Die Dorfbrunners. Helmut Lauschke

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Die Dorfbrunners - Helmut Lauschke

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ihn Herr von Wittkopf stets mit Lob bedachte, wenn sie sich im Dorf, in der Kreisstadt oder auf dem Gut, hier anlässlich des Nachhilfeunterrichts der Söhne des Gutsherrn, trafen und auf August Emanuel zu sprechen kamen. Auch Mutter Dorfbrunner ließ auf den dritten Sohn nichts kommen, weil es seine gute Arbeit auf dem Landgut war, die den Gutsherrn veranlasste, die Familie mit Nahrungsmittel zu versorgen, die der Kutscher Fritz in zweiwöchentlichen Abständen brachte. So hatte die Familie in schw erer Zeit genügend zu essen, während andere Familien am Hungertuch nagten. Hörte die Mutter von den Neckereien der beiden älteren Söhne, dann fuhr sie scharf dazwischen und hielt ihnen vor, dass sie ihrem jüngeren Bruder für seinen Fleiß und die gute Arbeit dankbar sein sollten, weil sie durch ihn satt zu essen bekämen, was wesentlich zu ihren schulischen Leistungen beitrug. Als bei einer solchen Situation aus der Neckerei eine laute Diskussion wurde, Claudius Markus, der Älteste, mit dem Argument kam, dass die schulischen Leistungen weniger von den Muskeln als mehr vom Hirn abhingen und Vater Dorfbrunner in diesem Augenblick in die Küche trat und die arrogante Bemerkung hörte und die Mutter hinter dem Küchentisch neben August Emanuel mit hochrotem Kopf stehen sah, gab er dem Hirnlümmel eine schallende Ohrfeige, dass der über den zurückgeschobenen Stuhl kippte und mit Stuhl auf dem blank gebohnerten Boden einige Meter gegen die Wand unter dem Küchenfenster rutschte. Es krachte, der Fensterrahmen klapperte, und die Mutter befürchtete das Schlimmste mit Fenstersprung und Knochenbruch. Claudius Markus, der Verrutschte, blickte entgeistert in das vor Zorn erblasste Gesicht des Vaters, dann in das dem Mitleid zugeneigte Gesicht der Mutter, das noch immer rot, wenn auch nicht hochrot war, und saß noch eine Weile auf dem Boden neben dem Stuhl, dem der Aufschlag gegen die Wand die Rückenlehne aus der Halterung geschlagen hatte. Noch in der erbärmlichen Kauerstellung verpasste ihm der Vater eine Predigt, die sich gewaschen hatte und die sich der Sohn auf ausdrückliche Anordnung für sein Leben merken sollte. Der Vater verließ die Küche, schlug die Tür hinter sich zu, während die Mutter sich am Herd zu schaffen machte, und der durch Backpfeife und Predigt ermahnte Sohn sich erhob und den Stuhl mit der rausgebrochenen Rückenlehne dort stehen ließ, wohin er mit ihm gerutscht und gegengeprallt war. Er verzog sich mit glühender Wange und rot angelaufener, geschwollener Ohrmuschel auf sein Zimmer. August Emanuel, dem das auch alles zu stürmisch verlief, machte sich an Stuhl und Lehne zu schaffen; er schlug der bekümmert am Herd stehenden und das Mittagessen kochenden Mutter vor, den Stuhl mit der rausgebrochenen Rückenlehne mitzunehmen und auf dem Gut zu reparieren, weil dort das nötige Werkzeug vorhanden sei.

