Grün ist das Leben. Wolfgang Bendick

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Grün ist das Leben - Wolfgang Bendick Zu Wasser und zu Lande

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die nähere Umgebung. Wir gingen einfach der kleinen Teerstraße nach, die an dem Haus vorbei führte. Wir liefen durch eine vom Frost vergilbte Streuobstwiese zu einem kleinen Hügel. Wir schwangen uns über einen hölzernen Zaun und stiegen zwischen den grobrindigen, leicht gedrehten Stämmen bis hinauf auf den Moränenhügel. In der Ferne glitzerte der blasse Spiegel des Bodensees, umrahmt von den majestätischen, schneebedeckten Schweizer Bergen. War das schön! Wir setzten uns auf einen Anorak, schmiegten uns aneinander und ließen den Blick schweifen. Es roch leicht nach feuchtem Laub. Wir waren glücklich und verspürten so etwas wie das Gefühl von Heimat…

      Die Arbeit begann mit Sonnenaufgang. Auch, wenn sie nicht zu sehen war. Das war im Winter ganz angenehm, wenn es auch in der Früh nicht gerade ein Vergnügen war, wenn der Reif unter den Schritten knirschte und die Hände am eiskalten Werkzeug festklebten. Der Atem wehte wie eine weiße Fahne und kondensierte im Bart zu Tropfen. Langsam hob sich der Nebel und die Silberwelt wurde durchsichtiger. Wie Weihrauch lag der Geruch der Holzfeuer in der Luft, bis bald die ersten Sonnenblitze die Welt mit Farben bespritzten. Doch das war hier in Bodenseenähe leider nicht die Regel. Oft blieb es grau, und man vergaß schnell, dass irgendwo auch eine Lichtwelt existierte. So gegen zehn Uhr machten die Bauern Kaffeepause. Das war unsere Frühstückszeit. Außerdem waren wir keine Kaffeetrinker. Das war weniger gesundheitlich bedingt. Vielleicht ging das bei mir auf eine Ablehnung der spießerischen Gesellschaft zurück, die im Kaffeeritual ihren Höhepunkt fand. Jedenfalls war diese halbe Stunde Pause unsere Frühstückszeit, wo wir unser Müesli zu uns nahmen, verbessert mit warmer Milch und geschnetzelten Früchten, die wir aus der Schweinetonne gelesen hatten. Bei Sonnenuntergang war Arbeitsende, wenn es uns nicht gelang, uns nach erledigten Pensum vorher davonzustehlen.

      Nach getaner Arbeit ließen wir uns von der sich durch die Wiesen und Obstanlagen schlängelnde Straßen leiten, bis uns ein Bächle oder Pfad von dieser ablenkte. Wir folgten diesem wie Entdecker und freuten uns an jedem Wehr oder unterhöhltem Ufer, beobachteten die Forellen oder andere Tiere, die sich langsam wieder ans Tageslicht wagten, wenn wir uns eine Weile nicht bewegt hatten. Was gab es da alles zu entdecken, wenn man erst einmal still geworden war! Das Plätschern des Wassers wurde zu Musik, das Wehen des Windes zu einer Melodie, zu der sich mit dem Längerwerden der Tage auch noch die Stimmen der zurückgekehrten Vögel gesellten. Langsam erwachte die Natur, viele uns unbekannte Pflanzen durchstachen die feuchte Erde und entrollten oder entfalteten ihre Stängel und Blätter. Wir hatten immer ein Pflanzenbestimmungsbuch bei uns und lernten bei jeder Wanderung neue Gewächse und deren Wirkungen auf die Menschen kennen. Wir fingen an, die ersten Pflanzen zu sammeln und zu trocknen. Der Bauer gab uns eine seiner auf dem Dachboden eingestaubten Tret-Nähmaschinen. Doris nähte damit kleine Säckchen, die wir mit den Kräutern füllten. Oder wir stopften sie in Schraubverschluss-Gläser, wenn sie aromatisch waren. Auch fertigten wir mit Obstler Tinkturen an, die uns bei Erkältungen halfen oder die wir unseren Freunden als Schnaps servierten. Wir begannen in dieser Zeit ein Herbarium anzulegen. Nicht weit vom Hof stand ein verwahrlostes Haus, an dem wir manchmal bei unseren Exkursionen vorbeikamen. Es war das einzige verwahrloste Haus in der Umgebung und drohte, bald einzufallen. Es muss vor langer Zeit eine Mühle gewesen sein, denn ein ausgetrockneter Kanal führte dort hin. Der Ort gefiel uns, vor allem die Inschrift in gotischen Buchstaben über der Tür: „Was von deinen Vätern du ererbt, erwirb es, um es zu besitzen!“ Wir sprachen den Bauern darauf an. „Der Spruch ist von Goethe! Das Haus ist irgendwie verwunschen. Die da gewohnt haben, sind alle spinnet geworden. Es gibt schon noch einen Eigentümer. Aber der hat es wohl nicht nötig, etwas damit zu machen…“

      Manchmal spielte ich in Gedanken mit einem Studium. Warum nicht Medizin? Oder doch eher Heilpraktiker? Jedenfalls bewarb ich mich dafür und auch für Germanistik und Sinologie. Das wäre doch was, die chinesischen Weisen wie Laotse in ihrer Sprache lesen zu können! Was solls… Man würde mich ja sowieso nicht nehmen… Doris war nicht vom Studieren angetan, sie hatte ihr Pensum schon hinter sich. Nie wieder!

