Kanonen für Saint Helena. Ole R. Börgdahl
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Der Leutnant schüttelte den Kopf und zeigte mir, dass er ausreichend mit Leinen und Charpie versorgt war. »Danke, es wird schon gehen, nur ein Kratzer, er hat es schnell vergessen, wenn wir erst die Franzosen nach Paris hineinjagen.«
»Wo haben Sie gekämpft?«, fragte ich.
»Bei Wavre und dort ist es noch nicht zu Ende, aber ich glaube, wenn wir zurückgeschickt werden, brauchen wir nur noch aufzuräumen und dann geht es nach Paris.« Er stockte. »Vor zwei Tagen haben wir noch ordentlich Haue gekriegt, das zahlen wir jetzt zurück.«
»Ich war dort, ich habe es gesehen. Am Ende zählt nur die Summe und nicht ein einzelner Erfolg.«
Der Leutnant sah mich ungläubig an, aber ich gab ihm keine weiteren Erklärungen, auch weil ein Trompetensignal ihn und seine Kameraden zum Aufbruch rief. Reste von Heu, leere und zerbrochene Flaschen und einige Brüsseler Bürger blieben auf dem Platz zurück. Im Verlaufe des Tages sollten weitere Einheiten durch die Stadt kommen, Briten, Niederländer und Preußen. Ich aber setzte meinen Weg fort, durchquerte einen Park und stand vor jenem Stadtpalais, in dem drei Tage zuvor die Geschichte ihren Lauf nahm. Tatsächlich waren einige Bedienstete noch mit Aufräumarbeiten betraut.
Ich ging einfach ins Haus und in den Saal, der sich doch sehr verändert hatte. Die Girlanden und Vorhänge waren abgenommen, die Tische und Stühle standen auf der Tanzfläche, gestapelt und abholbereit. Einige Handwerker bauten eine Trennwand wieder ein, die aus dem Saal zwei oder drei separate Räume machen sollten. Allein das kleine Sofa, auf dem der Duke of Wellington gesessen hatte, während ihm einer seiner Stabsoffizieren Berichte von den Vorgängen an der Kreuzung Quatre-Bras übermittelte, stand noch an seinem Platz neben einem schmalen, hohen Fenster. Ich setzte mich hinein, schloss kurz die Augen, wurde dann aber angesprochen und höflich gebeten, mir eine andere Sitzgelegenheit zu suchen, da man das Möbel gerade abräumen wolle. Und so wurde der gesamte Saal geleert und später wieder zu den Empfangs- und Gesellschaftsräumen gemacht, die sie vor der Nacht vom 15. auf den 16. Juni waren.
Ich suchte mir keinen neuen Platz, verließ das Palais wieder und ging rechts in die Rue de la Blanchisserie, deren Namen mir in Erinnerung blieb, weil sich in der Mitte der Straße eine Schule für mathematisch-naturwissenschaftliche Studien befand, deren Schaufensterauslage ein wunderschönes Teleskop auf einer Dreibeinlafette zierte. Ich musste einen Moment lang an Philippe denken, der sich auf Elba ein Observatorium gewünscht hatte. Ich fragte mich auch, was aus Bellevie und dem Professor geworden war. Entweder waren sie wieder in Paris oder sie warteten darauf, dass man Napoléon zurück nach Elba brachte.
In meine Gedanken versunken hörte ich erst den zweiten Ruf meines Freundes Louis, der ebenfalls in frischer, aber niederländischer Uniform auf mich zu ging. Er war in Begleitung von zwei britischen Offizieren und bevor ich überhaupt begriff, wurde ich ihnen vorgestellt und wir feierten ein Wiedersehen.
»Hast du die Seiten gewechselt?«, fragte ich übermütig und deutete auf Louis’ Rock.
Er schüttelte den Kopf. »Nur eine freundliche Leihgabe. Mein eigenes Tuch war schon sehr zerschunden, und das nach zwei Tagen. Der segensreiche Regen, der ebenso segensreiche Schlamm und zwei durchwachte Nächte.«
Ich verstand, was Louis mit segensreich meinte. Regen und Schlamm, das schlechte Wetter insbesondere, hatten Napoléon zögern lassen, so dass es den Preußen gelungen war, noch rechtzeitig dem Duke of Wellington zu Hilfe zu kommen. Diese umfassende Einschätzung hatten wir so kurz nach der Schlacht zwar noch nicht, aber wer die Schlachtfelder gesehen hatte, ahnte bereits, dass Napoléons Niederlage am Ende auch dem Wetter geschuldet war.