      Vater Dorfbrunner sprach das Tischgebet, und Mutter Dorfbrunner füllte die Suppenteller mit heißer Hühnerbouillon, zuerst den ihres Mannes, dann die ihrer Kinder und zuletzt den eigenen. Dazu gab es selbstgebackenes Brot, das geschnitten auf einer Holzplatte neben der Terrine stand. Die gespannte Atmosphäre schwirrte weiterhin über den Tisch, wo jeder auf seinen Teller schaute und die Suppe löffelte, als wäre der Essvorgang ein schwieriges Unternehmen, das die volle Konzentration erfordere. Die Mutter teilte den Rest Suppe aus, gab jedem noch eine halbe Kelle nach, um die Terrine zu leeren, als Vater Dorfbrunner die ältesten Söhne nach den schulischen Leistungen fragte und sie, ohne eine Antwort abzuwarten, weil sie oft nur allgemein gehalten war, ermahnte, sich anzustrengen, wenn sie es im Leben zu etwas bringen wollen. Er schaute zu Claudius Markus, der rechts von ihm saß, sah an der geröteten linken Gesichtshälfte mit dem Handmuster und dem geschwollenen Ohr vorbei und hielt ihm seine mittelmäßigen Leistungen in der Leichtathletik und beim Geräteturnen vor. „Wenn du die Offizierslaufbahn einschlagen willst, dann musst du dich im Sport besonders anstrengen, denn da werden Anforderungen gestellt, die einen trainierten Körper voraussetzen. Da brauchst du mehr Muskeln an den Armen und Beinen.“ Claudius Markus schwieg, sagte auch nicht, dass ihm die Offizierslaufbahn doch aufgezwungen wurde, die er selbst nie gewählt hätte, da er eine tiefe Abneigung gegen alles Militärische habe. Er sagte nichts von seiner Abneigung, meinte aber, nachdem er den Teller leer gelöffelt hatte, dass es genügend Offiziere gäbe, die vom Körperbau her schmächtiger seien als er. Vater Dorfbrunner legte den Löffel auf den leeren Teller, ließ seinen Blick gegen den Uhrzeigersinn um den Tisch gehen und erwiderte, dass schmächtige Offiziere es nicht weit bringen werden. Das hätte schon sein Großvater seinem Vater und der Vater ihm gesagt, dass bei der Offiziersauslese in die höheren Ränge der Körperbau und die Körperhaltung entschieden und nicht die Intelligenz, die oft nur durchschnittlich sei. Der ins gedankliche Visier genommene Claudius Markus ließ es sich sagen, ohne ein Wort dazu zu sagen, weil ihm wegen der geschwollenen Backe mit dem geröteten Ohr, das ihm brannte und das Gefühl des Abstehens gab, zum Sprechen nicht zumute war. Stattdessen schauten er und der nächst jüngere Bruder Matthias Johannes zum noch jüngeren Bruder August Emanuel, den sie wegen seiner Muskelkraft und des Schulendes mit dem Volksschulabschluss, der nur dur chschnittlich war, den Muskelprotz mit dem kleinen Kopf nannten, der sich die Blicke mit dem Einwärtsschielen des rechten Auges wortlos gefallen ließ, den Löffel auf den Teller legte und den Teller zurückschob, dass er mit einem dumpfen Porzellanklang an die Terrine stieß. Ihm war klar, dass er geistig den älteren Brüdern unterlegen war, nicht nur weil er jünger war, sondern weil seine Auffassungsgabe nicht die schnellste war, ja manchmal so langsam verlief, dass die Mutter ein besorgtes Gesicht machte, die Geschwister hinter den Rücken ihre Grimassen schnitten, dann mit dem Lachen herausplatzten, wenn sie sich nicht mehr halten konnten, und Vater Dorfbrunner mit rotem Kopf vor sich her brummte und einige Male die Worte „du Dummkopf“ nicht beiseite schieben, beziehungsweise runterschlucken konnte, weil ihm der Kloß des Zornes im Halse steckte. Blieben die Schluckversuche vergeblich, und brachten die Gurgelgeräusche nicht die erhoffte Erleichterung, dann drehte sich der Kloß im Halse und drückte das Blut ins Gesicht, das sich bis zur tiefen Röte verfärbte, dass der arme Junge das Schlimmste befürchten musste, nämlich den Ausbruch des Vesuvs, der da kochend vor sich hin brodelte. Denn das Brodeln mit dem plötzlichen Ausbruch, der oft unerwartet heftig ausfiel, war eine gefürchtete Eigenart im Wesen der Dorfbrunners, denen das kurze Temperament mit dem Heißsporn nachgesagt wurde, so weit man die Familienchronik zurückverfolgte.

      An das Mittagessen mit der Hühnerbouillon und dem vorangegangenen Vorfall mit der schallenden Ohrfeige, die sein ältester Bruder vom Vater aufgrund einer sicherlich nicht boshaft gemeinten Bemerkung bezog, die ihn mit dem Stuhl gegen die Wand rutschen ließ und dem Stuhl die Rückenlehne kostete, erinnerte sich August Emanuel viele Jahre später, als er ein Bauer mit eigenem Hof im Dorf Krumbach an der Oder und Familienvater von zwei Söhnen und zwei Töchtern war. Nach dem schlesischen Krieg, den der Preußenkönig Friedrich II gegen Maria Theresia v on Österreich für sich entschieden hatte, hatte August Emanuel mit 28 Jahren die Oberlausitz verlassen, arbeitete für einige Jahre auf einem schlesischen Gut und hatte es durch Fleiß mit 35 Jahren zum eigenen Hof gebracht. Es war der fruchtbare Boden Schlesiens, dass er bald so er tragreich wirtschaftete, um eine Familie zu unterhalten. Vater August Emanuel hatte eine protestantische Frau aus einer angesehenen Lehrersfamilie der Kreisstadt geheiratet und seine Kinder evangelisch taufen lassen. Bei der Namensgebung bekam jedes Kind nur einen Namen. So nannte er den ersten Sohn Georg, den zweiten Friedrich, die erste Tochter Klara und die zweite Magdalena. Der Schielfehler hatte sich vererbt und war am linken Augen der ersten Tochter hängengeblieben, der an der Breslauer Augenklinik jedoch erfolgreich operiert wurde, so dass auch sie einen Mann fand, von dem sie auch vier Kinder bekam, von denen ein Junge mit drei Jahren starb. Das bedrückte die Eltern sehr, weil die anderen Kinder Töchter waren und ein späterer Versuch mit einer Fehlgeburt im fünften Schwangerschaftsmonat endete. Wie der Schielfehler hielt sich auch die Mittagsgeschichte mit der schallenden Ohrfeige vom Oberlehrer Julius Martinus Dorfbrunner durch die Generationen, wenn es darum ging, Ungezogenheiten mit den Neckereien von wegen Muskelprotz mit dem kleinen Kopf, oder Goliath mit dem Nasenblick väterlicherseits wieder gerade zu ziehen. Es gehörte zum Erbgut der Dorfbrunners, dass vor allem die Söhne zu solchen Ungezogenheiten neigten und mindestens ein Sohn in jeder Familie war, der zur familiär ausgeprägten Dickschädeligkeit noch die Eigenschaften des aufbrausenden Jähzorns hatte, der dann besonders störte, wenn Besucher im Hause waren oder am Tisch saßen, und sich der Heißsporn nicht zusammennehmen konnte. So war in einigen Tagebüchern aufeinander folgender Generationen vermerkt, dass Besucher wie Gäste das Haus vorzeitig verließen und nicht wiederkamen, auch die Dorfbrunners nicht mehr einluden, weil es die Söhne waren, die dem gemütlichen Plaudern bei Tisch durch ihre Unbeherrschtheit einen Strich durchzogen. Was an den Familien allgemein geschätzt wurde, war der Dorfbrunnersche

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