Druide der Spiegelkrieger. Werner Karl
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Mit stiller Freude beobachtete der Druide, wie Túan die erste Rolle vorsichtig nahm und sich näher ans Licht setzte, welches zur Mittagszeit den Höhlenraum durch den Rauchabzug erhellte. Kein Feuer brannte, nur die sorgfältig am Leben erhaltene Glut unter einer dicken Ascheschicht wärmte ihrer beider nackten Füße und daher hielt auch kein Rauch die Sonnenstrahlen auf.
Der Schüler schob eine nicht mehr grüne Grasschnur beiseite, doch zu Túans Überraschung war sie noch nicht so alt, dass sie brüchig gewesen wäre. Ein weiterer Hinweis dafür, dass Kennaigh sich der Rollen oft genug annahm.
Ich habe ihn nie darin lesen sehen, überlegte Túan und blickte für einen Moment auf und in die grauen Augen des alten Mannes.
Der nickte zunächst nur und in sein freundliches Lächeln mischte sich ein Ernst, der durch die folgenden Worte die angenehme Stimmung endgültig vertrieb.
»Es trägt den Titel De bello gallico und es berichtet recht ausführlich vom Krieg der Römer in Gallien und der Niederwerfung der dortigen Völker vor über 100 Jahren.« Seine Stimme nahm nun den Klang von kaltem Eisen an, das langsam über einen Schleifstein gezogen wurde.
»Meister, warum hast du diese Schriftstücke aufbewahrt? Ich dachte, Druiden würden ihr Wissen im Kopf behalten und an ihre Schüler nur mündlich weitergeben.«
Kennaigh lächelte und setzte sich auf einen Hocker.
»Ich bin – entgegen der Ansicht meiner geschätzten Kollegen – der Meinung, dass es so viel Wissen auf der Welt gibt, dass es niemals in einen Kopf hineinpasst. Außerdem kann ich mir viele Möglichkeiten vorstellen, die einen Weisen daran hindern können, sein Wissen weiterzugeben, bevor er stirbt.« Er lächelte erneut. »Außerdem kann ich in der Zeit, in der du liest, etwas anderes tun. Meine Zeit auf Erden ist begrenzt.«
Dann huschte ein Schatten über sein Gesicht.
»Nun lies es, und wenn du es beendet hast, werden wir uns ausführlich darüber unterhalten und sehen, was du daraus gelernt hast.«
Túan sagte nichts darauf, entrollte den Papyrus und begann zu lesen.
»Die Römer nennen die Gallier Barbari. Was bedeutet dieses Wort, Meister?«
Túan rollte sorgfältig die letzte Schriftrolle des Buches zusammen und nestelte an der Grasschnur herum, um es wieder zu verschließen.
»Die Römer nennen alle Völker, denen sie sich überlegen fühlen, Barbaren. Sie halten andere – auch uns – für dumm, weil wir keine großen Städte aus Stein besitzen wie sie. Keine Maschinen aus Holz und Eisen benutzen, keine steinernen Wasserleitungen bauen, um aus großen Entfernungen Wasser in die Städte zu bringen und dergleichen Dinge mehr.«
»Warum sollten wir Wasserleitungen aus Stein bauen, wo es doch in Breith überall Flüsse, Bäche und Seen gibt?« Er setzte sich an den Eingang der Höhle und betrachtete mit Kennaigh die untergehende Sonne. »Vom Regen einmal ganz abgesehen«, ergänzte er und lächelte den Alten an.
Der alte Druide grinste zurück und ächzte, als er sich auf einen Haufen Stroh neben ihn setzte und ebenfalls ins schwindende Tageslicht blickte.
»Weißt du, Túan, allein, dass du dir genau diese Frage stellst, beweist, dass du erkannt hast, was die Römer nach all der Zeit in unserem Land noch immer nicht verstanden haben. Sie wollen auf der ganzen Welt ihre Pax Romana verbreiten. Sie sehen ihre Art zu leben, als die einzig richtige an. Sie verkennen, dass jedes Land anders ist und sich die Menschen darin anders entwickelt haben. Sich dem Land, so wie es ist, angepasst haben, das nutzen, was da ist, und sich eben, so gut es geht, darin einrichten. Sicher, auch wir nehmen fremde Dinge an, aber wir würden die Römer nie zwingen, an unsere Götter zu glauben, so wie sie es versuchen. Dieses Land war seit Urzeiten das unsere, und die Römer haben ihr eigenes Land. Welches Recht haben sie, unseres zu besetzen und es uns wegzunehmen? Nur, weil ihnen dies bei anderen Völkern gelungen ist?« Er deutete mit dem Daumen nach hinten zum Regal mit den Schriftrollen. »Diese Gallier waren ein starkes Volk, aber nicht stark genug gegen die Römer«, fuhr er fort.