»Aber du bist anscheinend schadlos über die letzten Tage gekommen«, stellte Louis fest, als er mich nun genauer musterte. »Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass du den Ermahnungen des Överstes gefolgt bist und wirklich nur als reiner Beobachter unterwegs warst.«
Louis sprach von Överste Kungsholm, der uns genau instruiert hatte, bevor es für uns nach Brüssel ging. Keinesfalls sollten wir in die Kampfhandlungen zwischen Briten, Preußen und Franzosen eingreifen. Ich erzählte also, dass ich im Grunde genommen gegen den Befehl verstoßen hatte, berichtete von meinen Erlebnissen.
»Dann hat es Wellington Ihnen zu verdanken, dass Blücher noch lebt und rechtzeitig auf dem Schlachtfeld erschienen ist«, behauptete einer der beiden Briten und klopfte mir auf die Schulter.
Ich schüttelte den Kopf. »Als wir Blücher unter seinem Pferd hervorholten, war die Gefahr längst vorüber. Sein Adjutant hat ihn gerettet, weil er ihm den Mantel übergeworfen hat, wodurch die durchreitenden Franzosen Blüchers Orden nicht erkannt und ihm keine Beachtung geschenkt haben.«
»Nicht so bescheiden, mein Freund.«
Wieder wurde mir auf die Schulter geklopft und es war dann auch der Abschied von den beiden britischen Kameraden. Louis und ich gingen zurück zu unserer Unterkunft. Louis entledigte sich der niederländischen Uniform, ließ sie von einem der Zimmermädchen ausbürsten, lüften und ordentlich einpacken, um sie später zu der Adresse in Brüssel zu schicken, die man ihm aufgegeben hatte.
In den nächsten Stunden ließ ich Louis ausschlafen und erkundete alleine die Stadt und hörte mich nach den neusten Nachrichten um. Blücher und Wellington sollten sich kurz getroffen haben, die Briten und Niederländer hatten das Schlachtfeld gesichert, während die Preußen hinter den Franzosen herjagten. Den Fehler, den Napoléon begangen hatte, wollte Gneisenau nicht wiederholen. Die Franzosen sollten bis nach Paris keine ruhige Minute mehr haben, sich nicht mehr erheben können.
Erst viel später erfuhren wir, dass der Feldzug noch beinahe zwei Wochen andauerte, dass noch über zwei Wochen hinweg immer wieder Menschen für eine an sich entschiedene Sache starben. Es gab Gefechte in Namur, eine Woche später in Compiegne. Bei Villers-Cotterets, Nanteuil und Sevres wurden die Franzosen weiter abgedrängt. Die endgültige Entscheidung kam aber am 3. Juli des Jahres 1815 durch den Sieg bei Issy. Danach räumte das französische Heer Paris und zog sich gemäß einer Vereinbarung mit den Alliierten über die Loire zurück.
In diesen Tagen blieben Louis und ich zunächst noch in Brüssel und gaben täglich mehrmals Depeschen an Överste Kungsholm heraus. Erst am 27. Juni brachen wir unsere Zelte ab und reisten nach Antwerpen, um von dort eine Schiffspassage nach Lübeck zu erhalten. Wir mussten Geduld haben, saßen am 9. Juli immer noch in Antwerpen fest, waren aber weiterhin fleißig am Schreiben, um die Neuigkeiten über den Landweg nach Schweden und zu unserem Vorgesetzten zu schicken.
Dennoch blieb uns viel Zeit, die wir tagsüber zumeist am Hafen verbrachten. Abends fanden wir uns aber immer in unserer Unterkunft wieder und schauten in der Wirtsstube nach neuen Gästen. Am Nachmittag waren fünf niederländische Offiziere angekommen, dessen Anführer, Ritmeester Vincent Dijk de Groot, uns an seinen Tisch einlud. Wir tranken auf den Sieg bei Waterloo, tauschten unsere Kriegserlebnisse aus und erfuhren, dass die Niederländer geradewegs aus Paris kamen. Ritmeester de Groot hatte tatsächlich Neuigkeiten von Napoléon Bonaparte.
»Ich bin ihm natürlich nicht persönlich begegnet«, erzählte der Ritmeester. »So schnell waren wir dann doch nicht in Paris. Der Korse ist ja wie der Teufel geflüchtet, aber seine Hauptstadt soll ihn nicht sehr freundlich empfangen haben. Abdanken sollte er, auf die Armee konnte er nicht mehr zählen. Und dann hat er erneut seinen Sohn vorgeschoben, als Nachfolger, wie damals, als er das erste Mal abgedankt hat, aber man ließ es ihm wieder nicht durchgehen. Das französische Parlament hat sich selbstverständlich zurückgehalten. Sie waren schließlich erneut besiegt und wir hatten das Sagen, auch wenn es noch etwas gedauert hat, bis wir auf der Bildfläche erschienen sind.«
»Wann sind Sie in Paris eingetroffen?«, fragte Louis.
»Gleich