DAS GESCHENK. Michael Stuhr
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Alain und Pascal kommen herangeschlendert. „Braucht ihr professionelle Unterstützung?“ Alain deutet mit großer Geste auf sich und seinen Bruder. „Hier ist sie.“
„Tja, ich weiß nicht. Was meint ihr?“ Fleur schaut uns an und wirft dabei einen mehr als kritischen Seitenblick auf Pascal. Pure Abneigung spiegelt sich darin und er schaut weg. - Was ist denn da los?
„Warum nicht?“, sage ich und Felix nickt, also machen wir kurzerhand vor den beiden eine kleine Modenschau. Ich bin ja zuerst skeptisch, was ihre Fachkunde betrifft, aber zumindest Alain erweist sich als echte Hilfe. Er ist auch nicht mehr so albern und kicherig, wie ich ihn von früher her kenne. Er ist ein richtig schicker Kerl geworden, stelle ich fest. Seine bewundernden Blicke, als ich mich mit Hotpants und einem im Nacken gebundenen, schwarzen Necktop vor ihm drehe, gefallen mir gut.
„Das ist es!“ sagt er bestimmt. „Das musst du anziehen, Lana!“
Pascal nickt dazu und lächelt mich unsicher an. „Du siehst toll aus“, flüstert er heiser und verschränkt dabei die Arme vor der Brust. „Ich hab jetzt ein Auto.“
Aha! Und was sagt mir das jetzt? Ich sage jedenfalls: „Schön!“
„Ich bin damit hier“, stößt er hervor.
Oh, Pascal, versuch doch mal, zwei Sätze miteinander zu verbinden. „Fein!“, sage ich und wende mich wieder den Klamotten zu. Er scheint ein wenig enttäuscht zu sein. Fleur schaut ihn schon wieder so seltsam an. Ich muss sie gelegentlich mal fragen, was los ist.
Bald haben wir uns alle entschieden, wer was tragen könnte und die Jungs gehen wieder. In dem kleinen Laden vom Campingplatz besorgen wir uns dank der Spende von Paulines Vater noch ein paar bunte Tücher, verschiedene Kettchen und coole Sonnenbrillen.
Nur High Heels sind nicht so schnell zu beschaffen. Fleur meint, dass sie sich welche leihen kann und Felix ist mit ihren Eltern ja auf großer Europafahrt. Die sind besser ausgerüstet, falls sie mal ins Theater wollen, oder so. Felix meint, sie nimmt einfach welche von ihrer Mutter. Für mich sehe ich allerdings schwarz. In meiner Größe wird nichts aufzutreiben sein. Sicher gibt es hier auf den Campingplätzen ein paar Frauen, die zu Hause etwas Passendes hätten, aber wer schleppt so was mit zu einem Campingurlaub? Das wäre ja bescheuert.
„Mach dir nix draus“, meint Fleur. „Dann starten wir eben auch barfuß.“
„Of course wir machen das“, meint Felix dazu.
Das haut mich so um, dass ich ganz feuchte Augen kriege. „Ihr seid toll!“, sage ich nur.
Bleibt nur noch eines zu klären: Die Auswahl der Lieder. Fleur hat eine CD mit den neuesten Hits mitgebracht, die wir uns gemeinsam anhören. Alles zu schwierig, zu blöd, zu hoch, zu tief. Verdammt, wir stecken da wirklich in einer Zwickmühle, was sollen wir singen?
Ich laufe schnell zu unserem Stellplatz und frage Papa um Rat. Er kramt eine Oldie-CD heraus.
„Oldies?“ frage ich zweifelnd und drehe die CD unschlüssig hin und her.
„Ja, warum nicht?“, meint mein Vater, „da sind ein paar richtig gute Sachen drauf. Das sind so neuere Oldies.“
Neuere Oldies? Aha! Zögernd gehe ich mit meiner mageren Beute zu Pauline und den anderen. Na, ja, versuche ich mich selber zu ermutigen, reinhören kann man ja mal, wenn ich mir auch nicht viel davon verspreche.
