BonJour Liebes Leben. Rose Hardt
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Während sie ihn erst einmal kritisch beäugte, ihn systematisch nach Wiedererkennungsmalen abscannte, lief ihr Langzeitgedächtnis bereits auf Hochtouren, verzweifelt versuchte sie sich zu erinnern. War das etwa …? Nein! … Oder doch? … NIEMALS!
Aber der Mann schien es besser zu wissen. Er hielt die Hand an seine linke Wange, lachte laut und sagte: „Ja verflucht noch mal – du bist es wirklich! Ich fass es nicht. Das Letzte an das ich mich erinnern kann ist deine schallende Ohrfeige bei unserem Abschied.“ Während er sich zwischen den Grabsteinen zu ihr hindurchschlängelte, fügte er augenzwinkernd an: „Wow … und die war nicht von schlechten Eltern.“
Und just in dem Moment, als er vor ihr stand, kam ihre Erinnerung zurück. „Henning … der Henning Bleibtreu?“, fragte sie, und mit dem zweiten Blick in seine dunklen, fast schwarzen Augen spürte sie tief in ihrem Herzen einen kleinen, stechenden Schmerz des Wiedererkennens. Sie wusste nicht wieso, aber unbewusst trat sie sofort einen Schritt zurück, um eine gebührende Distanz zwischen ihnen zu schaffen.
„Ja, genau, der Henning“, antwortete er mit einem schelmischen Grinsen.
„Du Schuft du … na, du traust dich was“, gab sie barsch zurück. Zeitgleich sieht sie vor ihrem geistigen Auge wie sie ihn ohrfeigt. Aber warum? Weshalb hatte sie ihm damals eigentlich eine gescheuert? Bevor sie weiter in ihrer Erinnerungsschatulle stöbern konnte, hatte er das Wort wieder ergriffen.
„Ja, ja … ich weiß, du sagtest damals, dass ich dir nie wieder unter die Augen treten soll. Dabei war alles, aber wirklich alles ganz anders …“
Charlotte unterbrach ihn mit einem kurzen Verlegenheitslachen und sagte: „Ja, jetzt … jetzt weiß ich’s wieder! Ich erinnere mich aber auch, dass du das öfter sagtest“, nachdenklich sah sie ihn an, „hm … ich glaube mich sogar zu erinnern, dass es dein Standardspruch war,“ und mit dieser Aussage kehrte sukzessive ihr Erinnerungsvermögen – samt dem ohnmächtigen Gefühl des Betrogen-Werdens, auch des Gekränkt-Seins – an die damalige Zeit zurück und ohne, dass sie es wollte, schoss eine bissige Bemerkung aus ihr heraus: „Aber sag, mein lieber Henning Bleibtreu, liebst du noch immer die Vielweiberei oder …“
„… ich, meine liebe Charly, ich liebe nur noch Greta“, unterbrach er sie augenzwinkernd, dann steckte er Daumen und Zeigefinger zwischen die Lippen und pfiff.
Charlotte sah sich neugierig um, doch es regte sich nichts.
„Greta, komm her“, befahl er nun in einem scharfen Ton.
Endlich kam die besagte Greta hinter einem Grabstein hervorgewackelt. Es war eine in die Jahre gekommene Hundedame, ein grau-brauner und zerzauster Rauhaardackel, der schon beim Anblick Mitleid erregte.
„Darf ich vorstellen, das ist Greta, das einzige Wesen“ mitten im Satz stoppte er, Trauer überzog sein zuvor noch lachendes Gesicht „das mir noch geblieben ist“, fügte er schließlich bedächtig und leise an.
Obwohl Charlotte seinen Stimmungswechsel registriert hatte, musste sie beim Anblick der Hundedame schmunzeln. Ja, keine Frage, Greta war eine bedauernswerte Kreatur. Während ihr Blick zwischen den beiden hin und her wechselte, dachte Charlotte – nicht ganz ohne Ironie: wie ähnlich sich doch Herr und Hund sind, sowohl Hennings Frisur als auch seine Haarfarbe – die zwischenzeitlich mehr grau als braun war – ähnelte Gretas Fell, und beide schienen vom Leben nicht gerade verwöhnt worden zu sein: seine Kleidung war nicht mehr ganz aktuell, der braune Lederblouson wirkte zwar jugendlich, aber stark abgetragen, nur das Hemd war blütenweiß und ließ das Braun seiner Haut noch intensiver erscheinen. Ach Gottchen! Verwaschene Jeans trägt er noch immer, stellte sie nun mit einem süffisanten Lächeln fest. Und je länger sie ihn in Augenschein nahm, desto deutlicher traten Bilder aus der Vergangenheit hervor, mit ihnen erwuchs Rache – Rache für das, was er ihr damals angetan hatte.