      War sehr viel Arbeit, lud uns die Bäuerin schon mal zum Essen ein, damit Doris´ Arbeitszeit besser genutzt wurde. Denn meist ging sie eine halbe Stunde früher weg, um unser einfaches Mahl vorzubereiten. Sonst aßen wir erst am Abend richtig. Wir ernährten uns weitgehend vegetarisch. Das schien uns die dem Menschen entsprechende Ernährungsweise zu sein. Freitag war der Tag, an dem der Sonnenuntergang nicht das Ende der Arbeit bedeutete. Am Samstag war Wochenmarkt, ein großes Ereignis, und das Gemüse musste zum Verkauf vorbereitet werden. Das war im Winter wenig, außer etwas Feldsalat, wenn das Wetter überhaupt eine Ernte zuließ, Endiviensalat, eingekellerte Rettiche, Möhren und Steckrüben. Dazu etwas Lauch, der meist schon während der Woche geerntet wurde, wenn der gefrorene Boden es erlaubte, die Gabel hineinzustechen und die manchmal glitschigen Stängel herauszuziehen. Im Keller lagen noch Zwiebeln, Kartoffeln, rote Rüben, Äpfel. Langsam lernten wir, dass alle Gemüse nur jahreszeitlich verfügbar sind. Nie ganzjährig, wie uns die Auslagen in den Supermärkten glaubhaft machen wollen! Im Keller wurden in ein paar flachen Kisten Chicorées gezogen, deren blasse spindelförmige Knospen im Winter der einzig verfügbare Salat waren. Dazu noch ein paar Eier aus dem Hühnerstall. Auch machte der Bauer abends mit seinem R4 eine Runde und sammelte bei Nachbarn ein, was essbar und verkaufbar war, um seine begrenzten Vorräte aufzustocken. In Wangen gab es außerdem einen Großhändler für Gemüse. Manchmal durfte ich mit dem Bauern dorthin fahren, wenn schwerere Kisten zu laden waren. Der Händler hatte sich in einem alten Lagerhaus eingerichtet. Vorn an der Rampe gab es normal angebautes Gemüse von der Insel Reichenau oder sonst wo, hinten gab es bestes biologisches. Hatte der Händler grüne Daumen oder irgendwelche magischen Kräfte? Denn die Gemüse für uns kamen oft von den gleichen Stapeln wie das herkömmliche. Wenn es einmal die Hintertür passiert hatte, war es plötzlich biologisch! Auf meine Bemerkung hin, dass das alles ja nicht sehr klar sei, meinte mein Bauer, dass man auch mal auf das Wort eines Anderen vertrauen sollte, selbst, wenn nicht jedes Mal ein Etikett an der Kiste angebracht sei. Es würden im Gemüsebau oft gebrauchte Steigen wiederverwendet! Außerdem gäbe es ja auch viele Haushalte, wo in den Gärten gutes Gemüse angebaut würde, und diese sollte man ebenfalls unterstützen…

      Zum Glück liebte es der Bauer, alles weitläufig zu erklären. Nur durfte dabei unsere Arbeit nicht unterbrochen werden. Manchmal stand er zwischen uns und anderen gelegentlichen Aushilfskräften auf dem Feld und erklärte die kosmischen Zusammenhänge, während wir in der feuchten Erde wühlten und Pflanzen setzten oder Unkraut jäteten. Und Wissen besaß er, das muss man ihm lassen, auch wenn wir manchmal gar nicht mit seinen Äußerungen einverstanden waren! „Alles ist bipolar. Man kann in der Natur alles einteilen in erdorientierte Wesen und in kosmisch ausgerichtete, zum Beispiel! Der Mann, bedingt durch seine Erektion, ist eher nach oben, also zum Kosmos, ausgerichtet, während die Frau durch ihre Menstruationen erdgerichtet ist, und dadurch auch besser geeignet für Erdarbeiten und Unkraut jäten!“ Ich müsste mal nachlesen, ob das von Steiner ist oder seine eigene Interpretation…

      Der biologisch-dynamische Anbau, wie die hier angewendete Wirtschaftsweise hieß, ging auf Rudolf Steiner zurück, einen ‚Geisteswissenschaftler‘, der in vielen Dingen seiner Zeit voraus war. Er hatte Philosophie und Physik studiert und sich mit Goethe beschäftigt. Er hatte in seinem Leben verschiedenen religiösen Strömungen wie auch der Theosophie nahegestanden, und man sagte ihm hellseherische Fähigkeiten nach. Auf ihn gehen die Anthroposophie zurück und die Waldorf-Schulen. 1924 hielt er auf dem Landgut Koberwitz in Ostpreußen mehrere Vorträge über eine alternative Wirtschaftsweise, aus denen dann der biologisch-dynamische Anbau entstand, dessen Markenzeichen der Name ‚Demeter‘ ist.

      Anfangs nahm uns die Arbeit ganz schön mit. Denn meistens gebückt zu arbeiten oder auf den Knien auf dem Acker zu rutschen, waren wir nicht gewöhnt. Zum Glück waren die Tage noch kurz und Feldarbeit nur bei gutem Wetter möglich. Der Bauer besaß einen Massey Ferguson Traktor, den er eigentlich immer selber bediente. Nur, wenn es um das Rückwärtsfahren mit Anhänger ging, durfte ich seinen Platz einnehmen. Für den Traktor gab es eine Bodenfräse als Anbaugerät. Diese diente zur Ackervorbereitung. Außerdem war eine kleine Gartenfräse vorhanden, wie eine Art umgebautes Moped (Quickly), dessen lindgrüne Lackierung und Tank original waren. Weiterhin war ein Agria-Motormäher in Gebrauch, mit dem das erste grüne Futter

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