Wie man sich täuschen kann: Die Mädels sind begeistert und schließlich findet jede von uns doch noch einen Song, der zu ihr passt. Felix entscheidet sich für „In your Eyes“ von Kylie Minogue, ich wähle nach langem hin und her „Eternal Flame“ von Atomic Kitten und für Fleur entscheiden wir uns alle einstimmig für den „Las-Ketchup-Song.“ Erstens versteht den eher gesprochenen Text sowieso keiner und zweitens bauen wir darauf, dass Fleur die Leute so zum Mitsingen animiert, dass keiner merkt, wie schlecht sie wirklich ist. Pauline findet unsere gesanglichen Bemühungen nach einigem Üben perfekt. Nur mit den Bewegungen zum Las-Ketchup-Song kommt Fleur immer wieder durcheinander. Aber irgendwann hat sie mit unserer Hilfe auch das kapiert.
Mittlerweile ist es Mittag, bis zur Miss-Wahl bleiben uns noch zwei Stunden. Also ab unter die Dusche, Haare waschen, Fußnägel lackieren – und – und - und.
Fleur hat ihren ganzen Vorrat an Kosmetikartikeln mitgebracht. Eine halbe Stunde lang sind wir damit beschäftigt, uns nach Kräften aufzubrezeln: Kettchen und Schleifchen um die Fußgelenke legen, Augen schminken, Haare stylen und so weiter. – Alles was unsere bescheidenen Mittel hergeben.
Alle meckern an meinem dünnen Lederbändchen herum, das ich um mein Fußgelenk trage. Aber ich will es nicht ablegen. Meinetwegen mache ich mir noch ein Plüschschleifchen darüber, das Pauline aus ihrer Kiste zaubert, aber das Lederbändchen bleibt! Das hat mir Hervé mal geschenkt und es hat mir bisher immer Glück gebracht.
Madame Poireaux drängt uns, wenigstens etwas von ihrem grässlich faden Nudelsalat zu essen, damit wir nicht mit ganz so leerem Magen zur Misswahl gehen. Wir wollen sie nicht beleidigen, also bringen wir auch das noch hinter uns.
Endlich ist es so weit: In Reih und Glied machen wir uns auf den Weg zur Schlachtbank – nein zur Miss-Wahl in der Strandbar vom Nachbarcampingplatz. - Oh je!
Jede von uns hat eine Tasche mit ihrem Outfit in der Hand. Pauline schleppt das ganze Kosmetikzeug, Föhn, Haargel und sonstiges zur Verbesserung unseres Aussehens mit.
Felix geht vor mir. Ihre Haare hat sie gestylt wie Halle Berry zu ihrer James Bond Zeit. Sie sieht richtig klasse aus. Fleur hat ihr krauses Haar in glatte Wellen gezwungen und ich, ich sehe eigentlich aus, wie immer: glatte, lange, blonde Haare, mehr kann man daraus nicht machen.
Unsere Eltern folgen uns plaudernd und lachend. So marschieren wir über den Strand. Schon von weitem hören wir Musik und Lautsprecheransagen, wie auf einem Rummelplatz.
Das erste, was ich vor der Bar sehe, ist der aus Holzplanken bestehende Catwalk, der quer über den Strand verläuft. Rechts und links vom Laufsteg tummeln sich schon eine Menge Leute. Mir wird ganz schlecht und ich würde am liebsten umkehren. Wie bin ich nur auf diese bescheuerte Idee gekommen, hier mitzumachen, und das auch noch freiwillig?
Felix vor mir strahlt mit bezauberndem Lächeln nach rechts und links und steuert geradewegs auf das Zelt zu, wo wir uns anmelden müssen. Ich wäre vor lauter Aufregung daran vorbeimarschiert.
Jede von uns bekommt einen Fragebogen, mit dem wir nach hinten ins Zelt an einen Tisch gehen.
Der Typ, der uns die Bögen gibt, hat seinen Stuhl vor dem Eingang aufgebaut. Wir kriegen schnell raus, warum. Obwohl die Seitenwände locker herunterhängen, sodass der warme Nachmittagswind unter der Plane hindurchwehen kann, ist eine brütende Hitze hier drin. Dagegen kann auch der Ventilator nicht an, der in einer Ecke steht und kläglich vor sich hinsurrt.
„Puh, was für ein Backofen!“, stöhnt Pauline, die als erste hinein gegangen ist. Entschlossen macht sie kehrt, kaum dass sie sich zwei Schritte hineingewagt hat. „Wir müssen hier raus, sonst ist eure Schminke gleich verlaufen. Irgendwohin in den Schatten. Alles ist besser als das!“
So hocken wir uns im kargen Schatten einer Pinie in den Sand und beschäftigen uns mit den Fragebögen: Name, Herkunftsort, Schule beziehungsweise