Kanonen für Saint Helena. Ole R. Börgdahl

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kanonen für Saint Helena - Ole R. Börgdahl страница 3

Kanonen für Saint Helena - Ole R. Börgdahl Falk-Hanson-Reihe

Скачать книгу

die an diesem Tag den Anfang vom Ende Napoléons einläutete. Es waren Berichte von Unbeteiligten, zumeist verklärt heroisch, aber auch Augenzeugenberichte, in denen ich mich ebenfalls nicht vollständig wiederfand, sofern ich an den genannten Orten selbst anwesend war und so ein Urteil hätte fällen können. Jeder sollte daraus lernen, dass das persönliche Empfinden eines Ereignisses oft nur wenig mit der sachlichen Realität zu tun hat. Aber was bedeutet diese sachliche Realität? Ist es ein Aufzählen der Gefallenen und der Verwundeten, der eroberten Kanonen und Furagen, des Gewinns an Terrain? Der Tod eines Soldaten mag noch etwas Endgültiges sein, weil dabei alles erstirbt, keine Erinnerung übrigbleibt. Ganz anders ist dies bei den Verwundeten und den Überlebenden. Hier kann jeder sein eigenes Empfinden herausschreien und je öfter er dies tut, je mehr entfernt sich sein Eindruck von der sachlichen Realität.

      Bei meiner Schilderung soll dies berücksichtigt sein. Ganz sicher kann ich aber bestätigen, dass Napoléons Angriff auf Saint-Amand begann, als die Kanonen im etwa sechs Meilen entfernten Quatre-Bras zu sprechen begannen. Es waren also zwei Schlachten entbrannt, die Preußen von den Briten mit ihren niederländischen Verbündeten getrennt, womit Napoléon sein Ziel erreicht zu haben glaubte, beide feindlichen Armeen nacheinander bekämpfen und besiegen zu können.

      Ich hatte in unmittelbarer Nähe Saint-Amands mein Pferd verloren, wurde beinahe von französischen Tirailleuren erschossen, wenn mich nicht ein Trupp preußischer Plänkler gerettet hätte. Sie brachten mich nach Brye, um dann nach Saint-Amand zurückzukehren. Dort entbrannten wenig später heftige Kämpfe, die ich jetzt hoch oben in meinem Ausguck auf der Windmühle von Brye beobachten konnte. Ich hatte längst mein Utzschneider-Fernrohr zur Hand genommen. Die Franzosen hatten die Preußen zum wiederholten Male aus dem Dorf gedrängt. Aber es war noch lange nicht vorbei, denn jetzt griffen die Preußen unter Führung Feldmarschall Blüchers an, eroberten die Stellungen zurück. Ich kann nicht sagen wie oft sich dieses hin- und herwogen wiederholt hatte. Ich sah aber nach jedem Sturm die Menge der Toten und Verwundeten, die zurückblieben.

      Die Zeit verging. Ich blieb nicht allein auf meinem Posten, musste oft den Platz an preußische Offiziere abgeben, die so schnell gingen, wie sie gekommen waren, um dem Stab Blüchers oder dem Feldmarschall selbst die Lage aus erhöhter Position mitzuteilen. Am Ende des Nachmittags hielten die Preußen aber noch immer Saint-Amand. Dafür entbrannten etwas mehr als eine Meile östlich weitere Kämpfe. Das Dorf Ligny war ebenfalls längst zum Schlachtfeld geworden. Ich glaubte tatsächlich den Pulverrauch in meinem Mund zu schmecken. Es wurde Zeit, meinen Posten zu verlassen, nur wusste ich nicht, was ich unternehmen sollte. Ich war lediglich Beobachter, wäre aber gerne dichter an das Geschehen herangekommen. In dem Gehöft ließ ich mich noch einmal mit Tee und einem frühen Abendbrot bewirten, als Major von Nostitz auftauchte. Er ließ sich ebenfalls versorgen, trank und aß in großer Eile und als er wieder aufbrechen wollte, schloss ich mich ihm an.

      Wir sprachen nichts ab. Ich bekam ein Pferd und ritt dem Tross von Offizieren, dem Major von Nostitz angehörte, hinterher. Und dann befand ich mich in unmittelbarer Nähe zu Feldmarschall Blücher, der übermütig und aufgedreht wirkte. Es hatte keinen Sinn ihn zurückzuhalten, man konnte nur verhindern, dass er sich in der ersten Angriffsreihe einordnete. Der Kavallerieansturm begann, stoppte, begann erneut, nahm Fahrt auf, traf auf den Feind. Saint-Armand wurde genommen. Und dennoch waren die Franzosen nicht bereit, vollständig zu weichen. Ich ritt den Angriff mit, auch wenn das nicht ganz richtig formuliert ist, denn ich war weit hinten, aber noch vor den Leuten die sich den Verwundeten annahmen. Ich hätte diese Pflicht der Menschlichkeit ebenfalls ausführen können, aber es drängte mich nach vorne.

      Ich ignorierte die Verwundeten und erst recht die Toten. Keine fünfzig Yards von mir schlug eine Kanonenkugel ins Erdreich. Die Franzosen setzten wieder Artillerie ein, kleine Kaliber, die aber gegen Reiterei ebenso tödlich war. Es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch Kartätschen herüberflogen. Dies allein konnte nur ein Sieg der preußischen Kavallerie verhindern, ein Überrennen der Stellungen. Plötzlich fiel mir die Prachtuniform Blüchers auf, der tatsächlich mitten im Geschehen ritt und nur durch seine Adjutanten daran gehindert wurde, seine Waffen selbst gegen den Feind einzusetzen.

