noch andere Frauen, die meinen Vornamen trugen.

      Ich setzte meinen Weg nun mit wesentlich schnelleren Schritten fort, wollte einfach nur noch den Regent’s Park hinter mir lassen und in den Bus nach Hause steigen. Ich zog meinen Kopf zwischen meine Schultern, klammerte mich mit den Händen an meiner Tasche und meinem Mantel fest und hielt meinen Blick gesenkt.

      Ein leichter Nebel zog auf, der mich mit jedem Schritt mehr einzuhüllen schien, bis ich nach kürzester Zeit nicht einmal mehr fünf Meter voraus schauen konnte. Ich sah nur noch auf meine Schuhe und den Kiesweg unter ihnen. So lange ich noch auf dem Weg lief, war alles ok, sagte ich mir. Aber die in mir immer weiter emporkriechende Anspannung sagte etwas anderes.

      Ein merkwürdiger Geruch stieg mir nun in die Nase. Er war… fischig. Ja, irgendwie roch es nach altem, gammeligem Fisch und es schien mir fast, als ob es von dem Nebel ausging. Ich begann, durch den Mund zu atmen.

      Nach etwa hundert Metern lichtete sich der Nebel ein kleinwenig und gab die schemenhafte Sicht auf eine Weggabelung vor mir frei, in deren Mitte eine einzelne Parkbank stand. Nun musste ich mich entscheiden, nach links oder rechts zu gehen. Als ich weiter lief und die letzten Nebelschwaden hinter mir ließ, sah ich auf einmal jemanden auf der Parkbank sitzen.

      War der gerade eben auch schon dort gewesen? Ich war mir eigentlich sicher, dass die Bank vor ein paar Sekunden noch leer gewesen war. Aber ich war mir mit einigen Dingen heute Abend schon so sicher gewesen.

      »Du musst dringend ins Bett, höchste Eisenbahn!«, sagte ich zu mir und ging weiter. Mein Weg führte links an der Bank mit der Gestalt darauf, vorbei. Als ich näher kam, erkannte ich, dass es sich um einen Mann handelte. Und ich stutzte: Er trug einen Pyjama. Was sollte das? War das ein Halloween-Kostüm? Ich sah nun aber auch, dass er barfuß war und dachte mir, es könnte sich vielleicht um einen Patienten aus meinem Krankenhaus handeln, der ausgebüchst war. Wer immer es war und was immer er hier abends, nur mit einem Schlafanzug bekleidet, im Regent’s Park tat, es hätte mir egal sein sollen. Doch es konnte mir nicht egal sein. Denn gerade, als ich die Bank passiert hatte, sprach mich der Mann an. Mit meinem Namen.

      Ich blieb wie angewurzelt stehen und drehte mich langsam um. Erst jetzt sah ich in sein Gesicht. Und ich erschrak, wie noch nie zuvor in meinem Leben.

      Wieder überkam mich dieser stechende Kopfschmerz; doch er war, verglichen mit der Erkenntnis, die mich gerade getroffen hatte, sekundär. Dort auf der Bank, mich mit einem finsteren Blick aus schwarzen Augen anstarrend, saß Mister Judd. Lucas Judd, ein siebenundsechzigjähriger, pensionierter Bankkaufmann. Ein Mann, dem ich vor knapp zwei Jahren zuletzt begegnet war; als Patient auf meiner Station. Und ich war dabei gewesen, als der Oberarzt ihm das weiße Laken über das Gesicht gezogen hatte.

      III.

      Der Mann war tot! Lucas Judd war tot! Und nun saß er dort auf der Bank, trug, wie ich mich jetzt erinnerte, den blaugrau gestreiften Pyjama von damals, und starrte mich an.

      »Setz dich!«, sagte er fordernd mit einer rauen, dunklen Stimme, die wenig mit dem alten Mann aus meiner Erinnerung gemein hatte.

      Instinktiv wollte ich weglaufen. Doch ich konnte nicht. Meine Beine versagten mir ihren Dienst; genauer gesagt, taten sie, was sie wollten. Oder was Mister Judd wollte. Wie in Trance leistete ich folge, setzte mich neben ihn auf die feuchte Bank. Ich konnte mein Blut in meinen Ohren rauschen hören. Mein Puls sprengte sicher gerade alle Rekorde. Ich zitterte am ganzen Körper und wagte es nicht, den Mann anzusehen.