»Sie waren uneins, Meister. So wie wir«, antwortete Túan und beobachtete, wie die Sonne den Horizont berührte.
Kennaigh hob die linke Hand und wies auf die Sonne. »Wir … die Cruithin … oder wie sie uns nennen, die Picten, werden genauso untergehen wie die Sonne jetzt …«
»… oder die Gallier«, warf Túan ein.
»… oder die Gallier!«, bestätigte der alte Druide. »Wenn wir ein Volk aus zersplitterten, verfeindeten, von Neid und Missgunst erfüllten Clans bleiben. Dann werden die Römer uns genauso vernichten, wie sie es mit den Galliern getan haben.« Ein Lächeln huschte über sein von Falten zerfurchtes Gesicht. »Aber für diese Erkenntnis allein habe ich dich Caesars Buch nicht lesen lassen. Du solltest mehr daraus gelernt haben, junger Druide.« Erwartungsvoll wandte er sich dem Jungen zu.
Túan musste nicht lange nachdenken, worauf der Alte anspielte. »Es ist nicht allein damit getan, uns irgendwann zu vereinen, Meister. Wir müssen auch auf eine andere Art und Weise kämpfen als bisher …«
»Dann möchte ich dir noch eine andere Geschichte erzählen, die noch weiter in der Vergangenheit zurückliegt, Túan, mein Schüler.« Mit einem dankbaren Nicken quittierte er das große Hirschfell, das ihm Túan unaufgefordert um die Schultern gelegt hatte. Kennaigh wartete, bis der 14-Jährige sich ebenfalls eine Decke um den Körper geschlungen hatte, blickte einen Augenblick wie in weite Ferne und sprach dann weiter.
»Es gab einst einen römischen Feldherrn namens Varus. Dieser Varus führte lange vor Caesar eine große Streitmacht durch das Gebiet der Germanen, auch ein Volk des Festlandes. Man könnte die Germanen als Nachbarn der Gallier bezeichnen und sie sind ebenfalls Feinde der Römer …«
»Die Römer haben viele Feinde«, wagte Túan grimmig zu unterbrechen.
»Dieser Varus nun stieß in das Land der Germanen vor, in einen Wald, den er nicht kannte. Kein Römer kannte dieses Land. Doch die Germanen kannten es sehr wohl …«
Der alte Druide erzählte so lange, bis die Sonne längst untergegangen war und Mond und Sterne die einzigen Lichtquellen am Himmel waren. Túan hatte ihn kein weiteres Mal unterbrochen, sondern jedes Wort in sich aufgesaugt wie ein trockenes Tuch jeden Tropfen, der darauf fällt. Wie zur Bestätigung, dass die Erzählung zu Ende war, wandte er seinen Blick auf den Druiden.
»Das Buch Caesars und diese Schlacht im germanischen Wald …«, er zögerte. »Es sind wahre Geschichten, Meister, nicht wahr?«
»Natürlich. Glaubst du, ich würde dir Lügen erzählen?«
»Nein, natürlich nicht, Meister. Aber woher weißt du davon?«
Der dürre Druide schaffte es, gleichzeitig zu grinsen und die Zähne zu fletschen.
»In jungen Jahren trieb mich meine Neugier fort über das Meer. Ich streifte jahrelang über den Kontinent, besuchte fremde Völker, lernte von ihren Magiern und traf auf … Brüder.«
»Druiden wie du selbst?« Die Frage war fast unnötig.
»Ja und nein. Es gab und gibt bei allen Völkern Weise, Heiler. Manches, was ich gesehen, gehört und erlebt habe, ging über meinen Verstand. Doch einige Geheimnisse wurden mir offenbart … ich sammelte Wissen und … Gegenstände …«
Túan