Zehn kleine Mörderlein. Dietrich Novak
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Wenig später krochen Valerie und Hinnerk unter die gemeinsame Decke, stopften sich Kissen in den Rücken und streckten die Beine aus.
»Was meinst du? Hätten wir lieber absagen sollen?«, fragte sie.
»Nö, die sehen doch alle ganz harmlos aus. Vielleicht ist dieser Mr. Finn der einzig paranoide unter ihnen«, meinte Hinnerk.
»Aber wenn es stimmt, was er sagt, und er wirklich tot ist, muss einer ein Mörder sein. Wir sollten sie alle genau unter die Lupe nehmen.«
»Dasselbe haben die anderen auch vor. Nur einer wiegt sich in fälschlicher Sicherheit. Doch es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht einer von uns ihm draufkommt.«
»Den Herrn der Finsternis lassen wir mal lieber aus dem Spiel. Mir reicht die Erfahrung mit dieser Sekte in Köpenick.*«
»Es war ja auch nur bildlich gemeint. Dass der Alte das Personal ausgeklammert hat, schmeckt mir gar nicht. Einer von ihnen hätte doch am ehesten Gelegenheit gehabt, ihn umzubringen.«
»Diese Elsie scheint mir der Typ schüchternes Reh zu sein. Sie hat kaum gewagt, dich anzusehen, als sie uns zum Zimmer geführt hat. Aber stille Wasser gründen bekanntlich tief. Und dieser Mrs. Denver traue ich erst recht nicht über den Weg. Sie ist so eine Mischung aus der „seltsamen Gräfin“ und dieser
Hausdame aus „Rebecca“. Beide hatten einen Sprung in der Schüssel. Über den Koch, Mr. Porter kann ich mir noch kein Urteil erlauben, da er bisher nicht in Erscheinung getreten ist.«
»Wie ich sehe, bist du schon so richtig in deinem Element. Was mich anbelangt, gönne ich mir jetzt eine Mütze voll Schlaf. Die nächsten Tage dürften anstrengend werden.«
*siehe Teil 9 „Böse Mächte“
»Was glaubst du, was ich tue? Polka tanzen?«
Als Valerie und Hinnerk am nächsten Morgen herunterkamen, war im Rittersaal ein Frühstücksbuffet aufgebaut, das keine Wünsche übrig ließ. Deutsche, Engländer, Franzosen, Italiener und Skandinavier konnten voll auf ihre Kosten kommen. Elsie war unentwegt bemüht, für frischen Kaffee und Tee zu sorgen, denn es hatten sich schon einige Herrschaften versammelt.
Am Kopf der Tafel thronte Hector Oiseau mit frisch gewichstem Schnurrbart. Die ältere Dame stellte sich als Miss Margaret Clarke aus Molesworth, einem Dorf in der Grafschaft Cheshire, vor, der leicht schnöselig wirkende jüngere Mann als Dr. Klaus-Gustav Wörner aus Ulm, der italienische Beau als Carlo Moretti aus Mailand und der Blonde mit dem markanten Gesicht als Oscar Wallin aus Stockholm. Der Pfarrer oder Pastor schien einen gesegneten Schlaf zu haben, denn er kam erst später. Das galt auch für Marita Berg und den Richter Laurenz Markgraf, die als Letzte erschienen.
Valerie saß neben dem blonden Kommissar aus Stockholm, der schon vor dem Frühstück irgendwelche undefinierbaren Pillen schluckte. Außerdem hatte er eine leichte Alkoholfahne, wie Valerie auffiel.
»Ich höre, Sie kommen aus Stockholm«, sprach sie ihn an. »Meine Mutter hat in der Västerlånggatan in der Altstadt Gamla Stan ein Antiquitätengeschäft.«
»Ja, da gibt es einige nette, kleine Läden. Ich bin öfter dort, weil ich alte Dinge schätze und liebe. Meine Frau hatte dafür leider kein Verständnis.«
»Warum hatte? Lebt sie nicht mehr?«
»Doch, sie erfreut sich bester Gesundheit. Wir sind geschieden.«
»Schade. Das war ich auch. Aber ich habe meinen Mann ein zweites Mal geheiratet.«
»Das soll gelegentlich vorkommen, ist bei uns aber ausgeschlossen. Ich gehe davon aus, dass Ihre Mutter eine Deutsche ist. Was hat sie nach Stockholm verschlagen?«
Valerie lachte.