      Französische Infanterie stoppte ganz vorne die preußische Kavallerie und dann erschien auch die Reiterei des Feindes. Es waren Kürassiere, deren Brustpanzerung im Licht des schwindenden Tages glänzte. Ich zügelte mein Pferd, denn mir wurde plötzlich bewusst, dass ich mich schon zu sehr dem Kampfgeschehen angenähert hatte. Mein Auftrag, der noch immer galt, befahl mir, mich aus allen Gefahren herauszuhalten. Ich gehörte nicht zu der kämpfenden Truppe, ich gehörte nicht einmal zu einer der Konfliktparteien. Und es war genau dieser Begriff, den sowohl Överste Kungsholm als auch mein Kamerad Louis Berg verwendeten. Preußen, Briten und Niederländer standen Napoléon Bonaparte gegenüber, sollten das erneute Aufbegehren unterdrücken, den Frieden von Paris wieder einsetzen. Als Schwede war ich nur Beobachter und dabei hatte ich in der Schlacht bereits aktiv gekämpft. Dieser letzte Gedanke ließ mich meinen Ritt fortsetzen, auch wenn ich mich dem Angriff nicht anschloss.

      Aus dem Sturm der Preußen wurde aber in den kommenden Minuten ein Rückzug. Die französischen Kürassiere schlugen wild um sich. Französische Infanteristen formierten sich zu Linien und gaben ihre Salven auf die Preußen ab. Wenigsten hatte der Artilleriebeschuss aufgehört, auch weil er auf dem Schlachtfeld Freund und Feind gleichermaßen treffen konnte. Der preußischen Kavallerie wurden die Rösser unter den Sätteln erschossen. Ich sah viele Pferde mit zwei und sogar drei Reitern auf mich zukommen. Aber die Männer wurden nur in Sicherheit gebracht, so dass ihre Kameraden sofort kehrtmachten und sich zum Gegenangriff formierten.

      Dies war die Situation auf der linken Flanke, während im Zentrum Infanterie gegen Infanterie stand. Es war dennoch ein Rückzug, denn wer seine Muskete verschossen hatte, lief zwanzig, dreißig Yards zurück, lud nach und deckte die Kameraden. Am Ende aber floh die preußische Infanterie, gab das Feld erneut der Kavallerie frei. Ich befand mich unmittelbar hinter der Reiterei und glaubte, dass soeben Feldmarschall Blücher an mir vorbei galoppiert war. Es beeindruckte, wie dieser Mann alles voll mitging, es beeindruckte mich, musste seinen Stab aber mit großen Sorgen erfüllt haben.

      Ich zog selbst an, verfiel in Galopp, um am Geschehen dranzubleiben. Tatsächlich, vorne sah ich den Feldmarschall, der dem Beschuss der Infanterie trotzte. Hinter der Linie formierten sich französische Kürassiere, die sich wieder gesammelt hatten, um den Gegenangriff zu führen. Plötzlich war Blücher nicht mehr zu sehen. Ich blickte hinter mich, in der Annahme, dass man ihn längst in Sicherheit gebracht hatte. Und da preschte auch schon Major von Nostitz an mir vorbei auf die Angreifer zu. Ich gab meinem Pferd die Sporen und folgte ihm. Ich konnte nicht erkennen, was er vorhatte. Den Säbel führte er nicht in der Hand und auch keine Feuerwaffe. Wir wichen Gefallenen und Verletzten aus, sprangen nacheinander über ein totes Schlachtross, bis der Major sein Pferd unvermittelt zügelte und aus dem Sattel sprang.

      Ich blickte nach vorne. Französische Kavallerie schlug gerade unsere Richtung ein. Es würde zum Aufeinandertreffen kommen, bei dem wir chancenlos waren. Ich sah wieder zu Major von Nostitz, um ihn zu warnen. Er hatte seinen schweren Mantel abgenommen, breitete ihn über einen Mann aus, der unter seinem toten Pferd eingeklemmt war. Noch bevor das Tuch die Körper verdeckte, sah ich die Rangabzeichen und Orden. Feldmarschall Blücher lag dort und ich musste annehmen, dass er tot war. Der Major hatte sich schon hinter einem nahen Baum verschanzt, als er mich bemerkte und nach mir rief.

      XIch hörte zwar seine Worte nicht, verstand aber, was er wollte. Mit einem Satz sprang ich aus dem Sattel, ließ mein Pferd laufen und hockte mich neben den Major. Der Baum mit seinem breiten Stamm verbarg uns für den Moment vor den heranstürmenden Franzosen. Sie überritten die Stelle, an der Feldmarschall Blücher lag und wie durch ein Wunder ging der Sturm vorbei. Major von Nostitz sprang sofort auf, eilte zu der Stelle und lüftete den Mantel. Ich war sogleich an seiner Seite und sah, dass der Feldmarschall noch lebte, stöhnte und bereits versuchte, sich unter seinem toten Pferd zu befreien. Ich packte mit an, stemmte mich gegen den schweren Hals des Rosses, so daß der Major den Oberkörper Blüchers hervorziehen konnte.

      Jetzt

Скачать книгу