„So ist das, lieber Henning“, sagte sie, „wenn Mann sich nicht für eine Frau entscheiden kann“, ihr Blick wechselte zur Hundedame, „dann kommt Mann zwangsläufig auf den Hund. Ihr seid wirklich ein entzückendes Paar!“, fügte sie verächtlich hinzu.
Seinem gedanklichen Tief wieder entrissen, konterte er mit nachsichtigem Schmunzeln: „Ja, ja … ganz die alte Charly … und wie immer sehr charmant! Wenn ich mich recht erinnere, fand ich deinen Zynismus schon damals sehr prickelnd.“ Dann trat er einen Schritt zurück, musterte sie ebenfalls vom Kopf bis zu den Füßen und sagte: „Du, meine liebe Charly, das kann ich dir ja heute sagen, warst die einzige Frau, die mich mit wenigen Worten, manchmal auch nur mit einem herablassenden Blick in den Wahnsinn treiben konnte.“
Sie lächelte erneut und kramte währenddessen noch etwas tiefer in ihrer Vergangenheit, und je intensiver sie in dort stöberte, desto aufdringlicher stolzierten längst vergessene Gefühle durch sie hindurch, erinnerten sie an das, was man damals Liebe nannte.
„Gut siehst du aus! Wie eine Dame, die es zu etwas gebracht hat“, stellte er bewundernd fest, dabei glitt sein Blick nochmals an ihr herunter, diesmal bewusst langsamer, „sehr gut sogar“, schob er mit einem Augenzwinkern hinterher.
Leichte Röte stieg ihr zu Kopf. Sie wusste nicht wieso, aber sie fühlte sich irgendwie nackt unter seiner Beschauung. „Danke für die Blumen“, antwortete sie irritiert, wobei bereits jede Sehne ihres Körpers leicht vibrierte, auch in ihrem Oberstübchen herrschte bereits Chaos, und zu allem Überfluss gesellten sich nun auch noch poetische Zeilen aus Rilkes Liebes-Lied hinzu:
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
Ja, damals war es ihr Lieblingsgedicht und fast, ja fast wären ihr die Zeilen über die Lippen gesprudelt. Doch im letzten Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie vor Gustavs Grab standen. Großer Gott, ich muss hier weg, schoss es ihr durch den Kopf, wobei die neue Situation ihrem eh schon aufgekratzten Inneren Zündstoff gab.
Doch dem nicht genug. Eine ganze Weile stand er regungslos da und sah sie mit großen Augen verzückt an, er sah sie so an, als ob er sein Glück – sie, endlich, nach all den Jahren wiederzusehen – noch immer nicht fassen konnte.
„Was ist?“, fragte sie und kramte verlegen in ihrer Handtasche. „Warum siehst du mich so an?“, hakte sie schließlich nach, wobei ihr Herz – ganz im Gegensatz zu ihrem Kopf – bereits leise jubilierte.
Mit einem bezaubernden Lächeln antwortete er: „Sieh an, Komplimente verunsichern dich noch immer. Süß!“
Charlotte fühlte sich von ihm, von seiner Art wie er so dastand, auch von dem was er sagte, völlig überrumpelt und so brach es nur schnippisch aus ihr heraus: „Nun, wie du weißt, mein lieber Henning, bekommt jeder das im Leben, was er verdient. Aber was machst du eigentlich hier?“, fragte sie das Thema wechselnd, „wenn ich das überhaupt fragen darf!“
„Du darfst. Was ich hier mache?“, wiederholte er verwundert. „Ja weißt du das denn nicht? Mein Vater verstarb im letzten Jahr und liegt genau hinter …“, mitten im Satz stoppte er, um die Inschrift auf dem Grabstein zu ihren Füßen zu lesen: „Gustav Grafenberg“, fragend sah er sie an. „Wer war Gustav Grafenberg?“
„Er? … Ach, er war mein treusorgender Ehemann. Wobei treusorgend auf viele Arten interpretiert werden kann“, fügte sie ironisch leise, vielmehr für sich an, wobei ihr Gustavs ausschweifendes Liebesleben wieder in den Sinn kam, und just in diesem Moment verspürte sie erneut Rachegelüste – diesmal gegen ihren Ehemann.