»Nein, Tyra ist ebenso in Schweden geboren wie ich. Ich bin nur in Deutschland aufgewachsen.«
»Sind Sie gebürtige Stockholmerin?«
»Nein, meine Mutter stammt aus Malmö, und dort habe ich auch das Licht der Welt erblickt.«
»Interessant, dort habe ich am Anfang meiner beruflichen Laufbahn als Polizist gearbeitet. Dann haben Sie schwedisches Blut in den Adern. Werden Sie irgendwann nach Schweden zurückgehen?«
»Das ist gut möglich. Zum Beispiel, wenn mir Tyra ihren Laden vererbt.«
Hinnerk räusperte sich.
»Mein Mann hört das nicht gerne. Andererseits weiß er, dass ich immer das tue, was mir gefällt. Haben Sie Kinder, Herr Wallin?«
»Ja, eine Tochter. Sie eifert mir beruflich nach. Aber anders als mein Vater akzeptiere ich das.«
»Ich kenne das Problem. Unser Sohn Ben ist auch nicht mit unserer Berufswahl einverstanden. Und meine Mutter lässt keine Gelegenheit aus, sie mir vorzuwerfen.«
»Hätten Sie lieber ins Antiquitätengeschäft einsteigen sollen?«
»Wie? Ach so, ich meine nicht Tyra, sondern Karen, meine Adoptivmutter. Aber das ist eine andere Geschichte.«
»Es ist sicher nicht einfach, zwei Mütter zu haben.«
»Mitunter, doch es gibt Schlimmeres.«
Während Valerie sich mit Kommissar Wallin unterhielt, versuchte Hinnerk, sich ein Bild von den anderen Teilnehmern zu machen. Miss Clarke, die Valerie etwas respektlos als die Alte bezeichnet hatte, machte einen auffällig harmlosen Eindruck. Man hätte sie in Deutschland durchaus als Kaffeetante bezeichnen können. Ihre eisgrauen Löckchen und die vielen feinen Fältchen ließen sie als liebe Oma erscheinen. Doch dazu passten die wachen hellen Augen nicht, denen nichts im Raum und an ihren Mitmenschen entging. Als sie ihr Tischnachbar korrekt mit Ms Clarke ansprach, verbesserte sie ihn sogleich.
»Oh, sagen Sie bitte Miss. Ich bin stolz darauf, ein Fräulein zu sein und schätze die neue Bezeichnung, die nicht erkennen lässt, ob es sich um eine ledige oder verheiratete Frau handelt, nicht sehr. Außerdem befürchte ich immer, dass bei „Ms, also in der Lautsprache mizzz die Spucke meines Gegenübers in meinem Gesicht landet.«
Der schnöselige Typ machte ein Gesicht, als hätte man ihn nicht nur verbal abgewatscht. Dr. Wörners Augen blickten ebenso wachsam, aber eher ein wenig ruhelos, hinter seinen Brillengläsern. Sein an sich hübsches Gesicht ließ ihn durch einen stets leicht arroganten Ausdruck weniger sympathisch wirken, stellte Hinnerk fest.
Der schwarzhaarige Commissario Moretti, den Valerie als melancholisch aus der Wäsche guckend beschrieb, machte durch seine weichen Gesichtszüge und den offensichtlich ebenfalls gefärbten Haaren einen fast geschlechtsneutralen Eindruck. Die piepsige Stimme verstärkte das noch. Dagegen sah Heiko fast wie ein Bauarbeiter aus.
Als Father Green dann endlich erschien, betrachtete Hinnerk auch ihn interessiert. Der Gottesmann hatte ein pausbäckiges Gesicht mit leicht geröteten Wangen, als käme er gerade aus der Sommerfrische oder wäre im Dauerlauf zur Tafel gekommen. Sein schwarzes Gewand spannte über dem Bauch. Er war also den leiblichen Genüssen durchaus zugetan. Inwiefern