      »Du bist sicher überrascht, mich hier zu treffen, Cara, nicht wahr?«

      Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie er sich etwas nach vorne beugte, um in mein Gesicht zu sehen. Ich spürte seinen stechenden Blick auf mir ruhen. Dann streifte seine Hand meine Wange. Sie war eiskalt.

      »Hat es dir die Sprache verschlagen, mein Kind?«

      Tränen liefen mir vor Panik über mein Gesicht und ich drehte es weg; das einzige, wozu ich gerade körperlich in der Lage war. Ich spürte seinen kalten Atem in meinem Nacken. Es war eine tödliche Kälte.

      »Es ist kein Zufall, dass wir uns hier begegnen, Cara«, sagte Judd ruhig. »Ich habe auf dich gewartet. Und jetzt bist du da.«

      Ich öffnete zögerlich den Mund und fragte mit bebender Stimme: »Was wollen Sie von mir?«

      Er lachte heiser. »Was denkst du? Eine offene Rechnung begleichen, natürlich.« Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Erinnerst du dich nicht mehr daran, was du mir angetan hast?«

      Ich konnte zwar vor Angst nicht mehr klar denken, aber ich wusste, was er meinte. Oh ja, ich wusste, was ich getan hatte; wozu ich mich hatte hinreißen lassen. Bei ihm und bei so vielen anderen.

      »Ich lag im Sterben, Cara«, begann er zu erklären. »Ich rang mit dem Tod, in deinem Beisein.«

      Judds dürre Hand griff nach meinem Kinn und drehte meinen Kopf in seine Richtung. Er zwang mich, ihn anzusehen. Aber ich wollte das nicht.

      »Sag mir, was du getan hast!«, forderte er und drückte nun mit seiner Hand mein Gesicht zusammen. Seine langen Fingernägel bohrten sich in meine Wangen.

      Ich blinzelte und sah in die schwarze Leere seiner toten Augen.

      »Sag es!«

      Meine Kehle schnürte sich mir zusammen; wahrhaftig. »Ich…« begann ich zögerlich, doch je mehr ich mich dagegen sträubte, seiner Aufforderung nachzukommen und ihm mein dunkelstes Geheimnis zu enthüllen, desto weniger Luft bekam ich.

      »Ich lag bereits im Koma, nicht wahr?«, sagte Judd scharf. »Du glaubtest, es wäre schon vorbei mit mir, richtig?«

      Ich nickte hektisch.

      »Und dann, was hast du dann getan?«

      Die Tränen liefen in Sturzbächen über mein Gesicht und Judds Hand, die meinen Kopf nach wie vor in seinem unnachgiebigen Griff hielt.

      »Ich… habe Ihnen ein Medikament gegeben. Um Sie von Ihren Schmerzen zu erlösen.«

      »Du hast mich umgebracht Cara. Das ist es, was du getan hast! Mich umgebracht.« Er seufzte und fügte dann hinzu: »Aber das war nicht alles, nicht wahr? Du hast in diesem Moment auch etwa zu mir gesagt.«

      »Ich habe Ihnen etwas zugeflüstert«, entgegnete ich krächzend und nach Luft schnappend. Durch den Schleier einer nahenden Ohnmacht konnte ich sein Nicken erkennen.

      »Und was genau war es, was du geflüstert hast? Wie lauteten deine Worte?«

      Mit letzter Kraft antwortete ich ihm: »Dich hat der Teufel schon in seinen Krallen. Ich wünsche ihm viel Spaß mit dir.«

      »Sieh mich an!«, befahl Judd mir laut und voller Zorn. »Schau mir in die Augen!«

      Zaghaft öffnete ich meine durch die Tränen verquollenen Augen und sah ihn an; sah in seine tiefschwarzen Augen. Sie schienen mit einem Mal immer größer zu werden. Und so war es auch: Seine Augenhöhlen wurden tiefer und tiefer. Ich wollte mich angewidert abwenden, doch seine knöchrige, kalte Hand hielt mich fest und zwang mich, eine grauenerregende Metamorphose unmittelbar mitzuerleben: Ich musste mit ansehen, wie seine Haut immer ledriger wurde. Sein Pyjama zersetzte sich an seinem Körper, als würde er im Zeitraffer

Скачать книгу